Das Ende eines Traums

Von Antje Krüger · · 2010/02

Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner trat als Hoffnungsträgerin an, doch nach der Hälfte ihrer Amtszeit findet sie kaum noch Zustimmung.

Buenos Aires, 19 Uhr. Die U-Bahn ist dicht gefüllt, doch außer dem Räderrattern ist nichts zu hören. Die Menschen starren stumm vor sich hin, die Gesichter ausdruckslos. Eine ungewohnte Szenerie für die argentinische Metropole. Noch vor einem Jahr war Lachen zu hören, Stimmengewirr, HändlerInnen drängten sich durch die Reihen, Plätze wurden angeboten – trotz anstrengender Arbeit, trotz Stress und Überforderung. Selbst in der schlimmsten Krisenzeit im Dezember 2001, als das ganze Land wirtschaftlich, sozial und politisch zusammenbrach, wurden Diskussionen hitzig geführt und war das Gedränge lebhaft.

„Die Menschen sind moralisch müde“, sagt die Politikwissenschaftlerin Cecilia Lucca. Argentinien, das reiche Land voller Chancen, reitet sich immer mehr in den Sumpf. Die Hoffnung auf einen politischen Ausweg aus der Misere stirbt nun während der Amtszeit von Cristina Fernández de Kirchner. „Wir dachten, endlich gibt es doch Politiker, die sich nicht am Land bereichern, die soziale Konflikte nicht für die Stärkung ihrer Macht missbrauchen und polarisieren, um an Einfluss zu gewinnen. Wir haben uns wieder getäuscht. So korrupt wie unsere Gesellschaft ist, so korrupt sind auch unsere Politiker und viceversa“, resümiert Lucca, die als Beraterin im Abgeordnetenhaus tätig ist.

Dabei hatte die Präsidentschaft von Cristina Fernández im Dezember 2007 viel versprechend begonnen. Mit 45,29% gewann die Peronistin gleich in der ersten Runde und trat das Erbe ihres Mannes Néstor Kirchner an, der zum damaligen Zeitpunkt laut Umfragen einer der beliebtesten Politiker war. Die Kirchners aus Patagonien waren so gut wie unbekannt, als Néstor Kirchner 2003 die Wahl gewann. Genau darauf gründete sich auch die Hoffnung der ArgentinierInnen. Sie brachten die beiden nicht mit der korrupten politischen Kaste in Verbindung, die das Land in den 1990er Jahren an den Rand des Abgrunds manövriert hatte.

Néstor Kirchners erste Amtshandlungen schienen diese Einschätzung auch zu bestätigen. Innerhalb seiner vierjährigen Präsidentschaft kurbelte er die Wirtschaft wieder an, tilgte Argentiniens Auslandsschulden, schuf Sozialpläne und räumte in den Gerichten und bei der Polizei auf. Der „Stil K“, wie seine Art zu regieren genannt wurde, brachte endlich den ersehnten neuen Wind. Auch seine Frau galt als Hoffnungsträgerin. Allerdings stieß schon das Manöver auf Unverständnis, als der Präsident zu Ende seiner Amtszeit die Kandidatur an Cristina Fernández abgab. Warum trat Néstor Kirchner nicht selbst wieder an?

Heute, zur Halbzeit ihres Mandats, steht „Stil K“ für Selbstgefälligkeit, Machtbesessenheit und den letzten Platz bei Politbarometerumfragen. Fragt man auf der Straße nach Präsidentin Cristina Fernández, bekommt man fast überall die gleiche Geste zu sehen. Die Leute stupsen mit dem Zeigefinger ihre Nasen gen Himmel. Als prepotente, als anmaßend, wird die Präsidentin bezeichnet. Wenn sie redet, beschimpft sie. Ihre Wortflut ist derartig negativ, dass die Quoten massiv sinken, wann immer die ehemalige Anwältin im Fernsehen zu sehen ist. Der Kirchnerismus, wie diejenige politische Strömung bezeichnet wird, die sich hinter das Präsidentenehepaar stellt, vereinsamt in der politischen Landschaft mehr und mehr. Heute bleibt ihnen nicht einmal eine parlamentarische Mehrheit.

Cristina Fernández‘ größter Stolperstein war der Agrarkonflikt, dem sie sich 2008 stellen musste und den sie mit heraufbeschworen hatte. Die Regierung verlangte von den Agrarexporteuren einen Tribut für die vorteilhafte Gewinnentwicklung in diesem Sektor in den letzten Jahren. Diese Steuer galt vor allem für die Sojaexporteure, die von lange steigenden Weltmarktpreisen profitiert haben. Jedoch schoss die Präsidentin mit ihren Forderungen von bis zu 44 Prozent Exportsteuer weit über das Ziel hinaus. Der Konflikt legte das Land mehr als ein halbes Jahr lang lahm. „Kein vorheriger Präsident hat sich in die Landwirtschaft derartig und mit solch fehlendem Wissen eingemischt, wie es Cristina Fernández tat.

Bislang war die Landwirtschaft das wirtschaftliche Rückgrat Argentiniens, das trotz aller Krisen immer funktionierte. Nun ist auch sie aus dem Gleichgewicht“, so Juan José Ramos, Vorsitzender der Vereinigung Unabhängiger Winzer San Juan. Selbst Sektoren, die nichts mit der Landwirtschaft zu tun haben, stellten sich damals auf die Seite der Agrarwirte. Die völlig fehlende Kompromissbereitschaft der Präsidentin, für viele unverständlich, da es sich nur um eine Steuer handelte, führte gar zu einem Rückgang des Wirtschaftswachstums. Der Konflikt wurde erst durch Vizepräsident Julio Cobos beendet. Seine Stimme war entscheidend bei der Ablehnung des Steuerpakets im Kongress. Der Preis: ein tiefer politischer Riss selbst innerhalb der Regierung.

Ein Riss, der sich bei der Wahl von Teilen des Abgeordnetenhauses und des Kongresses im Juni 2009 in den Ergebnissen klar manifestierte. Der Kirchnerismus verlor die Mehrheit. „Das Problem der Regierung Cristina Fernández sind nicht ihre politischen Ideen an sich, sondern wie sie eingesetzt werden. Die Gesetze, die von der Regierung verabschiedet werden, haben zumeist einen nachvollziehbaren Hintergrund, der durchaus unterstützenswert ist. Auch die Agrarexportsteuer fand ja zunächst selbst bei den Bauern Anklang. Aber dann wird die Präsidentin entweder maßlos oder manipulativ. So werden zum Beispiel Sozialleistungen nur an bestimmte Sektoren der Arbeitslosenbewegung Piqueteros vergeben, die über diese Zuwendung ein den Kirchners getreues Heer ergeben.“ Cecilia Lucca kritisiert auch das neue Mediengesetz: „Es entzieht Monopole und unterstützt freie Medien. Allerdings baut sich die Präsidentin dadurch ein Netz ihr zugewandter Sender und Zeitungen auf.“ Hinzu kommen all die Aussagen über das unverhältnismäßig angewachsene Vermögen der Kirchners während ihrer Amtszeit. Lucca: „Cristina Fernández sucht keinen Konsens. Sie polarisiert – notfalls über ihr Vetorecht – mit solcher Vehemenz, dass das ohnehin sehr fragile soziale wie politische Gebilde, das heute in Argentinien vorherrscht, jederzeit kippen kann.“

Mit den Silvesterraketen zum Jahreswechsel wurde auch gleichzeitig die Diskussion und Kampagne zur Präsidentschaftswahl im Oktober 2011 eingeläutet. Nun wird sich zeigen, ob die Formel 4×4, welche den Kirchners nachgesagt wird, von dem Ehepaar in die Realität umgesetzt wird. Sie würde erklären, warum sich Néstor Kirchner auf dem Höhepunkt seines Ansehens 2007 nicht wieder zur Wahl gestellt hatte, sondern den Einzug in die Casa Rosada, den Regierungspalast, seiner Frau überließ. Es wird gemutmaßt, dass sich das Ehepaar in den Amtszeiten alle vier Jahre abwechseln will.

„Das Schizophrene ist, wenn man sich die möglichen Kandidaten und ihre Koalitionen ansieht und dann die Kirchners dagegenstellt, wenn man also zwischen dem einen und dem anderen Übel zu wählen hat, ist es gut möglich, dass die Mehrheit bei den Kirchners bleibt, auch wenn der Vizepräsident Julio Cobos als Retter im Agrarkonflikt bisher die meiste Zustimmung in der Bevölkerung findet“, so Cecilia Lucca über die Wahlspekulationen, die jetzt schon laufen. Spekulationen, die sich schon lange nicht mehr entlang der Parteilinien bewegen. Eine klare Parteienaufteilung gibt es in Argentinien mittlerweile weder im Regierungssektor noch in der Opposition. Allein für die Peronistische Partei, der die Kirchners angehören, werden sieben weitere Kandidaten genannt, jeder aus einem anderen Lager. Zudem haben sich parteiübergreifende Koalitionen gebildet, je nach Ausrichtung dem Kirchnerismus verpflichtet oder gegen die offizielle Linie. Eine wirkliche Tendenz ist bei dem Negativimage der jetzigen Regierung jedoch bislang kaum auszumachen.

„Zweifellos geht die lange politische Ära der Kirchners zu Ende. Doch weder in der Regierungspartei noch in der Opposition zeichnen sich Persönlichkeiten ab, welche die Nachfolge antreten könnten“, wundert sich der Journalist Eduardo von der Kooy. Allerdings hätte Argentinien dringendere Aufgaben zu erledigen als jetzt schon eine Wahlschlacht zu schlagen. Doch darauf läuft es momentan hinaus, Überraschungen inklusive. Zumal noch ein langer Weg bis 2011 zu beschreiten ist, in einem Land, das mit der Wirtschaftskrise zu kämpfen hat, dessen Armutsrate inoffiziell bei 40% liegt, dessen Landwirtschaft aus dem Gleichgewicht geraten ist und dessen politische Landschaft immer unüberschaubarer und alternativlos wird.

Antje Krüger studierte Politikwissenschaft an der FU Berlin. Heute arbeitet sie als freie Journalistin, insbesondere zu Chile und Argentinien, das sie kürzlich wieder besuchte.

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