Das Geschäft mit Mitch

Von Ralf Leonhard · · 1999/05

In Nicaragua hat ein Marsch gegen die Korruption alle oppositionellen Kräfte gegen den

An die zehntausend Menschen zogen am Nachmittag des 25. März die Avenida Johannes Paul II. in Managua entlang und skandierten Slogans wie „Nein zur Korruption!“ und „Schluß mit der Selbstbedienung!“. Gemeint war Staatschef Arnoldo Alemán, dessen Landkäufe und Bereicherungsaktionen in der letzten Zeit durch die beharrliche Aufdeckungsarbeit von Rechnungshofpräsident Agustín Jarquín Anaya ans Tageslicht gekommen waren.

Begonnen hatte die so unerwartet erfolgreiche Meinungsäußerung der Bevölkerung durch den Anruf eines Hörers bei einer Radiostation. Man sollte doch irgendetwas unternehmen gegen die skandalösen Machenschaften des Präsidenten, so der Anrufer.

Der unkonventionelle sandinistische Journalist William Grigsby machte sich die Idee zu eigen und rief eine Woche lang in seiner Radiostation „La Primerísima“ zu einer Demonstration gegen die Korruption auf. Erstaunlich, daß sich keine politische Partei, auch nicht die Sandinisten, hinter diese Aktion des zivilen Widerstands stellte. Vielleicht aber liegt gerade hierin das Geheimnis ihres Erfolgs …

General Anastasio Somoza hatte seine Raffgier, die auch vor den Hilfsgeldern nach dem Erdbeben 1972 nicht Halt machte, teuer bezahlen müssen. Zuletzt überwanden linke Aufständische und konservative Unternehmer ihre politischen Differenzen, um ihn loszuwerden. Präsident Arnoldo Alemán, der schon wegen seines autoritären und selbstherrlichen Regierungsstils oft mit Somoza verglichen wird, scheint aus der Geschichte nicht gelernt zu haben.

Für ihn war Hurrican Mitch, dessen Ausläufer Ende Oktober über Nicaragua hinwegfegten, Tausende Menschen in Schlammlawinen und Hochwasser ertränkten und Zigtausende Bauern obdachlos machten, der Beginn eines großartigen Geschäfts. Es könnte aber, so wie einst das Erdbeben für Somoza, der Anfang vom Ende gewesen sein.

Tausende Hektar Land haben seither den Eigentümer gewechselt. Präsident Alemán selbst, seine Familienangehörigen und einige seiner engsten politischen Freunde befinden sich auf einer systematischen Schnäppchenjagd. Die Transaktionen werden im Eiltempo durchgezogen und in der Regel bar auf die Hand beglichen. Die meisten Liegenschaften, die überschuldeten Bauern oder bankrotten Genossenschaften abgekauft werden, liegen in unmittelbarer Nähe von Tourismusprojekten. Und alle gewinnen über Nacht an Wert, weil sofort der Straßenbau, die Elektrifizierung und Brunnengrabungen in Angriff genommen werden. Auf Staatskosten, versteht sich.

In El Astillero, wo Alemán ein Touristenparadies nach dem Vorbild des mexikanischen Cancún aus dem Sand stampfen will, wurden die am Strand lebenden Fischerfamilien vertrieben. Das Land gehöre jetzt dem Präsidenten, hieß es.

Daß so viele Bäuerinnen und Bauern ihr Land verkaufen müssen, ist eine direkte Konsequenz der Privatisierungspolitik. Die Privatbanken lassen witterungsbedingte Mißernten nicht als Argument gelten, wenn es gilt, fällige Kredite einzutreiben. Die Verwüstungen, die Hurrican Mitch anrichtete, haben die Verelendung nur noch beschleunigt.

Wer von den Sandinisten eine Mobilisierung gegen die systematische Plünderung erwartet hätte, wurde enttäuscht. Parteichef Daniel Ortega ist damit beschäftigt, mit Alemán eine Wahlrechtsreform und andere Übereinkommen auszuhandeln.

Kein Wunder, daß der Rechnungshofspräsident Jarquín inzwischen als eigentlicher Oppositionsführer angesehen wird. Dem Aufruf von William Grigsby folgten mindestens zehntausend Menschen: Liberale, Konservative, Christdemokraten, prominente RepräsentantInnen aller sandinistischen Strömungen, auch der offiziellen.

Anders als bei herkömmlichen Demonstrationen kamen die TeilnehmerInnen spontan und mußten nicht über Gewerkschaften oder andere Massenorganisationen herangekarrt wurden. Auch die sandinistische Parteibürokratie hielt sich heraus. Ortegas offiziöses Sprachrohr „Radio YA“ geiferte vielmehr tagelang gegen die „sandinistischen Renegaten“, die hinter der Veranstaltung stünden.

Dank des großen Erfolges könnte der Marsch die Geburtsstunde einer neuen Opposition sein, die nicht von engen parteipolitischen Interessen geleitet wird.

Der Autor arbeitete lange als Korrespondent deutschsprachiger Zeitungen in Nicaragua und lebt nun als freiberuflicher Journalist in Wien.

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