Das Ende des Alptraums

Von Brigitte Voykowitsch · · 1999/05

Der indonesische Staatschef ließ die Welt aufhorchen: Er kündigte an, Osttimor in die Unabhängigkeit zu entlassen, sollte sich eine Mehrheit des Inselteils nicht für eine Autonomie entscheiden. Doch die Aufbruchstimmung wird von Gewalt überschattet. Aus

Die Indonesier sollen gehen, lieber heute als morgen“, sagt der 55jährige Jose N., der nicht müde wird, allen, die ihn danach fragen, zu schildern, wie es damals war. Damals, Ende 1975, als die indonesische Armee sein Land, Osttimor, besetzte, nur wenige Monate, nachdem die portugiesischen Kolonialherren überstürzt abgezogen waren. „Lieber heute als morgen sollen sie gehen“, hat Jose Tausende Male seither gesagt. Nun gibt es, 23 Jahre nach der Besetzung und der darauffolgenden Annexion Osttimors als 27. Provinz von Indonesien, erstmals mindestens eine theoretische Chance auf Freiheit. Doch die Hoffnung wird getrübt durch eine neue Welle der Gewalt.

Seit Indonesiens Präsident Jusuf Habibie im Jänner den OsttimoresInnen überraschend eine weitreichende Autonomie oder völlige Unabhängigkeit in Aussicht stellte, „gerät die Lage hier zunehmend außer Kontrolle“, sagt Rui Pereira dos Santos, der Leiter der Menschenrechtsorganisation Hak. „Es gelten hier keine Gesetze mehr, das Militär ist das Gesetz.“

Wenn es immer häufiger zu gewalsamen Zusamenstößen zwischen BefürworterInnen der Unabhängigkeit und den sogenannten IntegrationistInnen, den Verfechtern eines Verbleibs bei Indonesien, kommt, dann sehen die meisten OsttimoresInnen – und nicht nur sie – die Hand der Armee dahinter, die lokale Milizen bewaffnet und unterstützt.

„Die meisten Zwischenfälle sind sicher nicht spontan“, bestätigt ein Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK) in der Hauptstadt Dili. „Die Mehrheit der Angriffe sind ganz gezielt gegen bestimmte Personen gerichtet, und das sind Verfechter der Unabhängigkeit.“

Rund 6000 Mitglieder dürften die Milizen zählen, meint dos Santos. „Und sie rekrutieren weiter. Wer sich weigert, sich ihnen anzuschließen, riskiert seine Sicherheit, oft sein Leben.“

Die Milizen, die Namen wie „eisern rotweiß“ (die Farben der indonesischen Flagge), „tot oder lebendig für Indonesien“, „Dorn“ oder „Sturm“ tragen, sollen nach Ansicht von dos Santos eine Situation in Osttimor schaffen, in der die Abhaltung des vorerst für Juli geplanten Referendums unmöglich wird.

Noch sind die Modalitäten der Abstimmung über einen Autonomieplan ungewiß. Für die Mehrheit der Bevölkerung Osttimors aber steht ohnedies fest, daß sie den Plan ablehnen wird und stattdessen die Unabhängigkeit will. „Wie sollten wir nach 23 Jahren Unterdrückung Jakarta noch trauen und uns auf eine Autonomie einlassen können?“, formuliert es ein Aktivist.

Rund ein Drittel der damals 600.000 EinwohnerInnen Osttimors sind nach Angaben internationaler Menschenrechtsorganisationen an den Folgen von Gewalt und Not gestorben, die das vom Militär gestützte Regime von Langzeitdiktator Suharto über das Land brachte. Fast jede Familie hat Angehörige verloren, hat infolge der Repression Opfer zu beklagen, Massaker und Massenumsiedlungen erlebt.

„Oh nein,“, ergänzt der Aktivist, „für uns gibt es nur eine Option – die völlige Unabhängigkeit. Sie ist wichtiger als alles andere, für sie sind wir auch bereit zu kämpfen.“

Daß die Rückkehr zu einem bewaffneten Kampf nicht ausgeschlossen ist, hat der entsprechende Aufruf von Xanana Gusmăo Anfang April gezeigt. Der Freiheitskämpfer Gusmăo, der 1992 von den Indonesiern gefangengenommen und Anfang 1999 vom Gefängnis in unbefristeten Hausarrest in Jakarta überstellt wurde, hat mehrfach die eskalierende Gewalt beklagt, der er nicht unbegrenzt würde zusehen können. Er hat an die UNO appelliert, eine internationale Friedenstruppe zu entsenden, die die Milizen entwaffnen solle. Auch müßten vor einem Referendum die indonesischen Militärs abziehen, verlangte der exilierte osttimoresische Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta. Denn nur so könne Osttimor unter fairen Bedingungen und in Frieden seine Freiheit erlangen.

Über Frieden und Versöhnung wird viel geredet in Osttimor. In dem von Gusmăo gegründeten Nationalen Widerstandsrat ebenso wie in Seminaren an der Unversität von Dili und in osttimoresischen Studentenverbänden an Hochschulen in Java. Rund eintausend Mitglieder des Nationalen Widerstands osttimoresischer Studenten (RENETIL) sind im April von Java nach Dili gekommen, um mit den dortigen StudentInnen Zukunftsszenarien zu entwickeln. Wenn aber just dann wieder die Gewalt eskaliert und von anderen Orten in Osttimor Berichte über neue Unruhen mit noch mehr Opfern kommen, dann ballen sich schnell einige Fäuste, fahren Arme militant in die Höhe, sagt der eine oder andere Student: „Wenn es nötig ist, greife ich auch zur Waffe.“

Auslöser, Hergang und Anzahl der Opfer sind nach solchen Unruhen oft schwer zu ermittlen. Beide Seiten, heißt es beim IKRK, benützen „das Zahlenspiel“ mit Opfern und Angaben über Zerstörungen für ihre politischen Zwecke. Fest steht aber in jedem Fall, daß bis zu zehntausend OsttimoresInnen in den vergangenen Monaten zu internen Flüchtlingen geworden sind. Noch, bestätigen, IKRK und die Hilfsorganisation Care, finden die meisten bei Verwandten, Bekannten oder einfach hilfsbereiten Menschen in Dili Unterkunft oder benutzen leerstehende Gebäude. Doch weder Care noch IKRK wollen ausschließen, daß früher oder später die Errichtung von Flüchtlingslagern nötig werden könnte. Chance auf Arbeit in Dili hat kaum einer der Vertriebenen, von denen die Mehrheit Subsistenzbauern sind.

Trotz der schwierigen ökonomischen Lage scheinen die Menschen in Osttimor fest an die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit eines unabhängigen Staates mit seinen heute rund 800.000 EinwohnerInnen, davon etwa 600.000 osttimoresischer Herkunft, glauben zu wollen. Noch ist es nicht soweit, aber Osttimor könnte sich durchaus selbst ernähren, sind auch Landwirtschaftsexperten bei Care überzeugt. Osttimoresische Universitätsprofessoren führen die Erdöl- und Erdgasressourcen im Timor-Gap ins Treffen, weisen auf die einheimische Kaffeeproduktion hin und natürlich auf die weißen Sandstrände, die sich touristisch vermarkten ließen.

Freilich, die Aufbauzeit würde nach Expertenschätzungen bis zu zwei Jahrzehnten dauern, in denen Osttimor auf großzügige Hilfe von außen angewiesen wäre. Zumal in jenen Bereichen, in denen bisher aus anderen Teilen Indonesiens zugesiedelte Fachkräfte dominierten – wie in der Bürokratie, im Bildungs- und Gesundheitswesen -, droht eine große Lücke zu entstehen. Tausende Indonesier, in der Mehrheit Muslime aus Java, haben aus Sorge um ihre Zukunft in einem unabhängigen katholischen Osttimor bereits ihre Koffer gepackt. Schon jetzt gibt es keinen einzigen Chirurgen mehr, wissen manche Schulen noch nicht, woher sie künftig ihre LehrerInnen nehmen sollen. „Auf unser Drängen hin operiert jeztz wengistens der Militärchirurg auch im zivilen Krankenhaus“, heißt es beim IKRK.

Für die Zeit nach der Unabhängigkeit sollen bereits wichtige Hilfszusagen vorliegen, von Australien ebenso wie von Europa und den USA. Viele OsttimoresInnen, die jezt noch in Java studieren, behaupten, nach ihrem Abschluß zurückkommen zu wollen, um ihre Heimat aufzubauen. Und auch manch ein hochqualifizierter und finanziell potenter Osttimorese könnte sich zur Heimkehr entschließen.

Vorausgesetzt, daß Jakarta sein Wort hält. Falls es wirklich zur Unabhängigkeit kommt. Wenn José nicht mehr sagen muß: „Die Indonesier sollen lieber heute gehen als morgen.“ Wenn sie tatsächlich gegangen sind.

Die Autorin ist Redakteurin der Tageszeitung

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