BIOKRAFTSTOFFE

Alter Wein in grünen Schläuchen
Von Robert Poth · · 2007/05

Die aktuelle weltweite Ankurbelung der Produktion von Biokraftstoffen ist nationalen energie- und agrarpolitischen Interessen zu verdanken. Der Klimaschutz spielt eine Nebenrolle.

„Infektiös“ sei der Enthusiasmus rund um den Biokraftstoff-Sektor, heißt es in einer aktuellen Analyse der weltweiten Entwicklungen, verfasst für die Interamerikanische Entwicklungsbank (IADB). Und virulent, müsste hinzugefügt werden: Eine regelrechte Welle schwappt um den Globus, seit die steigenden Ölpreise die Wirtschaftlichkeit der Produktion von Ethanol und Biodiesel kräftig erhöht haben – ziemlich dauerhaft vor allem in Brasilien, wo Ethanol aus Zuckerrohr im Schnitt bereits ab einem Ölpreis von weniger als 35 US-Dollar pro Barrel konkurrenzfähig ist.
Nicht nur von Washington und Brüssel, sondern auch in Japan, China, Brasilien, Indien, Thailand, Malaysia oder Indonesien werden Beimischungsvorgaben für Ethanol und Biodiesel etabliert oder erhöht, die das zukünftige Marktvolumen erheblich vergrößern und gleichzeitig absichern. Seit 2000 hat sich die weltweite Produktion von Bioethanol verdreifacht, die von Biodiesel seit 2002 verfünffacht, vor allem getrieben vom starken Wachstum in den USA bzw. in der EU.
Mit knapp 20 Mrd. Liter Ethanol aus Mais haben die USA im Vorjahr den jahrzehntelangen Spitzenreiter Brasilien überholt, wo die Ethanolproduktion bereits seit der ersten Ölkrise in den 1970er Jahren staatlich gefördert wurde; dort deckt Ethanol mittlerweile rund 40% des Benzinverbrauchs im Straßenverkehr. Weltweit lag der entsprechende Anteil von Biokraftstoffen im Vorjahr zwar nur bei 1,6%, doch der Umsatz der Branche erreichte nach Angaben des Beratungsunternehmens Clean Edge bereits 20,5 Mrd. Dollar.
Brasilien ist mittlerweile zum zentralen Akteur eines Süd-Süd-Technologietransfers in Sachen Ethanolproduktion aufgestiegen, ob in Kooperation mit afrikanischen Ländern, Indien oder Indonesien; mit dem Nachbarland Argentinien droht dagegen ein „Biodieselkrieg“ sowohl um Exportmärkte als auch um den durch die neuen Biodieselbeimischungsvorschriften (2% bis 2008) geschaffenen Inlandsmarkt: Biodiesel aus Soja kann in Argentinien um Einiges billiger produziert werden.

In den letzten Monaten hat sich die Dynamik weiter verstärkt. Zuerst war es im Jänner US-Präsident George Bush, der das ehrgeizige Ziel vorgab, bis 2017 25% des Benzinverbrauchs oder rund 130 Mrd. Liter mit „alternativen“ Kraftstoffen zu decken – mehr als das Sechsfache der Menge von 2006; die EU folgte Anfang März mit der verbindlichen Vorgabe, bis 2020 mindestens 10% des verkehrsbedingten Benzin- und Dieselverbrauchs durch Biokraftstoffe zu ersetzen – eine Verzehnfachung gegenüber dem Stand von 2005. Diese Expansionspläne dürften den teilweise atemberaubenden Visionen eines internationalen Bioenergiehandels, die auf Regierungsebene, von internationalen Organisationen und diversen Lobbys gehegt werden, weiteren Antrieb geliefert haben.
Biokraftstoffen wird das Potenzial zugeschrieben, den weltweiten Handel mit Energie und Agrarprodukten weitgehend umzukrempeln. In weniger als 20 Jahren könnte Brasilien das „Saudi-Arabien des Ethanols“ werden und zehn Prozent des weltweiten Treibstoffverbrauchs im Verkehrssektor liefern, sogar afrikanische Länder könnten zu regelrechten „Biokraftstoff-Supermächten“ aufsteigen: Laut Biopact.com, einer nach eigenen Angaben privaten Bioenergie-Lobby, könnte Angola 2050 mit Biokraftstoffexporten Ölexporte von 2,6 Millionen Barrel pro Tag ersetzen; die niederschlagsreiche Region von Angola über Sambia bis Mosambik könnte mehr Ethanol aus Mais produzieren als die USA, glaubt etwa die First National Bank im südafrikanischen Johannesburg; allein in Indonesien werden Biodieselkapazitäten auf Palmölbasis bis zu 100 Mrd. Liter anvisiert.

Mit dem Potenzial von Biokraftstoffen, zu einer Reduktion von Treibhausgasemissionen beizutragen, hat das alles wenig zu tun. Denn die Sorgen von Umweltorganisationen, dass eine Ausweitung der Biokraftstoffproduktion, ob direkt oder indirekt, zur Zerstörung tropischer Wälder führen und damit jeden Reduktionseffekt aus ihrem Verbrauch zunichte machen könnte, sind berechtigt (siehe Kasten S. 30). Ginge es tatsächlich um die Realisierung dieses Potenzials, hätte bereits im Vorfeld eine Regulierung zumindest des internationalen Handels etabliert werden müssen.
Die „Triebkräfte“ der Expansion sind zweifellos geopolitische und ökonomische Interessen. Nach dem jüngsten Referenzszenario der Internationalen Energieagentur (IEA) wird die Treibstoffnachfrage des Verkehrssektors zwischen 2004 und 2030 weltweit um mehr als 21 Mio. Barrel pro Tag (bpd) zunehmen und damit für fast zwei Drittel der Steigerung der Ölnachfrage insgesamt verantwortlich sein. Ein Großteil der zusätzlichen Nachfrage wird im Süden generiert werden, insbesondere in Ländern wie China und Indien. Ob soviel Öl überhaupt gefördert werden kann, weiß aber niemand. Die IEA warnt seit einiger Zeit, dass dies ungeachtet des Umfangs der förderbaren Ölvorkommen nur unter erheblichem Investitionsaufwand der Fall sein wird. Diese Unsicherheit liefert ein äußerst schlagkräftiges Argument für Biokraftstoffe. Sie repräsentieren eine Möglichkeit, das Angebot auszuweiten, um allfällige in der Zukunft auftretende Engpässe besser abfedern zu können.

Biokraftstoffe bieten aber darüber hinaus ein mehrfaches Win-Win-Szenario: Man kann die Einkommen der lokalen Landwirtschaft ankurbeln, einen neuen Markt für die Agro-Industrie quasi aus dem Boden stampfen – im Norden wie im Süden – und, wichtig vor allem für arme Länder, eingesparte Devisen für andere Einfuhren und Ausgaben einsetzen. Und im Kontext der Verhandlungen über die Liberalisierung des Landwirtschaftshandels im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO kommen sie ebenfalls äußerst gelegen: Die Verbrennung landwirtschaftlicher Überschüsse in Automotoren senkt die Exporte aus dem Norden und stabilisiert die Weltmarktpreise, während allfällige Subventionen für im Inland verwendete Biokraftstoffe WTO-konform sind. „Wir könnten die Doha-Gespräche in wenigen Tagen abschließen“, erklärte WTO-Generaldirektor Pascal Lamy im Februar gegenüber der Berliner taz. Zu guter Letzt haben höhere Zuckerpreise das Potenzial, auch die Probleme jener AKP-Länder wie Jamaika zu mildern oder zu lösen, die mit der Liberalisierung ihren bisherigen garantierten Zuckerexportmarkt in der EU zu verlieren drohen.

In welchem Umfang die Vision eines groß angelegten internationalen Biokraftstoffhandels Realität wird, ist aber ungewiss. Ein Faktor ist die Handelspolitik. Derzeit überwiegt nicht nur in der EU oder in den USA, sondern überall, auch was die Produktion von Biodiesel in Malaysia und Indonesien betrifft, die Dynamik der internen Expansion. Nur ca. 10% der Produktion wurden im Vorjahr international gehandelt. In der EU sind derzeit einige Großprojekte zur Produktion von Ethanol aus Weizen in Planung, den dafür teuersten Rohstoff, die wohl nur hinter Zollmauern bestehen werden können. In den USA wird der Maisanbau für Ethanol, das ebenfalls mit Zöllen vor Importen aus Brasilien geschützt wird, in extremer Weise forciert, unter anderem auch aus wahltaktischen Gründen (auf die zehn wichtigsten Maisanbau-Bundesstaaten entfallen fast 40% der Wahlmänner, die man für eine Wahl zum Präsidenten benötigt).
Welche Überschussnachfrage nach Eigenproduktion und Zollschutz am Weltmarkt aber auch immer wirksam wird, decken werden sie im Wesentlichen die billigsten und effizientesten Anbieter in tropischen Breiten, und das sind Großproduzenten in Ländern wie Argentinien, Brasilien, Malaysia und Indonesien. Auch die EU-Kommisson gab in einer Mitteilung im Vorjahr allenfalls Simbabwe oder Swasiland Chancen, im Ethanolexport mitzumischen.

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor sind die Ölpreise, die bereits begonnen haben, als „Untergrenze“ für die Preise energetisch verwertbarer Agrarprodukte zu funktionieren (bei Zucker ist das bereits zu beobachten): Steigt der Ölpreis, wird zuerst der billigste Biokraftstoff, dann der nächste usw. potenziell wettbewerbsfähig; sinkt er wieder, dreht sich der Prozess um. Mehr Nachfrage nach diesen Rohstoffen treibt aber deren Preise hoch. Die Wirtschaftlichkeit einer Kraftstofferzeugung auf Basis von Rohstoffen, die einer konkurrierenden Nutzung unterliegen, ist daher nicht vorhersehbar. Zuletzt lagen die Maispreise in den USA bereits über der Rentabilitätsschwelle, davor war Rapsöl in der EU plötzlich zu teuer geworden. Nun haben auch die Palmölpreise derart angezogen, dass fossiles Öl wieder billiger ist. Bei Biodiesel aus Soja wiederum fällt eine für die Wirtschaftlichkeit wichtige Menge an Sojakuchen an; kommt es hier zu einem Preisverfall, ist die ganze Produktion bedroht.
Sicher ist auch, dass sich der in der EU und den USA bereits laufende Konzentrationsprozess beschleunigen wird und kleinere lokale Anbieter untergehen werden, sofern sie nicht mit Subventionen rechnen können. Die „soziale Nachhaltigkeit“ spielt nur am Rande eine Rolle, etwa in Form des Programms „Combustível Social“ (Sozialer Treibstoff) in Brasilien, das kleinere Soja-Produzenten als Lieferanten der Industrie begünstigt.
Dem entspricht auch die Konzentration auf der Nachfrageseite: Beimischung zu fossilen Kraftstoffen erfordert die Mitwirkung der Ölkonzerne, die ihren Vertrieb kontrollieren, und der Autoindustrie. In den USA zumindest sind die Ölkonzerne nicht begeistert: Die jüngsten Vorgaben für 2017 wären mit Ethanol aus Mais nicht zu erreichen, sondern nur mit Ethanol aus Zellulose (siehe Artikel S. 34), und dafür gebe es noch keinen wirtschaftlichen Anbieter. Klar: Es sind die Ölkonzerne, die Ethanol zukaufen und beimischen müssen; teures Ethanol könnte ihre Gewinnmargen reduzieren.
Sollten Verfahren zur Produktion von Ethanol aus Zellulose allerdings wirtschaftlich werden, wird sich nicht nur der Konzentrationsprozess durch höheren Kapitalbedarf und Patentschutz verschärfen. Dann könnten auch die Exportmärkte im Norden oder in China und Indien, mit denen heute spekuliert wird, zumindest teilweise wieder verschwinden oder erst gar nicht entstehen.

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