Das Massaker von Moura

Von Bettina Rühl, Bamako · · 2022/Jul-Aug
Bamako, Hauptstadt von Mali: In diesen Viehmarkt flüchteten sich Vertriebene nach dem Massaker in Moura. © Bettina Rühl

Überlebende berichten von einem Massaker der malischen Armee und ihrer russischen Verbündeten im Ort Moura.

Der junge Mann hat Zuflucht auf einem der Viehmärkte von Bamako gesucht, der malischen Hauptstadt. Er möchte aus Sicherheitsgründen anonym bleiben und heißt hier Adama Cissé. Cissé hat nach eigenen Angaben eines der bisher schwersten Massaker malischer Soldaten überlebt – und die Armee hatte offenbar Unterstützung durch russische Verbündete.

Human Rights Watch bestätigt die Ereignisse: Zwischen Ende März und Anfang April wurden in dem Ort Moura im südlichen Zentralmali demnach bis zu 300 Menschen getötet. Dem Bericht der Menschenrechtsorganisation zufolge waren an dem Massaker auch russische Kämpfer beteiligt. Die malische Armee hatte nach den Schüssen in Moura gemeldet, sie habe mehr als 200 islamistische Kämpfer getötet.

In Cissés Augenzeugenbericht klingt das ganz anders. Wie er erzählt, ging er am 27. März auf den Markt von Moura, sein Heimatdorf Ngossiri sei nur zwei Kilometer entfernt.

Er habe als einer der ersten fünf Militärhubschrauber gesehen, von denen vier landeten, einer habe weiter über Moura gekreist. Aus den Hubschraubern seien Bewaffnete gestiegen, „sie waren alle weiß“, so Cissé. Die Besatzung des Hubschraubers, der in der Luft stehen blieb, habe „auf alle geschossen, die zu fliehen versuchten“.

Weiße Mörder. Ein weiterer Überlebender, der hier Boubacar Diallo heißt, erzählt, er sei ebenfalls im Anschluss an das Massaker nach Bamako geflohen.

Mali

Hauptstadt: Bamako  

Fläche: 1.240.192 Mio. km2 (Österreich: 83.880 km2)

Einwohner*innen: 19,55 Millionen, der Großteil der Bevölkerung lebt im Süden des Landes, der von den Strömen Niger und Senegal durchflossen wird. Der Norden erstreckt sich bis tief in die Sahara und ist kaum besiedelt.

Human Development Index (HDI): Rang 184 von 189 (Österreich 18)

BIP pro Kopf: 862,5 US-Dollar (Österreich: 48.588,7 US-Dollar)

Regierungssystem: Semipräsidentielle Republik, in der es im August 2020 zum Staatsstreich kam. Vizepräsident Assimi Goïta von der Übergangsregierung hat im Mai 2021 das Präsidentenamt nach einem Putsch im Putsch kommissarisch übernommen.

Als die Hubschrauber gegen 17 Uhr abgeflogen seien, hätten Bewaffnete den Ort Moura umstellt: sowohl malische als auch weiße Soldaten, die nicht Französisch sprachen, die Sprache der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich. „Die Weißen sind dann von Haus zu Haus gegangen und haben jedes nach Männern durchsucht“, erinnert sich Diallo. „Es waren viel mehr weiße als malische Soldaten.“

Cissé und Diallo berichten, dass alle Männer zusammengetrieben wurden. Cissé schätzt die Zahl der Gefangenen auf 4.000, nach und nach seien aber einige wieder freigelassen worden.

Die Männer seien in Gruppen aufgeteilt und festgehalten worden. „Ich habe gesehen, wie die weißen Bewaffneten einzelne Männer absonderten und sie dann exekutierten“, erzählt Cissé.

Die malischen Soldaten hätten die Gefangenen bewacht, die Russen hätten die Opfer ausgewählt und exekutiert. Ob es sich um russische Soldaten oder Söldner der berüchtigten Wagner-Gruppe handelt, können weder Cissé noch Diallo sagen. Vermutlich wüssten sie auch nicht, wie sie den Unterschied erkennen sollten.

Die malische Regierung dementiert, dass sie mit Mitgliedern des privaten Militärunternehmens kooperiert. Sie unterhalte allerdings eine Sicherheitspartnerschaft mit Russland.

Berüchtigt. Die Söldner der paramilitärischen Armee Wagner tragen keine besonderen Uniformen und keine russischen Hoheitszeichen oder andere Merkmale. Dem Kreml zufolge hat die Söldner-Gruppe nichts mit dem russischen Staat zu tun.

Nach US-Erkenntnissen wird das Unternehmen dagegen von dem Oligarchen Jewgeni Prigoschin finanziert, einem engen Vertrauten des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Die Wagner-Söldner sollen auch in der Ukraine im Einsatz sein, sie kämpfen in Syrien und Libyen, sollen auch in anderen afrikanischen Staaten agieren, so in der Zentralafrikanischen Republik und im Sudan. Ihre Einsätze sind völlig intransparent: geheime Verträge, verdeckte Stationierungen.

Die rund 20 Augenzeug*innen, mit denen die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch gesprochen hat, berichteten laut der Westafrika-Direktorin Corinne Dufka den gleichen Ablauf. Unter den Verhafteten und Exekutierten hätten sich sowohl Dorfbewohner*innen als auch Hunderte von Händler*innen befunden, die an diesem Sonntag auf den Markt gekommen waren.

„Die Exekutionen gingen Tag und Nacht weiter“, erzählt Cissé. „Alle zehn Minuten hörten wir Schüsse.“ Insgesamt wurden laut Human Rights Watch etwa 300 Menschen getötet. „Die genaue Zahl weiß niemand“, meint Diallo. „Ich allein habe mehr als 200 Leichen gezählt.“

Bislang ist unklar, wie viele der Toten Zivilist*innen waren und wie viele tatsächlich einer der islamistischen Terrorgruppen angehörten, die in Mali gegen die Regierung und gegen die Armee kämpfen.

„Natürlich haben bei uns auch Islamisten gelebt“, sagt der Überlebende Cissé. „Wir kannten sie, weil sie nie ein Geheimnis daraus gemacht haben.“ Es seien aber sehr wenige gewesen, „unter 100 Menschen waren vielleicht sechs Islamisten“.

Putsch und Krise

Seit August 2020 ist in Mali eine Militärjunta an der Macht. Die Regierung von General Assimi Goïta und Premierminister Choguel Maïga hat die Wahlen, die gemäß internationaler Vereinbarungen spätestens Ende Februar 2022 stattfinden hätten sollen, jetzt um zwei Jahre verschoben.  

Sich ausbreitende Terrorgruppen, bewaffnete Banden und ein schwacher Staat sorgten schon vor dem Putsch für Instabilität und schwere wirtschaftliche Krisen. Zunehmend kommt es im westafrikanischen Land zu Ausschreitungen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen. Weiter geschürt werden die Konflikte durch die Folgen der Klimakrise und schwindende Ressourcen.  red

Stabilität ersehnt. Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen der Armee werden in Mali von vielen erstaunlich wenig ernst genommen. Adama Ben Diarra zum Beispiel ist überzeugt: „Die Vorwürfe sind aus der Luft gegriffen.“ Der 36-Jährige ist Präsident der zivilgesellschaftlichen Plattform „Yèrèwolo debout sur les remparts“, auf Deutsch etwa „Wachsam auf den Zinnen“. Diarra gilt als einer der derzeit einflussreichsten Aktivisten in Mali und ist ein scharfer Kritiker Frankreichs.

Das Ende der französischen Anti-Terroroperation Barkhane Anfang dieses Jahres hat er begrüßt. Die Vorwürfe gegen die malische Armee und ihre russischen Verbündeten seien der bewusste Versuch Frankreichs, den Ruf der malischen Armee und ihrer russischen Partner zu beschädigen. „Überall da, wo der Westen nicht am Drücker ist, spricht er von Übergriffen der Armee gegen die Zivilbevölkerung“, meint Diarra.

Auch Boubacar Bocoum steht fast vorbehaltlos hinter der militärischen Übergangsregierung unter Präsident Assimi Goïta und der malischen Armee. Bocoum ist Präsident einer noch jungen politischen Partei und Analyst am malischen Zentrum für Strategische Studien. Über die Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen, die unter anderem Human Rights Watch dokumentiert, sagt er: „Derlei Übergriffe werden in einem Krieg auch Kollateralschäden genannt.“

Man könne das nicht verhindern. „Aber wo ist das Problem? Entscheidend ist am Ende die Bilanz: Hat die Militäroperation mehr Positives oder mehr Negatives bewirkt? Allein darauf kommt es an.“

Eine verstörende Reaktion auf den mutmaßlichen vielfachen Mord an Zivilist*innen. Natürlich repräsentiert Bocoum nur einen Teil der Bevölkerung, aber eine völlige Außenseitermeinung vertritt er auch nicht. Es scheint, als ersehne die malische Bevölkerung derzeit vor allem eins: Stabilität. Und das um jeden Preis.

Bettina Rühl ist freiberufliche Journalistin mit dem Schwerpunkt Afrika und arbeitet für mehrere Zeitungen sowie den Hörfunk der ARD. Sie lebt in Nairobi.

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