Das Ende eines Tabus

Von Kordula Dörfler · · 1999/11

Bei der 9. Internationalen Anti-Korruptionskonferenz in Durban in Südafrika, erklärten sich auch elf afrikanische Staaten bereit, Iniatiativen gegen die Korruption zu starten.

Er sprach, als trage er die ganze Last seines Landes auf den Schultern. In etwas holprigem Englisch, gespickt mit blumigen Metaphern, trug Lev Timofev vor, was man von ihm erwartete. „Ich komme aus Rußland!“ Als ob damit alles gesagt sei. Nein, nicht ganz. Rußland und Korruption seien heute fast Synonyme. Beifälliges Lachen im Publikum. Das feine provokative Lächeln des kleinen Professors aus Moskau war vielen noch entgangen. „Und ich stehe hier, um Korruption zu verteidigen.“ Schon aus Symmetriegründen.

Tatsächlich war Timofev, der an einem Institut der Moskauer Universität arbeitet, auf der 9. Internationalen Anti-Korruptionskonferenz in der südafrikanischen Hafenstadt Durban in der vergangenen Woche so etwas wie der Advocatus Diaboli. Dabei bestritt er gar nicht, daß Rußland durch und durch korrupt sei. Das wäre auch schwierig in einem Land, dem nach Schätzungen von Vladimir Bykow von der russischen Industrie- und Handelskammer 10 Milliarden US-Dollar durch Korruption verloren gegangen sind; wo es durchschnittlich 27 bis 700 Tage dauert, ein Gewerbem anzumelden; das auf dem Korruptionsindex des Veranstalters „Transparency International“ weltweit zu den Spitzenreitern zählt. Und dennoch: Für die Nöte der Menschen, die nur auf diesem Weg überleben können, zeigte Timofev durchaus Sympathie.

Schon zu Sowjetzeiten habe es eine „produktive Korruption“ gegeben: zwar sei auch die KPdSU durch und durch korrupt gewesen. Zugleich aber habe sich ein nicht minder korrupter, aber unabhängiger Schwarzmarkt etabliert, der vollkommen eigenen Gesetzen folgte und durch ein weitverzweigtes Netz von Mittelsmännern paradoxerweise dazu beitrug, das System wirtschaftlich am Leben zu halten. Erst am Ende seiner Rede tat Timofev dann das Erwartete und entwickelte eine akademische Lösung: indem endlich in Rußland das Recht auf Privateigentum klar definiert

werden müsse.

Die Provokation gelang. Denn ansonsten herrschte weitgehend Konsens auf der Mammut-Tagung, die von der deutschen nichtstaatlichen Organisation „Transparency International“ (ti) organisiert worden war: Korruption ist eines der größten Probleme der modernen Menschheit. Vor allem in den Entwicklungsländern hemmt sie wirtschaftliche und soziale Entwicklung und trägt dazu bei, daß Ressourcen verschleudert werden, während die Bevölkerung weiter verarmt. Gerade dort, so faßte es Alassane Ouattara, ehemaliger Premierminister der afrikanischen Cote d’Ivoire, zusammen, ist Korruption „die schlimmste Krankheit einer Gesellschaft“.

Allerdings ist in den letzten Jahren ein bemerkenswerter Wandel zu konstatieren. War es bis in die neunziger Jahre hinein weltweit verpönt, von Korruption zu sprechen, ist das Thema heute kein Tabu mehr. Selbst die Weltbank hat sich neuerdings dem Kampf gegen Korruption verschrieben und die Konferenz in Durban unterstützt. „Vor drei Jahren war es in unserer Organisation noch unmöglich, das Wort mit ‚K‘ überhaupt in den Mund zu nehmen“, sagt Weltbankpräsident James Wolfensohn schmunzelnd. „Heute gibt es für uns kein wichtigeres Thema.“

Schon in der Zusammensetzung der Konferenz war dieser Wandel deutlich erkennbar. Einträchtig berieten AktivistInnen aus allen Teilen der Welt mit Staatsanwälten und Juristen, Bankern und Geschäftsleuten, PolitikerInnen und Mitgliedern von UN-Organisationen darüber, wie das Übel aufzudecken und zu bekämpfen sei. Es ist vor allem zu verdanken, daß Korruption heute nicht mehr als reines Dritte-Welt-Problem betrachtet wird. Erst, seitdem in den Industriestaaten des Nordens zugegeben wird, daß sie bei Aufträgen in den Entwicklungsländern kräftig bestechen, läßt sich ein Hebel zur Bekämpfung von transnationaler Bestechung ansetzen.

Schon seit zwei Jahren etwa achtet die Weltbank bei internationalen Ausschreibungen darauf, daß nicht bestochen wird und kann Firmen ausschließen, wenn sie nachweislich gegen dieses Prinzip verstoßen. Und auch multinationale Konzerne sehen ein, daß es ihnen langfristig schadet, mit korrupten Geschäftspraktiken in Verbindung gebracht zu werden.

„Wenn einmal die Tür zu Korruption geöffnet ist, wäre es schwierig für uns, weitere Forderungen abzuschlagen“, sagt etwa Robert Wilson, Vorstandsvorsitzender des Bergbaukonzerns Rio Tinto, der in der Vergangenheit immer wieder mit Korruptionsskandalen in Zusammenhang gebracht worden war. In neuen Firmenrichtlinien ist deshalb das Zahlen von Schmiergeldern ausdrücklich untersagt.

In vielen OECD-Staaten ist solcherlei Bestechung außerdem mittlerweile strafbar. Alle 29 Mitglieder haben eine entsprechende Konvention

unterzeichnet; in 16 Ländern, darunter auch die Bundesrepublik, ist sie mittlerweile auch ratifiziert worden. Bestechung bei Auslandaufträgen, bis vor kurzem in Deutschland sogar noch von der Steuer absetzbar, gilt heute nicht mehr als geschäftsfördernd.

Geht es allerdings um konkrete Maßnahmen, war die Bandbreite an Meinungen groß und hat sich wohl die riesige Teilnehmerzahl der Konferenz als hinderlich erwiesen. Einigkeit herrschte insofern, als der politische Wille zur Bekämpfung von Korruption vorhanden sein und vom

jeweiligen Land ausgehen muß. Zudem müssen alle Teile der Zivilgesellschaft mobilisiert werden, und nicht zuletzt bedarf es einer unabhängigen Justiz und entsprechender Gesetze, um Korruption zu ahnden.

So weit, so schön in der Theorie. Doch wo anfangen und aufhören in Ländern wie Honduras und Kamerun, Kolumbien, Indonesien und Nigeria, Tansania und Rußland? Im Korruptionsindex rangieren sie am untersten Ende der Skala. „Die Krankheit“ durchdringt den letzten Winkel der Gesellschaft, Staat und Verwaltung, Militär und Polizei sind jederzeit käuflich.

„3000 Simbabwe-Dollar kostet es heute schon, eine Ermittlungsakte bei der Polizei verschwinden zu lassen“, seufzt John Makumbe, streitbarer Dozent an der Universität von Harare, theatralisch, um einen weltweiten Trend zu verdeutlichen.

In vielen Entwicklungsländern können die Beamten nur mittels Korruption ihre Familien durchfüttern, und jede Alltagsdienstleistung hat ihren Preis, der das Überleben von Millionen sichert. Wenn Makumbe „Korruption ist eine Verschwörung gegen das Volk“ wetterte, erhielt er zwar Beifall von den Delegierten. Gerade in Schwarzafrika aber steckt die Korruptionsbekämpfung erst ganz am Anfang, sind die Zivilgesellschaften besonders schwach ausgeprägt.

Doch immerhin: Auch elf afrikanische Länder, darunter Mali, Tansania, Uganda, Ghana und Südafrika haben sich jetzt erstmals einer Initiative angeschlossen, um Prinzipien zur Korruptionsbekämpfung zu erarbeiten und umzusetzen.

Die Autorin ist Korrespondentin für das südliche Afrika für mehrere deutschsprachige Medien mit Sitz in Johannesburg

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