Aus Gott wurde Liebe

Von Adin Hamzic · · 2008/07

Ein Text migriert quer durchs Mostviertel. Was passiert mit den Worten auf ihrer Reise? Ein Essay über eine neue Art „Stille Post“ als Kunstprojekt im Rahmen des Mostviertel-Festivals.

Mein Grün ist vielleicht dein Blau. Und dein Blau ist möglicherweise mein Orange. Man weiß es nicht so genau. Wenn du also von deinem blauen Himmel sprichst, sehe ich mein orangefarbenes Himmelsdach, dazu meine weißen, aber deine grauen Wolken.“
So fing alles an. Der kleine, polychrome Text, verfasst mit schwarzer Tinte auf dem weißen Papier, ging auf die kleine niederösterreichische Weltreise.
Dieser Ausgangstext wurde von in Niederösterreich lebenden mehrsprachigen Personen weitergegeben. Dreimal wanderte der Text durch verschiedene Sprachen (unter anderem Bosnisch, Tschetschenisch, Albanisch, Chinesisch, Türkisch) und wurde am Ende erneut ins Deutsche übersetzt.
Die Mitspieler, Migrantinnen und Migranten aus dem Mostviertel, die im bürgerlichen Leben StudentInnen, Dolmetscher oder Boutique-Besitzerinnen sind, veredeln und interpretieren durch eigene Übersetzung den Text neu und lassen auf diese Weise etwas Eigenes entstehen.
Schon im ersten Durchlauf, hervorgerufen durch die verschiedensprachige Metamorphose, verlor der Ausgangstext endgültig seine Originalität. Aus dem Himmel wurde Gott, aus Gott dann die Liebe, es schien außerdem so, als litten alle Mitspieler unter Farbenfehlsichtigkeit – sogar die (ursprünglichen) Farben ließ man aus und ersetzte sie teilweise durch neue Farbkombinationen.

Aber auch neue Wörter, die so im Originaltext nicht vorkamen, tauchten unvermutet auf und fanden ihren Platz und ihre Berechtigung in der Übersetzung. Tauchten aber diese Wörter tatsächlich unvermutet auf oder waren sie schon immer ein fester Bestandteil des Textes? Sichtbar für die einen, unsichtbar für die anderen?
Am Ende des ersten Durchlaufs, auf jegliches Kolorit verzichtend, stand nichts anderes da als eine Liebeserklärung, nämlich: Ich sehe deine Liebe. Ich spreche über deine Himmel. Ich sehe in weißen Himmeln deine Liebe. Bloß – wem galt diese Liebeserklärung; an wen richtete sich dieses Gebet? Ist da jemand?
Irgendwann, im Laufe des zweiten Durchlaufs, verschwanden dann der Himmel, die Liebe und der Gott, und die Botschaft, nun um eine neue Farbe reicher, erklang melancholisch, ja nahezu unheildrohend: Ich bin weiß. Du bist rot. Ich bin auch grün. Die Krankheit bin ich auch. Zum Beispiel, orange bin ich auch. Niemand weiß mein Geburtsdatum.
Abgesehen davon, dass es manchmal von Vorteil sein kann, wenn niemand mein Geburtsdatum kennt, stellt man mit dieser Aussage doch die eigene Existenz stark in Frage. Gibt es mich wirklich? Und wenn es mich gibt, wie wichtig bin ich für die, die mich wahrnehmen?
Kennt möglicherweise deshalb niemand mein Geburtsdatum, weil ich schon so lange hier bin, dass man sich an meine Ankunft nicht mehr erinnern kann? Also doch positiv – irgendwie.

Doch dann: Die Krankheit bin ich auch! Wie traurig, endgültig und unentrinnbar diese Worte doch klingen. Mit Krankheit verbindet man nichts Angenehmes, nichts Gutes, nichts, was man den anderen wünschen sollte.
Wenn ich aber schon eine Krankheit bin, welche Art des Leidens bin ich? Vielleicht etwas, was schnell kommt und wieder schnell vergeht? Oder doch etwas, was den großen und langen Kummer verspricht?
Der Text wurde insgesamt in neunzehn Sprachen übersetzt. Jedes Mal also, wenn der Text in eine neue Sprache transformiert wurde, bekam die alte Botschaft eine neue Bedeutung.
Was ist daraus erkennbar? Vielleicht ein Ist-Zustand? Oder eher ein Wunschdenken? Möglicherweise aber auch eine Sehnsucht? Die Botschaft ist aber nicht der Text, die nackte Übersetzung, sondern sie stammt von den Menschen, die sich – im wahrsten Sinne des Wortes – dahinter verbergen. Jene Menschen, die mit ihrer Zwei- oder Mehrsprachigkeit ihren Alltag bewältigen müssen.
Wir tadeln ihre sprachliche Ungenauigkeit, anstatt darin eine Chance zu sehen. Auch für uns. Lassen wir uns nicht allzu oft von der Akribie der Sprache fesseln? Sind wir nicht oft gezwungen, alles richtig zu benennen?
So wie unlängst von einer Dolmetscherin beschrieben, als sie sagte, dass nur KünstlerInnen und Kunstmenschen in der Lage sind, die Kunst zu verstehen, niemals aber Zivilisten. Mit Zivilisten meinte sie wohl Laien, „gewöhnliche“ Menschen, die sich eben mit der Kunst nicht auskennen. Nicht falsch, aber auch nicht richtig.

Adin Hamzic wurde in Zvornik, Bosnien und Herzegowina, geboren und im Zuge des Balkankrieges 1992 nach Österreich vertrieben.
Er hat Sozialwissenschaften in Sankt Pölten studiert und veröffentlichte Kurzgeschichten in Zeitschriften und Anthologien. 2007 erhielt er den Exil-Literaturpreis „Schreiben zwischen den Kulturen“. Er lebt in St. Pölten.


Eine fertige Toncollage des Projekts kann im Internet belauscht werden: http://members.aon.at/croete/
Wiederholung des Projekts am 3. Juli in Waidhofen/Ybbs und am 7. August in Haag.
Infos auf www.viertelfestival-noe.at/stillepost

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