Auf der Suche nach den Vatermördern

Von Martin Peter Houscht · · 2010/04

Ende Dezember 2008 errang Sheikh Hasina mit ihrer Awami League bei den Parlamentswahlen in Bangladesch einen grandiosen Erfolg. Die Wirtschaft schlägt sich zwar wacker, doch Massenarmut, Klientelismus und die Missachtung von Menschenrechten sind weiterhin Alltagsphänomene.

Im Jänner 2009 zog Sheikh Hasina wieder dort ein, wo sie nach eigenem Verständnis hingehört – ins „Prime Minister’s Office“. Nach der in Sitzen bemessenen harten Niederlage bei den Parlamentswahlen 2001 musste sie fünf Jahre in der Opposition ausharren und mit ansehen, wie ihre Erzrivalin, Begum Khaleda Zia, die Regierungsgeschäfte führte. Dann kamen die zwei Jahre der vom Militär gestützten Übergangsregierung unter dem glücklos agierenden Technokraten Fakhruddin Ahmed.

Bangladesch hatte während der zweiten Amtszeit von Khaleda Zia (2001 bis 2006) einen beispiellosen Anstieg von machtpolitisch motivierter Gewalt und Korruption erlebt. Die Grenzen zwischen politischer Vertretung und mafiosen Untergrundstrukturen verschwommen bis zur Unkenntlichkeit. Tarique Zia, ältester Sohn von Khaleda Zia, installierte sich als Kronprinz und baute sein Schattenkabinett auf. Das „Rapid Action Battalion“ (RAB), eine 2004 aus Polizei- und Militäreinheiten gebildete Spezialeinheit, mutierte zu einer Vereinigung von mordenden Rambos, die gezielt Jagd auf Oppositionelle machte. „Die Angst war unser ständiger Begleiter“, erinnert sich Harun ur Rashid von der Universität Dhaka.

Die Verhängung des Notstandes im Jänner 2007 und der Auftritt des Militärs wurden daher von vielen Menschen im Land zunächst begrüßt. Doch der unter den Militärs agierende Fakhruddin Ahmed und sein Kabinett waren mit dem ehrgeizigen Reformprogramm und dem zusätzlich noch wahrzunehmenden politischen Alltagsgeschäft überfordert. Die „Minus-zwei-Formel“, der Versuch, die beiden streitbaren Frauen ins Exil zu zwingen, scheiterte. Der Ruf nach baldigen Neuwahlen verstärkte sich. Dem Preisanstieg bei den Nahrungsmitteln und bei Brennstoffen begegnete die Übergangsregierung zu spät und wenig überzeugend. So geriet sie immer mehr unter Druck. Nach knapp zwei Jahren konnte ein erleichtert wirkender Fakhruddin Ahmed die Amtsgeschäfte abgeben.

Und nun wieder Sheikh Hasina. „Hasina Superstar“, meinte ein politischer Beobachter Anfang 2009 sarkastisch. Und: „Hasina und Khaleda haben den Karren in den Dreck gezogen, und die eine kommt nun als Retterin zurück!“ In der Tat: Ausgerechnet Sheikh Hasina soll das festgefahrene Reformprogramm der Übergangsregierung fortführen, die Energiekrise beenden, für erschwingliche Nahrungsmittel sorgen, die desolate Sicherheitssituation im Land verbessern, dabei die Korruption und die Mafiastrukturen bekämpfen, die Wirtschaft auf das Gleis nachhaltigen Wachstums setzen, die Klientelpolitik beenden und vieles mehr.

Die Lebensmittelpreise stabil halten muss die oberste Maxime einer jeden Regierung sein. Die Hasina-Administration agiert entsprechend: Kredite, Düngemittel und Diesel werden an die AgrarproduzentInnen ausgegeben. Soziale Sicherungsnetze werden dichter gewoben, damit möglichst viele Menschen zumindest Reis und Linsen kaufen können. Zeitlich beschränkte Beschäftigungsprogramme tun ein Übriges. Ungeachtet dieser Anstrengungen sind die Lebensmittelpreise aber zuletzt gestiegen.

Trotz globaler Wirtschafts- und Finanzkrise hält sich die Exportwirtschaft des Landes wacker. Die Billigtextilien, die neben den Überweisungen der bangladeschischen Gastarbeiter im Nahen Osten und in Südostasien wichtigster Devisenbringer sind, verkauften sich 2009 gut. Hinter den Billigtextilien stecken gleichwohl Hunderttausende von Frauen, die in Dhaka oft unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten und Hungerlöhne erhalten.

Die Regierung versucht auch, die Wachstumshemmnisse in Gestalt schlechter Infrastruktur und katastrophaler Energieversorgung in den Griff zu bekommen. Sie setzt auf neue gas- und kohlebetriebene Kraftwerke und plant, die Kapazitätem bis 2013 auf 7.000 MW zu erweitern.

„Es ist gut, dass die Regierung den ländlichen Raum stärkt und Antworten auf die Energiekrise gibt“, mein Enamul Hoque von der Entwicklungsorganisation PSSK. „Aber sie muss noch viel mehr tun! Parlamentarier, die lokale Verwaltung und die Polizei arbeiten vielerorts gegen die Menschen. Journalisten, die darüber berichten, riskieren ihr Leben.“

Die Regierungsweste ist in der Tat nicht weiß: Gewaltige Defizite im Bereich der inneren Sicherheit bestehen fort. Die größte Unsicherheit geht weiterhin just von denen aus, die für Sicherheit sorgen sollen. Die „Schnelle Eingreiftruppe“ RAB mordet weiter, Polizisten handeln oft gegen und nicht für die BürgerInnen, weil das von oben angeordnet wird. Die Nationale Menschenrechtskommission, von der Übergangsregierung beschlossen, ist bis heute nicht handlungsfähig.

Auch die traditionell eher Awami League wählenden ethnischen Minderheiten im Land, etwa drei Millionen Menschen, sind nach dem Sieg Hasinas nicht unbedingt in einer besseren Situation. In den Chittagong Hill Tracts werden die Minderheiten genauso diskriminiert, von ihrem Land vertrieben, verfolgt, inhaftiert oder gar getötet wie auch im Flachland. Einer der prominenten Sprecher der Minderheiten des Landes, Sanjeeb Drong, wurde Ende Jänner von zwölf Männern angegriffen und verletzt. Meinungsfreiheit, das spüren auch die JournalistInnen, ist nur ein verfassungsmäßiges Recht, aber keines, das man in der Praxis ausüben sollte.

„Was Hasina bewegt, ist, Rache zu nehmen“, bemerkt die Frauenrechtlerin Syeda Rahman. Rache an den Mördern ihres Vaters. Nach der Hinrichtung von fünf mutmaßlichen Mördern versucht die Premierministerin auch an die anderen noch lebenden und im Ausland untergetauchten Mörder heran zu kommen. „Es ist gut, wenn diese Menschen bestraft werden, aber was ist mit den Mördern und Vergewaltigern von zahllosen Frauen hier im Land?“ fragt Syeda Rahman und verweist auf die vielen Fälle, die nicht verfolgt werden. Der häufigste Grund: Der oder die Täter werden von einflussreichen Kreisen gedeckt.

„Es sind nicht die Politiker und Professoren, die unser Land retten; es sind die vielen Hände und die rechte Gesinnung der kleinen Leute, die Bangladesch voranbringen. Die Leute wollen arbeiten und dabei in Ruhe gelassen werden. Sie wollen nicht von einer politischen Partei instrumentalisiert oder von einem Banker repräsentiert werden“, so der Entwicklungsaktivist Khorshed Alam. Mit „Banker“ meint er den so genannten Banker der Armen, Nobelpreisträger Muhammad Yunus.

Yunus präsentiert sich gerne mit Wirtschaftskapitänen und Staatsoberhäuptern. Doch die Zahl seiner KritikerInnen in Bangladesch nimmt zu. Nicht nur Menschenrechtsorganisationen, die bemängeln, dass Yunus, der 2007 politische Ambitionen hegte, bei menschenrechtlich sensiblen Themen lieber wegschaut als Position bezieht – selbst der Finanzminister legte unlängst die Hand in eine offene Wunde. Wie es denn sein könne, dass noch immer so viele Leute in bitterer Armut leben müssten, obwohl schon seit Jahrzehnten Millionen Haushalte wiederholt Darlehen erhielten. Auch Yunus‘ neueste Idee des „social business“ funktioniert in Bangladesch noch nicht wie gewünscht.

„Grameen Danone Foods – Social Business Enterprise“ heißt das Joint Venture der Grameen Bank mit Danone. Das mit Vitamin A, Zink und Jod angereicherte Joghurt erreicht aber nicht die armen Haushalte in den ländlichen Gebieten, sondern nur die Städte. Das ebenfalls als „social business“ betriebene Augenkrankenhaus in Bogra schreibt zwar nach Worten des Managers schwarze Zahlen, aber nur drei von zehn Patienten sind auch arm. „Business wird bei Yunus groß und sozial klein geschrieben“, meint der Soziologe Muhammad Quddus.

Martin Peter Houscht ist Projektreferent bei einer deutschen Entwicklungsorganisation und Journalist und bereiste kürzlich wieder Bangladesch.

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