Arm oder gefährlich

Von Irmgard Kirchner · · 2006/11

Ist die Dritte Welt Ort der Bedrohung oder bedarf sie unserer Hilfe? Globalisierung verursacht gemischte Gefühle.

Erinnert sich noch jemand an den Film „Der Marsch“ von 1990? Ein Tabubruch, der einen empörten Aufschrei in der heimischen entwicklungspolitischen Szene auslöste. Der Spielfilm, produziert im Rahmen der „One World Week“ der britischen BBC, zeigt fiktive Massen verelendeter AfrikanerInnen, die auf Europa zu marschieren. Armut als Bedrohung.
Damals war es mehr als umstritten, Armut, Entwicklung und Sicherheit argumentativ zu verknüpfen. Heute sind die Bilder von damals Wirklichkeit und es ist quasi entwicklungspolitischer Mainstream, Sicherheit und Entwicklung bzw. Armutsbekämpfung in einem Atemzug zu nennen. Sicher nicht nur eine Folge der Terror-Anschläge vom 11. September 2001. Armut nährt Flüchtlingsströme, Kriminalität und Terrorismus, wird zu Recht argumentiert.
Doch auch von dort, wo die Armut schwindet, scheint Gefahr zu drohen. Etwa von China. Im Reich der Mitte wurden seit Beginn dieses Jahrtausends geschätzte 300 Millionen Menschen aus der absoluten Armut befreit. Es wird erwartet, dass China bis 2015 die meisten der Millenniums-Entwicklungsziele erreichen wird.
Durch China oder Indien, so wird befürchtet, geraten in Folge von Öko- und Sozialdumping unsere Arbeitsplätze und unser Lohnniveau unter Druck. Das solidarische Engagement für chinesische TextilarbeiterInnen beispielsweise wird hierzulande auch mit der Motivation begründet, man wolle in Europa keine chinesischen Löhne.

Es zeichnet sich in der Entwicklungspolitik ein Paradigmenwechsel ab. Ein neues Denkmuster, wie wir unser Gegenüber, die so genannte Dritte Welt, als Ganzes wahrnehmen, setzt sich durch. Einst arm und hilfsbedürftig, wird der globale Süden zunehmend auch als Ort der Bedrohung wahrgenommen. Bedroht ist unsere Wohlstandsgesellschaft: von ökologischen Krisen, von unerwünschter Migration, von Terrorismus, von Drogenhandel oder von weltweiter Standortkonkurrenz.
Die real existierende Globalisierung verursacht auch in der Entwicklungspolitik und bei ihren FürsprecherInnen gemischte Gefühle. Gerechtigkeit und Solidarität versus Sicherheit und Eigennutz. Es ist prinzipiell nichts Schlechtes, wenn uns auch egoistische Motive zu solidarischem Handeln antreiben. Die Widersprüche in diesen Denkmustern zeigen uns jedoch auch klar auf, wie eurozentristisch entwicklungspolitisches Engagement an sich ist und dass es dabei immer auch um uns selbst geht.

Es ist nichts Verwerfliches daran, eigene Interessen zu haben. Nur, sind sie uns auch bewusst und werden sie dem Gegenüber klar dargelegt? So manch ein Anspruch, für die Dritte Welt zu sprechen, wird durch diese Widersprüche als Propaganda entlarvt.
Schwarz-Weiß-Denken vom reichen Norden und dem armen Süden wird zunehmend unmöglich. Pauschal solidarisch mit dem Süden zu sein, ebenso. Mit welchen Interessen haben wir es denn dort zu tun?
Wie im ganz gewöhnlichen Leben ist auch in den Nord-Süd-Beziehungen das Wahrnehmen und Offenlegen von Interessen – der eigenen wie der des Gegenübers – Voraussetzung für eine echte Partnerschaft.

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