Das Erbe des geheimen Kriegs

Von Jürgen Plank · · 2014/04

Rund 80 Millionen nicht explodierte Bomben sind eine beständige Gefahr für die Bevölkerung in Laos – und halten das Land in Armut.

"Ganz Laos von den Bomben zu säubern wird sehr lange dauern“, sagt Mai Herr, der im Informationszentrum der britischen Mines Advisory Group (MAG) in Phonsavanh, in der nordlaotischen Provinz Xieng Khouang, arbeitet. Sehr lange ist gleichsam ein Euphemismus: Organisationen wie „MAG“ und „UXO Lao“ entschärfen seit 1994 rund 20.000 Blindgänger pro Jahr. Geht dies im selben Tempo weiter wie bisher, werden für die komplette Säuberung mehrere tausend Jahre nötig sein.

In nur neun Jahren, zwischen 1964 und 1973, flogen US-amerikanische Kriegsflugzeuge im Zuge eines „geheimen Krieges“ rund 580.000 Angriffe auf Laos. Zum Einsatz kamen dabei mehr als 400.000 CBU24-Streubomben: Eine Streubombe enthält rund 650 kleine „Bombies“ oder „Bomblets“, die sich über mehrere hundert Quadratmeter verteilen. Diese enthalten wiederum Metallteile, die bei einer Explosion für schwere Verletzungen sorgen. Insgesamt wurden auf das kleine südostasiatische Land somit etwa 270 Millionen Bomben abgeworfen – mehr als im gesamten Zweiten Weltkrieg über Europa gezündet wurden.

Die USA waren in den 1960er Jahren am offiziellen Kriegsschauplatz Vietnam aktiv. Das an sich neutrale Laos wurde bombardiert, weil der Ho Chi Minh-Pfad, der der Versorgung der ­vietnamesischen Truppen diente, durch Süd-Laos verlief. Außerdem wollten die USA die Ausbreitung des Kommunismus verhindern: die Rückzugsgebiete der kommunistischen und von Nordvietnam unterstützten Pathet Lao-Bewegung in Nord-Laos wurden deshalb ebenfalls bombardiert.

Das MAG-Informationszentrum in Phonsavanh zeigt täglich Dokumentationen zum Thema. In einem Film sagt ein US-Pilot: „Alles, was sich in Laos bewegt hat, wurde bombardiert.“ Die Leidtragenden des „geheimen Krieges“ waren zu 98 Prozent ZivilistInnen.

Da es für die Piloten der B52-Maschinen, die ihre tödliche Fracht nicht über Vietnam abwerfen konnten, zu gefährlich war, mit Bomben an Bord auf thailändischen Stützpunkten zu landen, entledigten sich die US-Piloten in wenig besiedelten Gebieten in Laos und Kambodscha ihrer Bomben.

Allein aufgrund solcher Abwürfe sind in Laos tausende Menschen gestorben. Es war ein Luftkrieg, der gegen internationale Vereinbarungen – wie das Genfer Abkommen zur Neutralität von Laos – verstieß. Die USA, die Laos niemals den Krieg erklärt hatten, bestritten ihre Verantwortung für die Taten.

Fast ein Drittel aller Bomben, rund 80 Millionen, sind nicht explodiert. Diese „Unexploded Ordnance“ (UXOs) sind das tödliche Erbe der Kriegsvergangenheit: Die nicht explodierten Bomblets sehen harmlos aus. Ihre Ähnlichkeit mit der Bale-Frucht verleitet viele Kinder dazu, sie anzugreifen oder mit ihnen spielen zu wollen. Damit daraus in Zukunft keine Unfälle mehr resultieren, informieren die LehrerInnen im Unterricht mittels Handbüchern über die Gefahren.

Streubomben

Im Zweiten Weltkrieg wurden erstmals Streubomben eingesetzt, auch in Europa gibt es noch Blindgänger aus dieser Zeit. Das Waffensystem setzt über einem Zielgebiet eine Vielzahl von kleineren Sprengsätzen frei, Submunition oder „Bomblets“. Streubomben werden aus Flugzeugen abgeworfen oder als Rakete z.B. mit Artilleriegeschützen verschossen. Neben der aufgrund der Streuwirkung oft großen Zahl an Toten und/oder Verletzten beim Erstschlag fordern diese Waffen ähnlich wie Landminen oft noch lange nach Ende der eigentlichen Kampfhandlungen ihre Opfer.

Im Dezember 2008 haben 95 Staaten in Oslo einen Vertrag gegen den Einsatz von Streubomben unterzeichnet, darunter Laos, Afghanistan, Frankreich, Australien, Spanien, Italien, Japan, Kanada, Österreich und die Schweiz. Die USA, Russland, China, Israel, Indien, Pakistan und Südkorea haben nicht unterschrieben.

Wer den Oslo-Vertrag anerkennt, ist gegen den Einsatz, die Entwicklung, die Herstellung oder Beschaffung von Streubomben. Weiters besteht die Verpflichtung, alle eigenen vorhandenen Bestände an Streubomben innerhalb von acht Jahren nach der Unterzeichnung zu vernichten. Streubomben werden vor allem gegen Ziele gerichtet, die sich über größere Gebiete erstrecken. Problematisch ist bei Streubomben die geringe Zielgenauigkeit und dass bis zu 40 Prozent der Munition nicht detonieren und als UXOs in der Umwelt verbleiben. Auf dem Vertrag von Oslo aufbauend, ist seit dem 1. August 2010 ein völkerrechtliches Übereinkommen gegen Streubomben in Kraft. Die USA haben es bis dato nicht ratifiziert.   J.P.

Auch TouristInnen sollten in Laos ungesichertes Terrain nicht betreten: Die „Ebene der Tonkrüge“ wurde mit Hilfsgeldern aus Neuseeland von UXOs befreit. Entlang der Wege, die diese archäologische Stätte in der Nähe von Phonsavanh erschließen, wurden Markierungssteine von MAG angebracht. Abseits davon besteht die Gefahr, von einem UXO zerfetzt zu werden.

Eine Gefahr, die für die Zivilbevölkerung alltäglich ist: Zwischen 1964 und 2008 wurden rund 50.000 Menschen getötet oder verletzt, ca. 11.000 davon nach dem Ende des geheimen Krieges. 300 kommen jedes Jahr dazu. Etwa 500 Verletzten konnte die laotische Nichtregierungsorganisation „Quality Of Life Rehabilitation Working Group“ (QLR) bisher helfen. QLR-Programmleiter Da Chang: „Wir sorgen für die medizinische Behandlung der UXO-Opfer. Wenn ein Opfer zur Behandlung in ein Spital kommt, werden wir vom Arzt informiert. Ich treffe den Patienten und QLR übernimmt die Behandlungskosten.“ Diese können bei einer schweren Verletzung bis zu 2.500 Euro betragen, manchmal ist gar ein Spitalsaufenthalt in Bangkok nötig.

QLR hilft den Verletzten auch nach der Rehabilitation durch psychologische Betreuung sowie durch Workshops, in denen die Anfertigung von Kunsthandwerk gelehrt wird, das bald international verkauft werden soll. „Wir bieten den UXO-Überlebenden und ihren Familien auch Workshops zur Aufzucht von Tieren an. Wir haben ein kleines Budget zur Verfügung, damit Tiere für die Zucht angekauft werden können: Hühner, Enten oder Schweine.“

Auch Da Chang selbst ist Opfer einer UXO, sein Unfall passierte beim Umgraben des elterlichen Feldes: „Ich wurde von mehreren Splittern an der Hüfte, am Bauch und am Fuß verletzt. Ich habe viel Blut verloren, etwa 2 Liter. Beinahe wäre ich gestorben. QLR hat mir geholfen, aber seit damals kann ich nicht mehr so hart arbeiten.“

Schätzungen zufolge sind 80 Prozent aller laotischen Felder bombenverseucht, die zwölf Entschärfungsteams von MAG rücken täglich aus. Zwei der Teams bestehen nur aus Frauen, so soll die Rolle der Frau in der laotischen Gesellschaft aufgewertet werden. „Bisher hatten wir noch keine Unfälle, denn unsere MitarbeiterInnen werden sehr gut ausgebildet“, erklärt Mai Herr von MAG. Für die Organisation sind die UXOs die Hauptursache dafür, dass rund die Hälfte der laotischen Bevölkerung von weniger als einem Euro am Tag lebt. Wegen der Bomben geht auch der Bau von Infrastruktur wie Straßen, Schulen und Spitälern nur langsam voran und Laos ist eines der ärmsten Länder der Welt. In der stark betroffenen Provinz Xieng Khouang sind die UXOs allgegenwärtig: Man sieht sie in Gärten und vor dem Büro der Touristeninformation in Phonsavanh.

„Ein großes Problem ist, dass eine nicht explodierte Bombe auch als Verdienstquelle angesehen wird“, sagt QLR-Mitarbeiter Da Chang. Immer wieder versuchen etwa Bauern selbst eine Bombe zu entschärfen, um das Metall zu verkaufen: Für ein Kilo gibt es rund 0,15 Euro vom Altmetallhändler. Aus dem eingeschmolzenen Metall werden Straßenlaternen und Zäune gefertigt. Da Chang: „Wir versuchen, zu erklären, dass das Metall nicht so viel wert ist wie die Gesundheit eines Menschen. Daran sollten die Menschen denken und Organisationen wie MAG zu Hilfe rufen, anstatt zu versuchen, das Metall von der Bombe zu entfernen.“

Das sachgemäße Entsorgen der Bomben kostet viel Geld: Den gleichen Betrag, den die USA während des geheimen Krieges an einem Tag für die Bombardements ausgaben – bis zu 30 Millionen Euro – hat die US-Regierung für die Entfernung der Blindgänger seit 1994 insgesamt aufgebracht. „Wir müssen mehr tun“, sagte Hillary Clinton beim ersten Staatsbesuch einer US-Außenministerin in Laos im Jahr 2012.

Das wünscht sich auch QLR-Programmleiter Da Chang: „Ich hoffe, dass irgendwann alle Bomben aus den Feldern entfernt werden können, damit es keine UXO-Opfer mehr gibt und die landwirtschaftliche Arbeit wieder sicher wird.“ Ein Wunsch, dessen Erfüllung in weiter Ferne liegt.

Der Autor ist Ethnologe, Musiker und DJ und hat vor kurzem in Laos recherchiert.

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