Bitterer Nachgeschmack

Von Friedel Hütz-Adams · · 2014/02

Kakao ist eine sensible Pflanze, die intensiv gepflegt werden muss. Angebaut wird Kakao von Millionen von Kleinbäuerinnen und -bauern, deren soziale und wirtschaftliche Lage sich angesichts deutlich gesunkener Weltmarktpreise in den letzten dreißig Jahren stark verschlechtert hat. Dafür trägt die Schokoladenindustrie eine Mitverantwortung, die einen enormen Konzentrationsprozess durchmacht. Kakaosiegel schaffen gewisse Verbesserungen, reichen allein aber nicht aus.

Der Weg der Schokolade von der Luxusware zum Alltagsprodukt war weit. Ursprünglich in Mittel- und Südamerika beheimatet, entdeckten ihn die EuropäerInnen in der Kolonialzeit für sich. Zunächst ein Statussymbol der Aristokraten, entwickelte sich Kakao ab Mitte des 17. Jahrhunderts zu einem weit verbreiteten Getränk.

Mit Beginn des 19. Jahrhunderts begann die Entwicklung von Maschinen, die den Kakao mit Milchpulver und Zucker verrühren und die Herstellung von Schokolade in großem Umfang ermöglichten. Damit entstand ein Produkt für den Massenmarkt, das viel leichter zu transportieren und konservieren war als Getränke aus Kakao. Der Ausbau der Fabriken und neue Entwicklungen bei den Maschinen führten zu einer immer größeren Nachfrage, der Rohstoff Kakao wurde knapp.

Die Schokoladenproduzenten in Europa mussten außerhalb des amerikanischen Kontinentes nach neuen Anbaugebieten suchen, waren aber an enge natürliche Grenzen gebunden: Der Kakaobaum benötigt gute Böden, eine monatliche Durchschnittstemperatur von über 20 Grad Celsius, mag es warm, aber nicht zu heiß, und verlangt mindestens 1.500 Millimeter Niederschlag pro Jahr, der wiederum richtig aufs Jahr verteilt sein muss. Nur einige Gebiete entlang des Äquators erfüllen diese Anforderungen. So brachten Briten und Franzosen den Kakaoanbau in ihre Kolonien an der westafrikanischen Küste, die Niederländer in ihre Kolonie Indonesien.

Der Anbau von Kakao ist nicht einfach. Baum und Früchte werden von Pilzen, Parasiten und Viruserkrankungen befallen. Kakaoplantagen und -bäume müssen daher permanent gepflegt werden. Zudem müssen auf den Plantagen die unter den Kakaobäumen wachsenden Pflanzen beseitigt werden, um ein Überwuchern der Fläche zu verhindern. Meist geschieht dies auch heute noch nicht durch Pestizide, sondern mit einfachsten Hilfsmitteln wie Macheten.

Ebenfalls sehr arbeitsintensiv ist die Verjüngung der Plantagen. In Westafrika stehen durchschnittlich 1.100 Kakaobäume auf einem Hektar. Neuere Sorten tragen nach zwei bis drei Jahren die ersten Früchte und haben wenige Jahre später das optimale Produktionspotenzial erreicht. Nach rund 20 Jahren lässt der Ertrag nach und die Bäume sollten ersetzt werden. Dafür müssen ständig neue Setzlinge herangezogen werden.

Die Erntephase dauert anders als bei hiesigen Früchten Monate, da die Kakaoschoten nicht gleichzeitig reifen: Von Oktober bis April (Haupternte) und Mai bis August (Nebenernte) müssen reife Früchte mit Macheten von den Bäumen geschnitten, zu Sammelstellen getragen, geöffnet und die Kakaobohnen entfernt werden. Dann müssen die Bohnen rund fünf Tage lang in eigens dafür angelegten Bottichen gären, wobei sie ständig beobachtet und gewendet werden müssen. Es folgt die Trocknung, die erneut mehrere Tage oder je nach Wetter sogar Wochen dauert und genau überwacht werden muss. All diese Schritte werden in Handarbeit verrichtet.

Der arbeitsintensive Anbau, die langwierige Ernte und Nachbehandlung sowie die Empfindlichkeit der Pflanze haben dazu geführt, dass große Plantagen häufig nicht kostendeckend arbeiten. Lediglich in Brasilien dominieren diese, doch die Ausbreitung von Krankheiten hat dort große Anbauflächen zerstört.

Mehr als 90 Prozent des Kakaos werden von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern geerntet. Schätzungen zufolge gibt es zwischen fünf und sechs Millionen Kakaoplantagen, die in der Regel weniger als fünf Hektar umfassen. Sie werden von Familien bewirtschaftet, die einen großen Teil der anfallenden Arbeiten leisten, ein Teil von ihnen heuert zudem noch Arbeitskräfte an. Insgesamt trägt der Kakaoanbau zum Lebensunterhalt von mehreren Dutzend Millionen Menschen bei.

Großkonzerne dominieren den Markt. Die Kleinbäuerinnen und -bauern verkaufen den Kakao in der Regel an Zwischenhändler, die entweder den Kakao an weitere Zwischenhändler weiterverkaufen oder selbst den Kakao in die Lagerhäuser der Häfen bringen und dort an international operierende Unternehmen verkaufen. Seit einigen Jahren versuchen diese internationalen Unternehmen verstärkt, direkte Kontakte mit den Bäuerinnen und Bauern aufzubauen und diesen die Bohnen selbst abzukaufen.

Die internationalen Aufkäufer der Kakaobohnen verfügen entweder selbst über Kapazitäten, um den Kakao zu rösten und zu mahlen oder verkaufen diesen weiter. Erst auf der nächsten Stufe der Wertschöpfungskette folgen in der Regel die eigentlichen Schokoladenhersteller. Bevor die Schokolade im Mund der VerbraucherInnen landet, folgt noch der Einzelhandel.

Der Bohnenhandel, die Schokoladenherstellung und der Einzelhandel werden jeweils von einer Handvoll Unternehmen dominiert. Innerhalb dieser Kette ist es in den letzten Jahren zu einem starken Konzentrationsprozess gekommen. Einige Unternehmen haben sich auf einzelne Bereiche der Wertschöpfungskette spezialisiert.

Große Süßwarenunternehmen verarbeiten meist keine Kakaobohnen mehr selbst, sondern bekommen bereits fertige Kakaomasse von anderen Unternehmen geliefert. Die Branche ist besorgt, weil der Handel und die erste Verarbeitungsstufe der Bohnen durch eine Reihe von Firmenübernahmen mittlerweile stark konzentriert ist: Der schweizerische Konzern Barry Callebaut ist durch eine Firmenübernahme 2013 zum mit Abstand größten Händler, Kakaovermahler und Hersteller von Flüssigschokolade geworden. Einer der größten Konkurrenten am Markt, der US-Konzern ADM, plant derzeit den Verkauf seiner Kakaosparte; als möglicher Käufer wird das Unternehmen Cargill gehandelt, das bereits jetzt einer der größten Kakaohändler ist. Dann würden nur zwei Konzerne rund die Hälfte des Marktes kontrollieren.

Sinkende Preise und Kinderarbeit. Die Einnahmen der Kakaobauernschaft schwanken sehr stark und sind langfristig deutlich gefallen. Ein Kakaobauer erhielt im Jahr 1980 inflationsbereinigt je Tonne Kakao fast 5.000 US-Dollar, im Jahre 2000 waren es nur noch 1.200 Dollar, 2013 sind es rund 2.500 Dollar. Der langfristig sinkende Kakaopreis führte zur Verarmung von Millionen Bäuerinnen und Bauern, die noch vor wenigen Jahrzehnten mit dem Kakaoanbau oftmals gute Einnahmen erzielen konnten. Sie versuchen, die niedrigeren Einnahmen durch eine Senkung der Kosten aufzufangen. Dies ist eine der Ursachen für die Kinderarbeitsskandale der Branche: Da sie keine Erntehelfer mehr bezahlen können, setzen sie verstärkt ihre eigenen Kinder oder auch angeheuerte Kinder ein.

In Westafrika arbeiten hunderttausende Kinder unter Bedingungen, die sowohl laut den nationalen Gesetzen als auch laut internationalen Standards verboten sind. Die Kinderarbeit ist ein Symptom für die schlechte Situation vieler Kakaoanbauer. Am schlimmsten ist die Situation in der Elfenbeinküste, von wo rund 35 Prozent der weltweiten Ernte stammen (siehe Beitrag Seite 40).

Die Elfenbeinküste hat die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ratifiziert und sich damit verpflichtet, gegen Kinderarbeit vorzugehen. Lediglich leichte Arbeiten sind erlaubt, die weder die Gesundheit der Kinder noch den Schulbesuch gefährden. Die Gesetze des Landes verbieten zum Beispiel, dass Kinder große Bäume fällen, Brandrodung betreiben, Chemikalien benutzen, Dünger ausbringen oder schwere Lasten tragen. Die Schulpflicht gilt im Alter von sechs bis 15 Jahren.

Presseberichte in den USA und in Großbritannien über Kinderarbeit auf den Kakaoplantagen drohten 2000 und 2001 das Image des „süßen, unbeschwerten Genusses“ von Schokolade zu beschädigen. Eine Gesetzesinitiative mehrerer US-Politiker wollte daraufhin die Kakaoeinfuhr aus Ländern, in denen verbotene Kinderarbeit stattfindet, untersagen. Durch intensive Lobbyarbeit der Schokoladeindustrie wurde aus einem Gesetz eine freiwillige Vereinbarung, das Harkin-Engel-Protokoll, das im Jahr 2001 von Verbänden der Kakao- und Schokoladenbranche unterzeichnet wurde. Vereinbart wurde lediglich die schnelle Abschaffung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, nicht jedoch grundlegende Veränderungen der internationalen Handelskette, um den Bäuerinnen und Bauern ein menschenwürdiges Auskommen zu sichern. In den folgenden Jahren wurde der Zeitplan zur Umsetzung des Protokolls immer weiter verlängert – derzeit gilt 2020 als Zieldatum –, die vereinbarten Ziele wurden verwässert.

Armut ist nach Aussage der Betroffenen der Hauptgrund, warum ihre Kinder arbeiten und nicht zur Schule gehen. Verbesserungen sind also nur durch eine deutliche Erhöhung der Einkommen der Bauern möglich. Aufgrund der gefallenen und stark schwankenden Kakaopreise haben viele Bäuerinnen und Bauern nicht mehr in ihre Plantagen investiert, ein großer Teil der Bäume ist älter als 20 Jahre. Darüber hinaus haben die Bauern kein Geld, um ausreichende Mengen Dünger und Pestizide zu kaufen. So ernten sie in der Regel nur rund 400 Kilogramm Kakao je Hektar – möglich wäre mehr als das Doppelte. Die Regierungen vieler Anbauländer unterstützen die Bauern nicht in dem Maße, das notwendig wäre. Es fehlt an Weiterbildungsmöglichkeiten, Infrastruktur wie Straßen und Schulen sowie an Möglichkeiten, Kleinkredite aufzunehmen.

Da viele Bäuerinnen und Bauern angesichts der unsicheren Situation auf dem Kakaomarkt überlegen, auf andere Früchte umzusteigen, befürchten die Schokoladenproduzenten Engpässe bei der Versorgung mit ihrem Rohstoff. Ebenfalls besorgniserregend für die Kakaoindustrie ist das Durchschnittsalter der Bäuerinnen und Bauern, das in Westafrika bei rund 50 Jahren liegt. Es ist ungewiss, ob die Kinder angesichts der geringen Einkommen noch Kakao anbauen werden, wenn ihre Eltern eines Tages dafür zu alt sind.

Viele Projekte der Industrie setzen darauf, die Erntemengen zu erhöhen und die Kakaoqualität zu verbessern, um die Einkommen der Bauern zu erhöhen. Durch die zu starke Steigerung der Erntemengen drohen jedoch ein Überangebot auf dem Kakaomarkt und damit ein erneuter Preisverfall.

Zertifizierung allein reicht nicht aus. Neben eigenen Projekten arbeiten viele Unternehmen mit standardsetzenden Organisationen wie Fairtrade, Rainforest Alliance und Utz Certified zusammen. Diese beraten Bauern, bauen nachvollziehbare Handelsketten auf, setzen in der Produktion Mindeststandards durch und versuchen, für den unter besseren Bedingungen produzierten Kakao Abnehmer zu finden. Die von ihnen kontrollierten Waren werden mit einem Siegel gekennzeichnet und auf dem internationalen Markt angeboten. Dieses Siegel garantiert, dass beim Kakaoanbau soziale und ökologische Mindeststandards eingehalten werden.

Derzeit erhalten die Bauern pro Tonne zertifizierten Kakaos durchschnittlich eine Prämie von rund zehn Prozent des Weltmarktpreises. Die Mehrkosten für die Schokoladenhersteller, die aus der Prämie sowie dem bürokratischen Aufwand bestehen, liegen je nach Zertifizierungsorganisation etwa bei 0,5 bis 1 Cent je 100-Gramm-Tafel Vollmilchschokolade. Die Menge zertifizierten Kakaos ist in den letzten Jahren massiv gewachsen. Schätzungen zufolge wurden 2012 rund 20 Prozent der weltweiten Ernte nach Standards produziert, wobei allerdings viele Kooperativen und Bauernzusammenschlüsse mehrfach zertifiziert sind, so dass die tatsächlich verfügbare Kakaomenge aus kontrolliertem Anbau deutlich unter diesen 20 Prozent liegt – Tendenz jedoch schnell steigend.

Die Zertifizierung ist allerdings nur ein Werkzeug, um die Wertschöpfungskette transparenter zu machen. Entscheidend für eine Verbesserung der Situation der Bauernschaft bleibt eine deutliche Einkommenssteigerung. Die für zertifizierten Kakao gezahlten Prämien allein reichen in aller Regel nicht aus, um die Situation der Bäuerinnen und Bauern nachhaltig zu verbessern. Die Trainingsprogramme für die Bauern sollten über Maßnahmen zur Verbesserung des Kakaoanbaus hinaus Anleitungen umfassen, wie diese ihren Anbau diversifizieren können, um so ihr Risiko zu mindern.

Auch muss die Frage gestellt werden, wie hoch der Preis für Kakao eigentlich sein müsste, um den Bäuerinnen und Bauern ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Diese Debatte stößt zwar bei einigen Marktbeteiligten auf starken Widerstand, und es sind kartellrechtliche Bedenken zu beachten. Ohne eine offene Diskussion über diese Fragen werden die Unternehmen bei sinkenden Preisen erneut mit sich verschärfenden Missständen im Kakaoanbau konfrontiert sein. Es gilt hier, innovativer als bislang zu denken – mögliche Alternativen könnten flexible Prämien, die bei sinkenden Preisen steigen, oder Preissicherungsmechanismen in Form von Versicherungssystemen sein.

Verbindliche Regelungen und Gesetze sind erforderlich. Letztendlich zeigt die Debatte um Kakao Probleme auf, die es auch bei vielen anderen Produkten gibt: Unternehmen müssen dazu verpflichtet werden, in ihrer Lieferantenkette die Einhaltung internationaler Gesetze und Standards durchzusetzen. Die Voraussetzungen dafür könnten auf nationaler Ebene durch ein Gesetz geschaffen werden, das es ermöglicht, bei gravierenden Missständen in der Produktionskette gegen Unternehmen klagen zu können. So ein Gesetz könnte den Druck auf die Hersteller von Kakaoprodukten sowie auf die Einzelhandelsketten erhöhen. Diese sind für den enormen Preisdruck verantwortlich, der einen angemessenen Kakaopreis verhindert.

Friedel Hütz-Adams ist Mitarbeiter des Südwind-Instituts in Siegburg.

Dieser Beitrag erscheint im Rahmen der Medienkooperation mit der Zeitschrift Südlink / Berlin.

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