Aus Farc-Kämpferinnen werden Wirtinnen

Von Sara Meyer · ·

Frieden, Frauen, Farianas: Wie ehemalige kolumbianische Rebellinnen ihr Leben nach der Guerilla organisieren.

In der Kolonialstadt Popayán, im im Südwesten Kolumbiens, in der alle Gebäude traditionell weiß angestrichen sind, steht ein bunt bemaltes Haus. Gesichter von lachenden Frauen und Blumen sind darauf zu sehen. Ehemalige Guerilla-Kämpferinnen der Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia, kurz Farc, wohnen darin. Sie nennen sich Farianas. Seit die kolumbianische Regierung und die Guerillagruppe Farc 2016 ein Friedensabkommen unterzeichnet haben, organisiert sich eine Gruppe Ex-Rebellinnen hier neu.

Beim Eintreten sind lautes Lachen und klirrendes Geschirr zu hören. Jeden Abend öffnen sie ihre Pforten. Sie betreiben ein Restaurant mit eigener Biermarke und selbstgemachten Produkten. Eine Wandgalerie zeigt die Geschichte der Frauen und deren Beteiligung am 50 Jahre andauernden Bürgerkrieg.
Heute ringen sie um neue Perspektiven. Nachhaltige Projekte sollen stabile Arbeitsverhältnisse bringen und den Frieden in der Region fördern. In anderen Teilen des Landes gründeten ehemalige Kämpfer:innen Modemarken, Tourismusagenturen oder leben vom Kaffeeanbau.

Unabhängigkeit bewahren

Viele der früheren Kämpferinnen traten als Minderjährige in die linke Guerilla ein und verbrachten mehr als die Hälfte ihres Lebens in der bewaffneten Gruppe, oft im Dschungel oder in abgelegenen Regionen weit weg vom kolumbianischen Alltagsleben. Die Farc hatte ihr eigenes Geschlechter-Regime: Frauen räumte sie die gleichen Rechte und Pflichten ein wie Männern. Alltagsaufgaben wie kochen, waschen, verarzten von Verletzten sowie das Absichern des Nachtlagers waren unter allen Farc-Angehörigen aufgeteilt. Die Rolle der Farianas unterschied sich demnach stark von der einer traditionellen Kolumbianerin.

Eine der Herausforderungen: sich diese Unabhängigkeit im neuen zivilen Leben zu bewahren, erklärt Erika Calderón, Sprecherin der Farianas. In ihrem Restaurant versuchen die Frauen auch, ihre feministischen Werte zu vermitteln. ,,Wir wollen gegen die historisch begründeten weiblichen Stereotypen und gegen Gewalt und Unterdrückung gegen Frauen ankämpfen, deshalb schufen wir diesen Ort”, so Calderón. Das Haus solle ein „Raum der Versöhnung und des Austausches“ sein.

Vergangenheit aufarbeiten

Diese Vision ist nicht leicht umsetzbar: Seit der Verabschiedung des Friedensvertrages wurden knapp 400 ehemalige Farc-Kämpfer:innen getötet. Die Gesellschaft im Andenland ist tief gespalten und befindet sich mitten in einem Prozess der Aufarbeitung der Kriegsverbrechen. Familienmitglieder vieler Kolumbianer:innen wurden in den vergangenen Jahrzehnten von rechten Paramilitärs, linken Guerillas, staatlichen Sicherheitskräften oder Drogenbanden getötet.

Die Vergangenheit hinter sich zu lassen und einen Prozess der Vergebung einzuleiten, sei nicht einfach, betont Calderón. Die Frauen müssen immer wieder Rückschläge hinnehmen. Sobald Arbeitgeber:innen von der Vergangenheit der Frauen erführen, verlören diese ihre Anstellung oder würden erst gar nicht eingestellt, berichtet die Sprecherin der Farianas. „Dann heißt es: So etwas brauchen wir hier nicht, komm nicht mehr hierher.“ Deswegen entscheiden sich viele der ehemaligen Aufständischen, ihre Vergangenheit zu verbergen.

Auch das Haus in Popayán war Opfer von Angriffen und Bedrohungen: Mehrere der Frauen wurden aufgesucht und bedrängt. Zudem hatte es einen bewaffneten Überfall gegeben. Ähnliche Friedens-Projekte der einstigen Guerilla wie ein Café in der Hauptstadt Bogotá haben die Gründer:innen aufgrund der nicht vorhandenen Sicherheit wieder einstellen müssen. Die Farianas glauben dennoch an den Frieden und bauen ihr Haus weiter als Begegnungsstätte aus.

Sara Meyer hat Recht, Internationale Beziehungen und Regionalstudien Lateinamerika in Deutschland und Kolumbien studiert, wo sie heute lebt. Sie schreibt u. a. für Amerika 21 und die Junge Welt über Menschenrechtsthemen, Feminismus und aktuelle politische Entwicklungen in Kolumbien, Paraguay und Mexiko.

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