„Das System stimmt nicht“

Von Redaktion · · 2008/11

Nach „We feed the World“ bringt Regisseur Erwin Wagenhofer nun gerade rechtzeitig einen Film über die Krise der Finanzmärkte in die Kinos. Mit dem österreichischen Filmemacher sprach Südwind-Redakteur Werner Hörtner.

Südwind: Ihr neuer Film zeigt Ihrer Meinung nach ja nicht oder nicht nur eine Finanzkrise auf, sondern eine Gesellschaftskrise. Was meinen Sie damit genau?
Erwin Wagenhofer:
Es wird in diesen Tagen immer offensichtlicher, dass wir in einer schlimmeren Krise stecken als jene der 1930er Jahre. Einen großen Unterschied gibt es wohl, nämlich dass wir damals in einer schweren wirtschaftlichen Depression steckten, während wir jetzt den höchsten Wohlstand aller Gesellschaften aller Zeiten erleben. Das ist ein Zeichen, dass in der Gesellschaft irgend etwas nicht stimmen kann, nämlich dass dann, wenn es besonders gut läuft, die Gier besonders groß wird.
Der zweite Unterschied ist, dass wir eine Angstgesellschaft geworden sind, sogar eine geschlossene Angstgesellschaft, wenn wir uns die letzten Wahlen anschauen. Dieses System des Wirtschaftens ist nur möglich, wenn Sie den Menschen Angst machen. Das beginnt schon bei den Kindern: Wenn sie in der Schule nicht die erwarteten Ergebnisse bringen, wird es Repressalien geben. Und es setzt sich später das ganze Leben lang so fort. Ich habe ja den Herrn Mirko Kovats im Film, der immer wieder sagt: „Ich habe alle Optionen offen, ich kann überall hingehen.“ Diese Leute reden von Wachstum, meinen aber nur materielles Wachstum und nie geistiges, menschliches, kulturelles, spirituelles Wachstum.

Die Personen aus der Wirtschaftswelt, die Sie in ihrem Film interviewen – Kovats, der Wirtschaftsredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, der Investmentbanker Mobius -, erscheinen wie Schauspieler, die Sie einsetzen, um Ihre Kernthesen zu unterstreichen. Wie haben Sie diese Leute dazu gebracht, dass sie solche demaskierenden Aussagen treffen?
Diese Leute sagen Ihnen das immer. Der Herr Kovats wiederholt das ununterbrochen, das können Sie in jeder Wirtschaftszeitung nachlesen. Der einzige Unterschied ist, dass ich es in einen anderen Kontext stelle. In Wirtschaftszeitungen werden andere Terminologien verwendet, da werden Begriffe missbraucht, wie Liberalisierung, Freiheit, Befreiung. Befreiung von was? Von allen Regeln? Da wird mit dem Deckmantel der Freiheit gearbeitet, aber in Wirklichkeit steht ein anderes Konzept dahinter. Dieses Konzept wird erst durch die Montage demaskiert. Das ist das Handwerk des Filmers.
Erwin Wagenhofer wurde 1961 in Amstetten geboren und arbeitet seit 1987 als Filmemacher. Mit „We feed the World“ über die globale Ernährungsindustrie gelang ihm ein großer internationaler Erfolg. Sein neuester Dokumentarfilm „Let’s make Money“ beleuchtet mit anschaulichen Beispielen das System, das hinter der gegenwärtigen Finanzkrise steckt. Wir erleben darin die allgegenwärtige Gier und die Zerstörung, die mit unserem Geld angerichtet wird.

Zum Film erscheint auch ein Buch – siehe Rezension im nächsten SWM. Kinostart in allen österreichischen Landeshauptstädten am 31. Oktober.

Wie erklären Sie sich dieses Phänomen, dass wichtige Mitarbeiter dieses teilweise kriminellen politisch-ökonomischen Wirtschaftssystems nach ihrem Ausscheiden, etwa durch Pensionierung, zu scharfen Kritikern des Systems werden?
Genau. Das ist der beste Beweis dafür, dass dieses System nicht stimmt. Ich glaube, dass dies eine normale menschliche Reaktion ist. Es gibt diese Form der Reue, und die kann in den verschiedensten Formen zum Ausdruck kommen. Dass man etwas wieder gutmachen will, dass man Bücher schreibt und das System kritisiert. In dem Film kommt ja der deutsche Private Equity Manager vor, der sagt: „Ich habe es satt. Was wir machen, ist schlecht. Ich will der Welt nur mehr mitteilen, dass das alles Scheiße ist!“

Es ist schwer vorstellbar, dass diese Politiker, die jahrelang die völlige Liberalisierung der Finanzmärkte, den Abbau jeglicher Kontrolle und Beschränkung, gefördert haben, dass diese Menschen die Folgen ihres Handelns nicht erkannt haben. Eigentlich müssten sie ja wegen fahrlässiger Mittäterschaft angeklagt werden.
Müssten sie, ja, aber sie laufen frei herum. Wie unser ehemaliger Finanzminister, der mit einem neuen wirtschaftlichen Unternehmen nach Jersey geht (zu der Steueroasen-Insel im Ärmelkanal; Anm.). Früher hatte er die Aufgabe, Steuern einzutreiben, und später hintertreibt er dann selbst Steuern. Das zeigt, wie tief wir gesunken sind. Das sind die Leute, die sagen: Mehr privat, weniger Staat. Und wer bezahlt die Zeche? Wir.
Wenn der einzige Sinn einer Gesellschaft darin liegt, dass das Geld mehr Geld verdienen muss, dann kommt es eben zu solch einer Situation, wie wir sie jetzt haben.

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