Aus den Augen, aus dem Sinn

Von Andreas David Baur · · 2006/12

Exporte gefährlichen Abfalls in Länder des Südens finden trotz gesetzlicher Verbote statt. Gebrauchte High Tech-Geräte werden oft als Entwicklungshilfe getarnt, sind jedoch das Giftmüll-Problem des 21. Jahrhunderts und richten in den Empfängerländern enormen ökologischen und gesundheitlichen Schaden an.

Man hat die Auswirkungen der Globalisierung unterschätzt. Die globalisierte Warenproduktion schafft auch globalisierte Abfallströme, die nur schwer zu kontrollieren sind“, sagt Pierre Portas. Er ist Vize-Chef des UNO-Sekretariats, das für die „Basler Konvention zur Verhinderung von Giftmüllexporten“ zuständig ist. „Leider hat Europa nur geträumt, dass allein durch den Erlass neuer Gesetze das Problem verschwinden würde.“ Die Realität ist bitter, das Problem vielleicht größer als jemals zuvor. Es geht um Exporte gefährlichen Abfalls, besser bekannt unter dem Schlagwort Giftmüll.
Die Debatte neu angefacht hat ein besonders folgenschwerer Giftmüll-Skandal im afrikanischen Küstenstaat Côte d’Ivoire. Im Haupthafen von Abidjan waren im August 2006 rund 500 Tonnen Giftmüll abgeladen worden. Die tödliche Fracht, eine schwarze schleimige Masse, vermutlich Rückstände aus den Tanks des Schiffs „Probo Koala“, wurde mit Lastwagen auf mindestens 15 Müllplätze der Stadt gekarrt. Laut Behörden sind an diesem Giftmüll bisher mindestens sieben Menschen gestorben, bis zu 30.000 Menschen mussten sich wegen akuter Gesundheitsprobleme behandeln lassen. Im Fall „Probo Koala“ handelt es sich nicht um „klassischen“ Giftmüllexport von Nord nach Süd, da der tödliche Abfall vom Schiff selbst und möglicherweise von anderen Schiffen stammte. Dennoch erhärtet sich durch diesen Skandal der Verdacht, dass der Export gefährlicher Abfälle aus Industriestaaten in Länder mit weniger strengen Gesetzen wieder steigt.
Eine Untersuchung des niederländischen Umweltministeriums im Rahmen des International Seaport Projects 2005 ergab, dass von 140 überprüften Abfall-Schiffsladungen 68 illegal waren. 17 Häfen in Deutschland, England, Frankreich, Irland, Polen, Lettland, Slowenien, Schweden und den Niederlanden wurden untersucht. Gefunden wurden schwedische Kabel-Reste, die für China bestimmt waren, und Bauteile von Kühlschränken mit FCKWs, die nach Pakistan verschifft werden sollten. Allein in Frankreich wurden 30 Schiffsladungen mit Destinationen in Afrika und Asien gestoppt: Die Container waren beladen mit Kabelresten, die giftige PCBs und Bitumen enthielten, mit verschmutzten Motorblöcken, Autoreifen, Elektronikschrott und Telefonkabel mit Bleiummantelung. In Großbritannien wurden 14 Container mit Haushaltsabfällen gefunden, die nach Indien verschifft werden sollten.

Die Seaport-Untersuchung verdeutlicht, dass es vor allem gefährliche Abfälle aus dem Elektro- und Elektronikbereich sind, die aus europäischen Häfen in arme Länder verschifft werden. Immerhin scheint die Zeit der „klassischen“ Giftmülltransporte, als rostige, alte Frachter Giftfässer vor der afrikanischen Küste versenkten, vorbei zu sein. In diesem Bereich haben die Bemühungen der europäischen Politik und der UmweltschützerInnen Erfolg gehabt.
Wie wichtig der bedingungslose Kampf von Umweltorganisationen wie Greenpeace gegen die Müllmafia war, verdeutlichen immer wieder die schrecklichen Folgen von Altlasten. Durch die enorme Kraft der Tsunami-Flutwelle wurden 2004 Giftmülllager vor den Küsten Afrikas aufgewirbelt und ihre tödliche Fracht an Land gespült. Wie ein Bericht des „United Nations Environmental Programme“ (UNEP) ausführt, ist Somalia einer von vielen wirtschaftlich schwach entwickelten afrikanischen Staaten, vor deren Küste jahrelang unzählige Schiffsladungen nuklearen und toxischen Mülls ungesichert versenkt wurden. Bis heute verseuchen sie die Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung.
Dieser Müll stammt vielfach aus Industriestaaten, was UNEP in ihrem Bericht nicht direkt anzusprechen wagt. Immerhin kritisiert der Bericht, dass der Export von gefährlichem Abfall internationalen Abkommen widerspräche und dass es moralisch fragwürdig sei, mit einem Land Verträge über gefährlichen Abfall abzuschließen, das mitten in einem Bürgerkrieg steckt und das zudem über kein funktionierendes System zur Abfallbeseitigung verfügt. Gemeint ist damit: Industriestaaten haben ihre Müllflut nicht unter Kontrolle und exportieren die tödlichen Gefahren ihres Lebensstils in Gebiete, wo es keine wirksamen Kontrollen gibt.
Dass es auch heute noch in Europa handfeste Giftmüllskandale gibt, zeigt ein Fall aus dem Sommer 2006: In Simmering, mitten in einem Wiener Wohngebiet, haben AktivistInnen der Umweltorganisation GLOBAL 2000 nach einem Hinweis aus der Bevölkerung ein gefährliches Giftmülllager mit tausenden Fässern voller Chemikalien entdeckt. „So habe ich mir die Zustände in den 1970er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vorgestellt: lecke Fässer, die übereinander gestapelt vor sich hin rosten und ihre giftige Fracht schön langsam freisetzen“, so ein Aktivist. Hochkonzentriertes Cyanid lagerte in der Fabrikshalle des ehemaligen Entsorgungsbetriebs ÖSTAB, ohne sachgemäße Absicherung. Die Stadtverwaltung, die bereits seit längerem von dem Giftmülllager wusste, musste eine sofortige Räumung veranlassen. Die Umweltorganisation GLOBAL 2000 hat die ehemaligen Geschäftsführer der Firma ÖSTAB angezeigt. Jetzt ermitteln die Staatsanwaltschaft und die Umwelt-Kripo.
In Österreich fielen im Jahr 2004 laut Bundesabfallwirtschaftsplan 2006 rund eine Million Tonnen gefährliche Abfälle an. Rund ein Viertel des Gesamtaufkommens wurde exportiert. Ziel der Abfallbehandlung im Land ist es, die gefährlichen Abfälle in eine deponiefähige Form zu bringen. Wo dies nicht gelingt, wird exportiert, 10% – vor allem Aschen und Schlacken aus der Müllverbrennung – landen in zwei deutschen Untertagedeponien. Die restlichen 90 Prozent werden im Ausland „verwertet“.
Die Umweltorganisation Greenpeace ortet in Europa Handlungsbedarf vor allem in den osteuropäischen Staaten, wo noch tausende Tonnen Altpestizide lagern sollen.

Politisch zeigt sich die EU im Bereich Giftmüllexporte derzeit nur bedingt handlungsfähig. Beim Treffen der Umweltminister der EU-Staaten am 24. Oktober 2006 konnte trotz des Umweltskandals in Côte d’Ivoire keine gemeinsame Linie zur Frage illegaler Gifttransporte und zur Frage der Verschrottung von Großschiffen gefunden werden. Kurz vor Schluss war Malta ausgeschert mit der Begründung, es sei Länderrecht über Gifttransporte zu entscheiden. Malta verdient viel Geld mit unter Billigflagge fahrenden Schiffen, schrieb die Berliner Tageszeitung taz dazu lapidar.
Daraufhin forderte das Europäische Parlament den für Umweltfragen zuständigen Kommissar Stavros Dimas auf, eine Gesetzesvorlage auszuarbeiten, wie Umweltverbrecher wie die Eigentümer der „Probo Koala“ zukünftig wirkungsvoll bestraft werden können. Denn bis heute gibt es keine harten Sanktionen für Giftmüll exportierende Unternehmen.
Ein offenes Problem ist weiterhin vor allem die Entsorgung von Elektronikschrott (E-Schrott). Nach europäischem Recht, basierend auf der Basler Konvention von 1989, ist die Ausfuhr gefährlichen Abfalls – darunter fällt auch E-Schrott – in Nicht-OECD-Staaten seit Mitte der 1990er Jahre verboten. Dieses Verbot umfasst auch Exporte zu Recycling-Zwecken. Die Basler Konvention verankert das Prinzip, dass der Müll dort entsorgt und behandelt werden muss, wo er anfällt. Im Bereich des E-Schrotts spielt die EU eine Vorreiterrolle und hat eine entsprechende Richtlinie erlassen. In Österreich beispielsweise müssen Händler, die ein neues Gerät verkaufen, das alte zurücknehmen und sachgerecht entsorgen. Für die Entsorgung des übrigen E-Schrotts sind die Kommunen zuständig.
Die USA haben das Basler Abkommen zwar unterzeichnet, die Konvention aber nie ratifiziert und umgesetzt. Damit sind die Vereinigten Staaten das einzige Industrieland, das eine Ratifizierung der Giftmüll-Konvention abgelehnt hat. Gleichzeitig sind die USA unter den größten E-Schrott-Produzenten der Welt.

Ein Report der US-amerikanischen NGO „Basel Action Network“, kurz BAN mit Sitz in Seattle, bestätigt, dass der enorme Boom der Elektronik- und Informationstechnologie zu einem rasant wachsenden Müll-Strom geführt hat. Die meisten dieser elektronischen Geräte werden nach ihrer Nutzung als „gefährlicher Abfall“ eingestuft. Sie enthalten Chemikalien wie Flammhemmer, Weichmacher oder giftige Problemstoffe wie Blei oder Quecksilber. Besonders bei der Verbrennung und unsachgemäßen Weiterverarbeitung können zum Beispiel krebserregende Stoffe freigesetzt werden.
Mittlerweile ist die Nachfrage nach Informationstechnologie und High-Tech-Geräten auch in Entwicklungsländern enorm. So war es nur eine Frage der Zeit, bis westliche Geschäftsleute auf die Idee kamen, ausrangierte Geräte in Entwicklungsländer zu verschicken, oft großzügig als Entwicklungshilfe getarnt. So sollten zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: In Europa oder den USA würden die Entsorger entlastet und die armen Menschen des Südens könnten an der technologischen Revolution teilhaben. Doch wie der Bericht „The Digital Dump – Exporting Re-Use and Abuse to Africa“ der NGO BAN aufzeigt, sind diese Visionen nur Luftschlösser. Die bitteren Folgen dieser Exporte sind Gesundheits- und Umweltdesaster, sind brennende und leckende Deponien mit allen negativen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt.
In Lagos, Nigeria, kommen monatlich rund 500 Container vollgestopft mit Alt-Computern an. Jeder Container enthält rund 800 Computer oder Monitore, was in Summe rund 400.000 Stück pro Monat ergibt. Bei 75 Prozent dieser Geräte ist eine Reparatur unrentabel. Sie landen auf Deponien. BAN geht davon aus, dass diese in Lagos nachgewiesene Praxis kein Einzelfall ist und in vielen Entwicklungsländern stattfindet. Sie verfügen kaum über Möglichkeiten, diese Art gefährlichen Abfalls zu bewältigen.

In Österreich fallen derzeit pro Jahr rund 100.000 Tonnen Elektro- und Elektronikgeräte als Abfall an. Es ist damit zu rechnen, dass der Abfallstrom daraus in den Ländern der EU in den nächsten Jahren um 3 bis 5 Prozent anwachsen und sich damit in den nächsten zwölf Jahren verdoppeln wird. In Österreich ist die Umsetzung einer EU-Richtlinie zur Sammlung von Elektronikschrott schon weit fortgeschritten. Das Ziel, bis Ende 2006 vier Kilogramm Elektronikschrott pro Kopf in Österreich zu sammeln, wird sicher erreicht. ExpertInnen rechnen mit über sechs Kilogramm pro Kopf. Sie schließen aus, dass österreichischer E-Schrott auf chinesischen oder afrikanischen Mülldeponien landet.
Die meisten dieser Abfälle stammen aus den USA, vermutet BAN. Schätzungen gehen davon aus, dass 50 bis 80 Prozent der in den USA gesammelten Geräte nicht im Land recycelt werden, sondern auf Containerschiffen zum Beispiel nach China verschifft werden. Elektro- und Elektronik-Altgeräte sind aufgrund ihres Schadstoff- und Wertstoffpotenzials eine problematische, aber auch wertvolle Abfallart. Die Rückgewinnung der Wertstoffe wie Eisenmetalle, Aluminium, Kupfer und anderer Edelmetalle ist wegen der Heterogenität und der schadstoffhaltigen Bauteile schwierig.
Speziell in China, das einen Großteil der in Europa und den USA verkauften High-Tech-Geräte produziert, hat sich ein gefährliches System etabliert. Unter dem Zauberwort „Recycling“ zerlegen auf Müllhalden billige Arbeitskräfte ohne jede Schutzvorkehrung Computer und andere High-Tech Geräte, wobei giftige Gase austreten. Oft werden mit Hämmern bleihaltige Bildschirme zerschlagen oder es wird mit Säuren hantiert. Die gesundheitlichen Folgen sind verheerend: erhöhte Krebsraten, Chlorakne etc. Die gewonnenen Metalle und anderen Bestandteile werden der boomenden Elektronikindustrie in China zur Verfügung gestellt und gelangen damit wieder in den Warenfluss nach Europa und in die USA. Denn bis zu 80 Prozent der Elektronikgeräte, die in der industrialisierten Welt verkauft werden, stammen aus China oder anderen asiatischen Staaten. So schließt sich ein perverser Kreislauf, den die chinesische Bevölkerung mit ihrer Gesundheit bezahlt.

Andreas David Baur ist Pressesprecher der Umweltorganisation GLOBAL 2000.

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