Das Dilemma des Hugo Chávez

Von Knut Henkel · · 2009/09

Im elften Jahr der bolivarischen Revolution hat Venezuelas Präsident mit zunehmenden Problemen zu kämpfen. Die Erdöldollars sprudeln nicht mehr so kräftig und die Agrarreform kommt nicht vom Fleck.

Die dunklen Eichenfässer stapeln sich bis unter das Dach der weitläufigen Lagerhalle. Diffuses Sonnenlicht dringt in die Halle, und ein leichter Geruch von Rum hängt in der Luft. Mindestens zwei Jahre reift der Rum in den Fässern aus amerikanischer Eiche. „Doch die ältesten Tropfen haben deutlich mehr auf dem Buckel“, erklärt Ciolis Mare. Die Managerin der Rumfabrik El Muco in Carúpano weist den Weg in die nächste Halle, wo die Abfüllanlage aus den 1960er Jahren steht. Hier wird alle paar Wochen der Nachschub aus den Stahltanks in der benachbarten Halle in die braunen Flaschen abgefüllt.

Heute ist hier keine Menschenseele, denn im Lager stehen noch einige Paletten mit hochprozentiger Ware, erklärt die etwa fünfzigjährige Spirituosenfachfrau.

Im Bundesstaat Sucre, zu dem Carúpano gehört, wird traditionell Zuckerrohr angebaut, welches in zwei Zuckermühlen verarbeitet wird. Doch die Destillerie, die früher die Rumfabrik El Muco belieferte, gibt es nicht mehr. „Sie wurde von der Regierung übernommen, doch alles, was die Regierung in die Hände nimmt, zerbröselt zu Staub“, ätzt Ciolis Mare. Die Frau ist nicht gut auf die Regierung in Caracas zu sprechen. Ihr schmeckt die Nationalisierungspolitik von Präsident Hugo Chávez nicht. Der hat Mitte Mai die Verstaatlichung mehrerer Unternehmen aus der Stahlindustrie bekannt gegeben. Im gleichen Monat war bereits bekannt geworden, dass internationale Spezialunternehmen aus dem Erdölsektor in nationalen Besitz überführt werden, nachdem im August 2008 bereits die Zementindustrie verstaatlicht wurde. „Strategische Unternehmen“ laut Präsident Hugo Chávez, der in den Monaten zuvor den Zementunternehmen aus Mexiko und der Schweiz unterstellt hatte, sie würden zu teuer produzieren und das staatliche Wohnbauprogramm behindern.

Doch trotzdem kommt der Wohnbau nicht in Schwung. So wurde die einst für 2009 anvisierte Zahl von 107.000 neuen Wohnungen nach einer Bestandsaufnahme der Bautätigkeiten revidiert. Ende Mai waren gerade 7.500 Wohnungen fertig, und so senkte das zuständige Wohnungsbauministerium die Zahl für 2009 auf mickrige 20.000 Wohnungen. „Das ist weit unter der Quote früherer Regierungen“, sagt Ciolis Mare und rollt mit den Augen. „Dabei ist doch die Bauwirtschaft ideal, um Arbeitsplätze zu schaffen“.

Einen attraktiven Arbeitsplatz hätte Reinaldo Pérez Gómez gern. Der 31-Jährige fährt Taxi und muss jeden Tag einhundert Bolívar Fuerte, laut offiziellem Wechselkurs rund dreißig Euro, an den Besitzer des Peugeot, den er durch Carúpano lenkt, abliefern. „Keine gute Arbeit, aber außer bei der PdVSA gibt es hier kaum anständige Jobs“, sagt Gómez. Die PdVSA ist das wichtigste Unternehmen des Landes. Der staatliche Erdölkonzern beschäftigte offiziell Ende 2007 rund 61.000 MitarbeiterInnen. Seitdem dürften noch einige Tausend dazugekommen sein, denn mit PDVAL hat der Großkonzern, quasi die goldene Gans der Regierung, noch eine weitere Aufgabe bekommen. PDVAL ist nun neben den staatlichen Mercal-Supermärkten dafür verantwortlich, die einkommensschwachen Bevölkerungsschichten mit billigen Grundnahrungsmitteln zu versorgen. In den Mercal-Läden sahen sich die Menschen immer wieder Lücken im Angebot gegenüber – mal waren es Milchprodukte, dann Hühnerfleisch, später Bohnen. Weshalb ausgerechnet ein Erdölkonzern das erklärte Ziel der Nahrungsmittelsouveränität realisieren soll, hat Präsident Chávez nicht erklärt.

Die Erfolge der Maßnahme sind denn auch äußerst bescheiden, denn rund 18 Monate später fehlen in den staatlichen Mercal-Supermärkten immer wieder zahlreiche Grundnahrungsmittel, und der Anteil der importierten Lebensmittel steigt kontinuierlich. Auf annähernd sechzig Prozent schätzt ihn die venezolanische Sozialwissenschaftlerin Yolanda D’Elia derzeit, in den offiziellen Statistikern rangiert die Importquote noch bei fünfzig Prozent. Ein deutliches Indiz für das Scheitern der hochtrabenden Pläne im Agrarsektor.

Sackgasse Agrarreform: Es war ja die erklärte Absicht, den Anbau traditioneller Produkte wie Kakao, Kaffee und Zucker neu zu beleben. Eine durchaus vernünftige Zielperspektive für ein derart großes Land mit einem derart breiten Angebot an fruchtbaren Flächen. Optimistisch waren auch die Kleinbäuerinnen und -bauern, die ab dem Frühjahr 2005 verstärkt auf brachliegende Landstreifen genauso wie auf produzierende Farmen geschickt wurden, um die Revolution in der Landwirtschaft voranzutreiben.

Doch der revolutionäre Elan ist weitgehend verpufft, wie das Beispiel der Rinderfarm El Charcote belegt. Das knapp 13.000 Hektar große Anwesen wurde im März 2006 verstaatlicht, wofür die Regierung 4,2 Millionen US-Dollar auf den Tisch eines britischen Unternehmens legte. Rund 600 Familien wurden damals auf dem riesigen Areal angesiedelt; bis heute unterhält die Regierung dort eine Schule und einen Gesundheitsposten. Doch Agrarprodukte werden auf dem riesigen Landgut kaum produziert. Dort wo früher scharenweise Rinder weideten und wöchentlich 240 Tonnen Rindfleisch produziert wurden, dominiert heute hohes Gras und dorniges Gestrüpp.

Einige wenige Farmer, darunter auch Luis Gómez, bauen etwas Getreide und Bohnen an. Mühselig ist das, klagt er, „denn wir haben weder Beratung noch Kredite, noch Saatgut oder Arbeitsgerät vom Staat erhalten“. Kein Einzelfall, denn es fehlt der Regierung an Fachleuten, um die rund 2,2 Millionen Hektar Ackerfläche erfolgreich zu bewirtschaften, die seit dem Frühjahr 2005 verstaatlicht wurden.

Das Experiment mit den kubanischen Experten kann man nach vierjähriger Laufzeit getrost als gescheitert betrachten, Nicht einmal im Zuckeranbau, einst erfolgreichste Domäne der Kubaner, ist man groß vorangekommen. Das Beispiel der stillgelegten Destillerie in der Region um Carúpano spricht Bände. „Generell hat die Regierung bei der Übernahme von Betrieben keine gute Hand bewiesen. Viele der verstaatlichten Unternehmen sind nicht gerade produktiv, die Landwirtschaft und die Zementindustrie sind nur zwei Beispiele“, erklärt der in Caracas lebende und lehrende Politikwissenschaftler Friedrich Welsch. In Zeiten nicht so kräftig sprudelnder Öldollars macht sich die sinkende Produktivität in der Binnenökonomie zunehmend negativ bemerkbar. Das sinkende Angebot im Lebensmittelsektor ist dafür nur ein Beispiel, von dem allerdings die Armen proportional stärker betroffen sind als die Reichen.

„Bei Lebensmitteln liegt die Inflation bei bis zu 50 Prozent, während sie ansonsten eher um die 30% pendelt“, erklärt die Sozialwissenschaftlerin Yolanda D’Elia. Folglich ist es gerade die Anhängerschaft des Präsidenten, deren Lebensbedingungen sich derzeit eher verschlechtern als verbessern.

Das macht sich nicht nur in den Supermärkten, sondern auch bei den Gesundheits- und Bildungsprogrammen in den Armenvierteln, den Ranchos, bemerkbar. Das ist in Carúpano nicht anders als in Caracas, denn landesweit steht weniger Geld für die Durchführung der Misiones zur Verfügung. Laut der im Mai vorgelegten Bilanz der PdVSA flossen noch 2007 satte 7,1 Mrd. Dollar in die Misiones, die staatlichen Hilfsprogramme. Ein Jahr später waren es laut der PdVSA-Statistik nur noch drei Mrd. Dollar. Unklar ist, ob die Regierung das Defizit durch zusätzliche Mittel ausgleicht, denn im offiziellen Haushalt sind die Misiones nicht detailliert angeführt. Lange wurden sie aus anderen Finanzquellen gespeist, etwa durch die PdVSA oder die staatliche Telefongesellschaft CANTV.

In ökonomisch schwierigen Zeiten, und die sind mittlerweile auch in Venezuela ausgebrochen, ist dies schwieriger. Eine Folge ist, dass die Zahl der Demonstrationen in Caracas zunimmt, und immer öfter sind Menschen in roten T-Shirts zu sehen – eigentlich das Outfit der RegierungsanhängerInnen -, die wegen ausbleibender Mittel für kommunale Projekte oder ausstehender Löhne auf die Straße gehen. Auf jeden Fall ein positiver Aspekt der Ära Chávez, denn die Menschen fordern nun ihre Rechte ein – nur beim Recht auf Arbeit haben sie schlechte Karten. Denn Arbeit hat auch Präsident Chávez in diesen Zeiten nicht zu verteilen.

Der Autor ist Politikwissenschaftler und freiberuflicher Journalist mit Schwerpunkt Entwicklungspolitik und lebt in Hamburg. Er bereiste kürzlich Venezuela.

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