Das große Schweigen

Von Werner Hörtner · · 2000/04

Der entwicklungspolitischen „Szene“ hat es angesichts der Budgetkürzungen offensichtlich die Rede verschlagen. Ein Aufruf zur Wiederfindung des verlorenen Wortes.

Ein merkwürdiges Phänomen: Auf der einen Seite die allgemeine Aufbruchsstimmung angesichts der politischen Situation. Nicht nur die regelmäßigen Demonstrationen, sondern unzählige Diskussionsrunden und Initiativen sind entstanden, die das Schlagwort der repolitisierten Zivilgesellschaft mit Leben erfüllen. Theater öffnen ihre Tore dem politischen Diskurs, KünstlerInnen verlassen Schreibtisch und Atelier und proben den Widerstand, StudentInnen steigen auf die Barrikaden.

Und auf der anderen Seite dieser schwer erklärliche Kontrast: Im Bereich der entwicklungspolitischen Organisationen, deren Budgets binnen wenigen Monaten so stark beschnitten wurden wie noch nie, herrscht völliges Schweigen. Ihre einzige Antwort auf den Kahlschlag besteht in marktwirtschaftlichen Überlebensstrategien: es wird fusioniert, entlassen, entschlackt, Projekte werden gekürzt, auf Eis gelegt, gestrichen.

Steckt eine bestimmte Strategie hinter dieser Stillhalte-Politik? Oder ist es Lähmung, Resignation, Sich-Abfinden mit einer Situation, gegen die eh nichts gemacht werden kann? Ende des Vorjahres, als der damalige SPÖ-Finanzminister den radikalen Aderlass verfügte – und die damalige Staatssekretärin für Entwicklungszusammenarbeit, Benita Ferrero-Waldner, heftig dagegen protestierte -, damals ging ein Aufschrei durch die Szene, Pressekonferenzen, Kundgebungen, Protestbriefaktionen trugen unseren Aufschrei in die Öffentlichkeit und fanden ein beachtliches Medienecho. Und nun, nach Antritt der neuen Regierung, nach Bekanntgabe der Budgetzahlen, die ein Absinken des Etats für Projekt- und Programmarbeit binnen weniger Monate von 950 auf 750 Millionen Schilling besiegeln, diese unheimliche Ruhe …

Man sollte einen Preis ausschreiben für die glaubwürdigste Erklärung dieses Schweigens. So aber können wir Sie, liebe solidarischen Leserinnen und Leser, nur ganz freundschaftlich um Ihre Stellungnahme bitten. Schicken Sie uns doch Ihren Deutungsversuch zu. Unentgeltlich natürlich und kreativ, wenn möglich in Versform, denn Ehrenamtlichkeit ist „in“, so will’s der neue Bürgersinn … Die tief schürfendsten, aussagestärksten, witzigsten Zusendungen werden veröffentlicht. Vielleicht finden wir so das verlorene Wort wieder.

Und nun zur Abwechslung etwas Erfreuliches. Und das gibt es tatsächlich: Wir sind in die Zeit nach Seattle eingetreten. Wir haben zwar gerade die Millenniumswende hinter uns (oder auch nicht, je nach Berechnung), doch wird in Zukunft die Geschichtsschreibung – zumindest die „andere“, die alternative, so wie Eduardo Galeano sie versteht – , unsere Zeit in die Ära vor und nach Seattle einteilen. Nach Seattle, das ist die Zeit des Widerstands (den es natürlich auch vorher gab, – doch wollen auch wir auf schöne symbolische Momente nicht verzichten). Einige Ausblicke auf diesen weltweiten Widerstand bietet ihnen dieses Heft: der indigene und schwarze Widerstand in Brasilien, der Kampf gegen das Narmada-Staudammprojekt, der weltweite Kampf um Land (Interview mit Doris Gutiérrez).

Die schon lange von Subcomandante Marcos aus Chiapas eingeforderte Globalisierung des Widerstandes von unten befindet sich auf dem Weg der Verwirklichung. Und sie trägt durchaus globale, internationalistische Züge: So würde kürzlich in Mexiko ein „Solidaritätskomitee zur Unterstützung des heldenhaften Widerstandes der österreichischen Bevölkerung“ gegründet. (Wir werden noch darüber berichten.)

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