Büchertips

Von Redaktion · · 1999/11

Der verzauberte Blick

Das Naturbild berühmter Expeditionen aus drei Jahrhunderten

Geo, Frederking &Thaler, München 1999. 335 Seiten öS 715,-

Verzaubert ist der Blick, jedoch auch durchaus naturgetreu – fanden die Reisen, um deren Bildbeute es in diesem prächtig ausgestatteten Bildband geht, doch alle schon im und nach dem Zeitalter der Aufklärung statt – in einem faszinierenden Abschnitt der Geschichte der Naturwissenschaften, die noch ohne Fotografie auskommen mußten.

Das Vermächtnis der Zeichner und Malerinnen dieser Epoche – bezahlter, wenn auch „ruhmloser Könner“ – soll mit diesen Buch gewürdigt werden. Zum Beispiel die wunderschönen Aquarelle der Maria Sibylla Merian. Die Tochter eines Kupferstechers aus Frankfurt brach im Juni 1699 mit ihrer Tochter in die neue Welt auf. Manche der Beschreibungen in der Systematik von Carl von Linné, des Vaters der modernen botanischen und zoologischen Systematik, beruhen allein auf den präzisen Darstellungen von Merian. Oder die Bilder des Österreichers Ferdinand Bauer, der als der bester Pflanzenmaler seiner Zeit galt und 1801 an Bord der „Investigator“ nach Australien aufbrach.

Der begleitende Text bedient ein vorwiegend naturwissenschaftlich interessiertes (und auch kenntnisreiches) Publikum. Der Forschungsalltag dieser lebensgefährlichen Aufbrüche in eine völlig unbekannte Welt wird nur am Rande gestreift. Auf Landkarten als Orientierungshilfe beim Nachvollziehen der Seefahrten wurde bedauerlicherweise verzichtet. Und wenn das zeitgenössische Menschenbild und Denken auch faszinierende Themen gewesen wären – der Bildband hat einen klaren Fokus: die ästhetische und wissenschaftliche Qualität der Bilder, deren Originale sich im Besitz des Museum of Natural History in London befinden.

Die Würdigung von Zeichnern und Malern im Dienste der Wissenschaft ist mehr als ein Tribut an die Geschichte. Auch heute noch sind KünstlerInnen in der Wissenschaft unverzichtbar – feine Farbtönungen und bestimmte morphologische Merkmale werden auch im Zeitalter von Holografie, digitaler Fotografie und virtueller Realitäten am besten noch von Hand und Auge eines Künstlers erfaßt.

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Paul M. Zulehner, A. Pelinka, H. Denz und R. Zuba (Hg.)

Wege zu einer solidarischen Politik

Tyrolia, Innsbruck-Wien 1999 275 Seiten. öS 144,-

Jene Partei in Österreich, die eine politisch unsolidarische Position vertritt, die FPÖ, kann auf das stärkste solidarische Wählerpotential verweisen. Absolut unlogoisch? Nein, das ist ein Ergebnis der Solidaritäts-Studie des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Werteforschung in Wien.

Die Autoren verwenden einen weiten Solidaritätsbegriff und machen Spannungen zwischen den Geschlechtern, zwischen den Generationen und zwischen Arm und Reich zum Ausgangspunkt ihrer Befragungen.

Die Ergebnisse der Studie sind statistisch genau ausgearbeitet und nach einzelnen Fragestellungen dokumentiert. Die Leserschaft lernt die österreichischen Parteien unter dem Aspekt „Solidarität“ besser kennen. Eine Kernfrage des Buches ist, wie sich die Meinung der potentiellen WählerInnen zu den politisch Verantwortlichen verhält.

Die Ergebnisse machen nachdenklich. Die FPÖ mit ihrer angstbesetzten Entsolidarisierungspolitik kann auf ein stark solidarisches Wählerpotential verweisen. Auch die ÖVP setzt auf eine solidarische Wählerschaft. Die SPÖ wiederum hat eher Schwierigkeiten, ihre verängstigte Wählerschaft solidarisch zu stimmen, trotz programmatischer Solidarität. Die größte, zumindest rhetorische Übereinstimmung zwischen Wählenden und politisch Verantwortlichen gibt es bei den Grünen.

Die Meinungen über den Stellenwert der Solidarität in Form von Entwicklungszusammenarbeit gehen stark auseinander. So bejahen 96% der WählerInnen der Grünen die Entwicklungshilfe, während sich nur 26% der FPÖ-WählerInnen dafür aussprachen. Mit 92% drückt die ÖVP-, mit 84% die SPÖ- und mit 80% die LIF-Wählerschaft ihre positive Haltung zur Entwicklungszusammenarbeit aus.

Eine wichtige Schlußfolgerung der Studie ist die Erkenntnis, daß eine solidarische Politik der beste Weg in eine friedliche Zukunft ist. Solidarische Politik kann aber in Demokratien nur dann gemacht werden, wenn sie von der Bevölkerung gewählt und von den politischen Verantwortlichen vollzogen wird.

Lydia Matzka

Helmut Opletal (Hg.)

Doi Moi – Vietnam im Aufbruch

Brandes&Apsel/Südwind, Frankfurt a.M./Wien, 1999. 120 Seiten, öS 181,-

Vietnam ist nicht nur aus den Schlagzeilen, sondern generell aus der Berichterstattung der Medien nahezu verschwunden. Das Ende des Krieges liegt 24 Jahre zurück und erlangt nur noch indirekt Aufmerksamkeit – etwa als das neue US-Konsulat eröffnet wurde. Doi Moi, der Ende der achtziger Jahre eingeleitete wirtschaftliche Reformkurs, hat die Chancen nicht in dem Tempo eröffnet, wie es sich die Auslandsinvestoren in ihrer ersten Euphorie erhofft hatten. Von der jüngsten Asienkrise war das Land umgekehrt nicht in dem Maße betroffen wie einige seiner südostasiatischen Nachbarn.

Dort wo die Medien aufgrund ihrer Orientierung auf die „großen“ Ereignisse auslassen, setzt das vom ORF-Redakteur und Asien-Experten Helmut Opletal herausgegebene vorliegende Buch an. Beruhend auf einem im Juni des Vorjahres in Wien organisierten Symposium zum Thema „Aktuelle Entwicklung in Vietnam/Vietnam und Österreich“ erstellt es eine Bestandsaufnahme des Landes abseits von Schlagzeilenhascherei und Sensationslust.

In insgesamt neun Beiträgen wird eine Bilanz über zehn Jahre Doi Moi gezogen, werden Armut und Regionalentwicklung in Vietnam beleuchtet sowie Vietnam und sein regionales Umfeld nach dem Ende des Ost-West-Konflikts untersucht. Den wirtschaftlichen Perspektiven des Landes in der Asienkrise ist ebenso ein Beitrag gewidmet wie der Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen des österreichischen Regionalkonzepts für Südostasien.

Ergänzt werden diese eher nüchternen, faktenorientierten Artikel durch sehr persönliche Annäherungen von Opletal und Christa Esterhazy, die sich aus ihrer Zeit als Betreuerin von Projekten in Vietnam in den achtziger Jahren eine nicht zu verhehlende Begeisterung für dieses Land bewahrt hat, sowie Reminiszenzen einstiger österreichischer Vietnam-Solidaritäts-Bewegter. Während letztere hierzulande debattierten, organisierten und demonstrierten, trat der in Beijing studierende Opletal schon in den siebziger Jahren seine erste Vietnamreise an. Eine zweimalige Rückkehr in jeweils etwa Zehnjahresabständen ermöglicht es ihm, aus eigener Anschauung die dramatischen Veränderungen zu dokumentieren – Teile des Buches, die fast zu knapp ausgefallen sind, liefern doch gerade sie, über Zahlen und Fakten hinaus, ein greifbarereres Bild Vietnams.

Brigitte Voykowitsch

Andreas Wenderoth

Mit Ach und Krach nach Wladiwostok. Transsibirische Reise.

Picus Verlag, Wien 1999. 144 Seiten, öS 204,-.

Die Fahrt auf der über 9 000 km langen Strecke von Moskau nach Wladiwostok gerät unversehens zu einer gleichnishaften Reise durch einen verfallenden Staat, dessen Auflösungserscheinungen die „Transsib“ ebenso betreffen wie die Menschen, denen der Autor auf der Zugfahrt und bei den Zwischenaufenthalten begegnet.

Der Berliner Journalist Andreas Wenderoth bedauert einleitend selbst, in seiner Reportage über die russische Gesellschaft so wenig Positives berichten zu können. Doch er könne nun einmal nur darüber schreiben, was er gesehen und erlebt habe, so der Autor in der Einleitung, und so sei das Ganze eben keine „romantische Geschichte“ geworden: vom materiellen Verfall der Transsibirischen Eisenbahn, bei der in den letzten beiden Jahren 180.000 Stellen eingespart wurden, von der radikalen Aushungerung von Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen, von einem alkoholkranken, führungsunfähigen Staatspräsidenten und von der allumfassenden Korruption, die die russische Gesellschaft wie ein Krebsgeschwür befallen hat.

Ein Interview mit dem Bürgermeister von Wladiwostok am Ende dieser Reise durch die russische Nacht beleuchtet als schockierende Momentaufnahme den Krankheitszustand dieser von mafiösen Gruppierungen beherrschten Gesellschaft. Bürgermeister Viktor Tscherepkow, ein unbestechlicher Ankläger dieser „Schattenmachtstruktur“, schläft aus Furcht vor Attentaten in seinem Arbeitszimmer und kämpft nicht nur gegen die Kriminalität, sondern auch gegen die lokalen und regionalen Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft. Vom Standpunkt der Verwundbarkeit aus sind die Waffen der Mafia natürlich stärker, meint der Bürgermeister, aber „auch die Mafia ist nicht unsterblich“. Für ein baldiges Ende gibt es jedoch keine Anzeichen im heutigen Rußland.

WeH

Hermann Schulz

Iskender

Carlsen Verlag, Hamburg 1999. 231 Seiten, öS 190,-.

Eine Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit beruht. Der junge türkische Gastarbeiter Asaf verliebt sich im Ruhrgebiet in eine deutsche Prostituierte. Die Beziehung dauert nur kurz, hinterläßt aber dauerhafte Spuren: Alexander. Der Vater erfährt erst Jahre später davon. Die Mutter ist inzwischen bei einem Autounfall gestorben, das verhaltensgestörte Kind lebt in einem Heim für „Schwachsinnige“.

Der Vater versucht mit großer Geduld, durch zahlreiche Wochenendbesuche im Heim, die Zuneigung seines Sohnes zu erlangen. Schließlich entführt er ihn, mit Hilfe eines türkischen Freundes, und bringt ihn in die Türkei, wo Alexander – dort Iskender genannt – bei Asafs Eltern aufwächst. Iskender legt allmählich alle Verhaltensstörungen ab und entwickelt sich zu einem kräftigen, gesunden Buben.

Die deutsche Vertretungsbehörde in Ankara hat jedoch von dem „deutschen“ Kind erfahren und fordert nach einem Jahr dessen Rückführung nach Deutschland, wo der Junge wieder in ein Heim gebracht wird.

Hermann Schulz, im „Hauptberuf“ seit mehr als drei Jahrzehnten Leiter des Hammer-Verlages in Wuppertal, kleidet diesen Sachverhalt in eine bewegende Rahmenhandlung, die den Leser, die Leserin von Anfang an gefangen nimmt, in eine Welt der Emotionen fesselt, aus der es bis zum Ende der Lektüre kein Entkommen gibt – in dieser Hinsicht ähnlich seinem im selben Verlag, erschienenen Roman „Auf dem Strom“, der von der Kritik hoch gelobt wurde (s. SWM 11/98, S.37).

Erfreulich für unseren Gemütshaushalt, wenn der Autor die Geschichte mit einem glücklichen Ende ausgehen läßt: Asaf wird offiziell die Vaterschaft zugesprochen, Iskender aus Deutschland „ausgebürgert“ und kann somit in der Türkei bleiben.

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