Das Spiel des Möglichen

Von Werner Hörtner · · 2000/01

Eduardo del Llano, der Drehbuchautor des kubanischen Films „Kleines Tropikana“, der im Februar in Österreich anläuft, beschreibt im folgenden, exklusiv für das SÜDWIND-Magazin verfassten Beitrag die Entstehungsgeschichte dieses sehenswürdigen Films, der ü

Nach unserer Premiere als schöpferisches Zweigespann mit dem Film „Alicia en el pueblo de Maravillas“ (Alicia im Dorf der Wunder, ICAIC, Kuba 1991) gingen der Regisseur Daniel Díaz Torres und ich verschiedene Wege. Er begann, zusammen mit dem Dichter Guillermo Rodríguez Rivera, an seinen vierten Spielfilm „Quiéreme y verás“ zu arbeiten, während ich einige Erzählungen schrieb. Dennoch vermuteten wir beide, dass wir eines Tages wieder einmal an einem Film zusammenarbeiten würden, zum Wohle oder zum Unglück des kubanischen Kinos.

Im April 1995 hatten wir eine Idee, die uns beide bezauberte. Vorher hatte ich Daniel schon mehrere Projekte vorgeschlagen, die er mir ständig mit einem Gesichtsausdruck zurückgab, der ausdrückte: „sehr interessant, ja – heb’s in irgendeiner Schublade auf …“

Dann, eines Morgens, als wir gerade bei mir zuhause plauderten, kam uns die Geschichte eines Ausländers in den Sinn, der in Kuba ermordet wird, und eines Polizisten, der diesen Fall untersucht. In den darauf folgenden Wochen sollten dann alle meine Nachbarn bemerken, dass sie einer Geburt beiwohnten: Daniel und ich diskutierten den neuen Film in höchster Lautstärke.

Im darauf folgenden Juni waren Daniel, ein weiterer kubanischer Regisseur, Julio García Espinosa, meine Frau Marta und ich Gäste des Filmfestivals in Innsbruck. Nach dem Cineasten-Treffen reisten Julio und Daniel nach Spanien. Helmut Groschup, Leiter des Festivals und jahrelanger Freund, schlug mir vor, nach Sankt Siegmund zu fahren, einem kleinen Ort in den Tiroler Bergen, um dort eine erste Version jenes Filmprojekts zu schreiben, von dem Daniel und ich ihm mit rührender Begeisterung erzählt hatten. Meine Frau und ich stimmten natürlich zu.

In meiner alpinen Zufluchtsstätte bemerkte ich jedoch schnell, wie schwierig es war, sich inmitten dieser unglaublichen Landschaft auf eine kreative Tätigkeit zu konzentrieren.

In ungefähr einem Monat hatte ich diese erste Fassung fertig. Wir kehrten dann Mitte August nach Kuba zurück. Ich zeigte den Entwurf Daniel, der sich sofort daranmachte, ihn mit seiner Kritik sorgfältig zu zerfetzen. Aber so arg war es auch wieder nicht, denn in Wirklichkeit haben viele Szenen dieser ersten Fassung alle darauf folgenden Versionen überlebt. Es erschien mir bloß furchtbar ungerecht, auch nur eine Zeile der Dialoge zu streichen, da ich immer daran denken musste, dass ich vielleicht gerade über dem Ausbrüten dieser einen Zeile eine Wanderung in die Berge um Sankt Siegmund versäumt hatte.

Von diesem Moment an verschoben wir ein ganzes Jahr lang Szenen, tauschten Personen aus, verwarfen unzählige Varianten, hatten geniale Ideen, die dann zu nichts nützten, diskutierten und stritten bis zum Exzess.

Im April 1996 nahm ich an einer Werkstatt für Drehbuchautoren unter der Leitung des Argentiniers Jorge Goldemberg teil, der in der Filmakademie von San Antonio de los Bańos in der Nähe von Havanna stattfand. Dort erfuhr mein Text eine gesunde Verbesserung. In diesen Tagen gewannen wir den Drehbuch-Preis der Hubert Bals-Stiftung. Obwohl das Drehbuch schon ziemlich fertig war, spornte uns das Preisgeld neuerlich an. So entstanden fünf Fassungen, bis schließlich die deutsche Bertelsmann-Gesellschaft als Partner auf den Plan trat. Nun begann sich das Projekt zu konkretisieren. Dennoch nahmen wir noch in letzter Stunde Änderungen vor, und selbst während der Dreharbeiten kamen uns neue Ideen …

„Kleines Tropikana“ wurde zwischen Juni und August 1997 an über fünfzig verschiedenen Schauplätzen von Havanna gedreht. Ich hatte dabei außerordentliches Glück. So erlebten wir zum Beispiel kurz vor der ersten Drehwoche einen Schlechtwettereinbruch, mit starken Regenfällen und Nebel. Und die ersten Szenen waren Außenaufnahmen! Doch genau an dem Morgen, als wir mit den Arbeiten begannen, kehrte das schöne Wetter zurück, und wir konnten bestens filmen. Und die ganzen neun Drehwochen hindurch hatte ich das Gefühl, dass uns die Götter bei unserer Arbeit begleiteten.

Zuerst hatten Daniel und ich schon sehr viel Spaß mit dem Drehbuch. Dann hatten das Team und die Schauspielerinnen und Schauspieler ihren Spaß damit. Ich glaube, dass wir diesen Geist in den Film übertragen konnten. In einer Geschichte, die von den unendlichen Möglichkeiten und der Notwendigkeit der Vorstellungskraft handelt, war das äußerst wesentlich.

Die Leute, die den Film gesehen haben, reagieren heftig und leidenschaftlich darauf. „Kleines Tropikana“ kann gefallen oder auch nicht, aber es lässt niemanden kalt. Der Film ist wie eine unterschwellige Psychoanalyse: Menschen mit wenig Imagination bezeichnen ihn als kompliziert und absurd, während verträumte Menschen ihn bewundern und noch lange danach sich an Szenen erinnern und Teile daraus zitieren können. Und das ist auch logisch so. Es ist kein Film, der allen gefällt, sondern einer, der Komplizen gewinnen will …

(Übersetzung von Werner Hörtner)

Der kubanische Schriftsteller und Drehbuchautor Eduardo del Llano Rodríguez wurde 1962 in Moskau geboren. In den achtziger Jahren leitete er in Havanna die Theatergruppe „Nos-y-otros“.

Zahlreiche Veröffentlichungen machten ihn in Kuba als Romancier bekannt. 1997 erhielt er für seinen im italienischen Verlag Giunti erschienenen Roman „Clessidra di Nicanor“ den Italo-Calvino-Preis für kubanische Literatur.

Der Film „Kleines Tropikana“ erhielt beim 19. Festival des Neuen Lateinamerikanischen Films 1997 in Havanna den Spezialpreis. Die Hauptrollen spielen der Deutsche Peter Lohmeyer und der aus „Erdbeer und Schokolade“ bekannte Vladimir Cruz.

Der 1948 geborene kubanische Filmemacher Daniel Díaz Torres arbeitete viele Jahre lang für die berühmten Wochenschauen („Noticieros“) des Filminstitutes ICAIC. „Kleines Tropikana“ ist sein fünfter Spielfilm. Siehe auch das Interview mit Díaz Torres im SWM 11/94.

„Kleines Tropikana“ wird in Österreich im März seinen Kinostart erleben.

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