Der Größenwahnsinn

Von Redaktion · · 2012/10

Trotz zahlreicher Klagen und Einsprüche wird am Kraftwerk Belo Monte in der brasilianischen Amazonasregion fest weitergebaut. Dieses Projekt ist nur den Beginn einer großflächigen Ausbeutung des Regenwaldes. Ein Augenzeugenbericht von Bernhard Zeilinger.

Der Kampf um das Belo Monte-Kraftwerk geht weiter. Ungeachtet der laufenden Gerichtsverfahren und fehlender Baugenehmigungen graben sich schwere Baugeräte tief in den Regenwaldboden, um das drittgrößte Wasserkraftwerk der Erde zu errichten. Es werden Fakten geschaffen, die zeigen sollen, dass man alles daran setzen wird, das Kraftwerk entgegen aller Einwände zu bauen. Offen wird bei Rechtsverfahren interveniert, werden KritikerInnen zum Schweigen gebracht und mutwillig Gesetze verändert. Und obendrein: Belo Monte ist nur der Anfang einer von offizieller Seite geplanten Ausbeutung der Amazonasregion.

Bei einem Lokalaugenschein im Sommer dieses Jahres zeigte sich ein besorgniserregendes Bild. Bereits 8.000 Arbeiter sind rund um die Uhr mit Bauarbeiten beschäftigt, die bereits weit über die von der staatlichen Behörde für Umwelt und erneuerbare Naturressourcen (IBAMA) im Februar 2010 erteilte Genehmigung für erste Vorarbeiten hinausgehen. Die nötigen Vorbedingungen für die Erteilung einer Baugenehmigung sind hingegen bei weitem noch nicht erfüllt; ob sie es jemals sein werde, ist ob der vielen offenen Rechtsstreitigkeiten fraglich. Ungeachtet dessen plant das ausführende Baukonsortium Norte Energia die Aufstockung der Anzahl an Arbeitern auf 14.000 in den kommenden Monaten, um im Vollbetrieb eine Fertigstellung des ersten Teilstückes bis 2014 und die endgültige Inbetriebnahme 2019 zu gewährleisten.

Aktuell sind noch elf Verfahren bei den zuständigen Gerichten anhängig, und jedes dieser Verfahren kann theoretisch noch zu einem Baustopp führen. Vor allem die Klagen von Seiten der indigenen Vertreter haben gute Chancen auf Erfolg. Die Verfassung von 1988 sichert ihnen erhebliche Rechte auf den ihnen zugesagten Territorien zu. So ist unter anderem geregelt, dass eine endgültige Baugenehmigung ausdrücklich von ihrer Zustimmung abhängt. Die ist aber so schnell nicht zu erwarten. Zu gravierend sind die Auswirkungen auf ihren unmittelbaren Lebensraum aufgrund des massiven  Eingriffs in das Ökosystem des Xingu-Flusses.

Wie im Falle der bereits realisierten Vorhaben in Balbina(1989) und Tucurui (1984) wird auch in Belo Monte ein Fischsterben ungeheuren Ausmaßes erwartet, welches den indigenen Völkern und lokalen Fischern die Lebensgrundlage auf Jahrzehnte entziehen würde. Die Fischbestände sind vor allem durch die Teilumleitung des Xingu-Flusses und der damit einhergehenden teilweisen Austrocknung wichtiger Laichplätze bedroht. Dazu wird es zu einem immensen Methanausstoß in den überfluteten Waldgebieten kommen, verursacht durch den Fäulnisprozess der unter Wasser gesetzten Vegetation.
Philip Fearnside, Professor am National Institute of Amazonian Research in Manaus, betont, es handle sich speziell bei Staudammprojekten im Amazonas-Regenwald um wahre „Methanfabriken“. Von „sauberer“ und nachhaltiger Energiegewinnung kann unter diesen Umständen keine Rede sein.

 

 

In der brasilianischen Amazonasregion ist der Bau von 48 Wasserkraftwerken geplant!

In Anbetracht der gravierenden Folgen eines Staudammprojektes dieser Größenordnung in einem der sensibelsten Ökosysteme der Erde wäre es nur selbstverständlich zu erwarten, dass alle vorgebrachten Einwände neutral begutachtet und Klageverfahren mit Sorgfalt abgewickelt werden. Die brasilianische Rechtspraxis lässt jedoch diesbezüglich wenig zu hoffen übrig. Gerichtsurteile zu Gunsten der KraftwerksgegnerInnen wurden wiederholt vom Obersten Gerichtshof aufgehoben. Der OGH folgt dabei der Argumentation der Regierung unter Präsidentin Dilma Rousseff, wonach das Gemeinwohl über den Rechten einzelner Personen zu stehen hat.

Die Präsidentin zeigt aber auch hier klar, welchen Interessen sie sich verpflichtet fühlt. Bereits zu ihrer Zeit als Brasiliens Energie- und Bergbauministerin (2002-2005) forderte sie mehr Möglichkeiten zur Nutzung der Bodenschätze der Amazonasregion. Der Ausbau der Wasserkraft wiederum soll in erster Linie den Energiehunger der lokalen Aluminiumindustrie stillen. Ein Indiz dafür ist auch die 9,1%-Beteiligung des größten Minenbetreibers Brasiliens, Vale do Rio Doce (CVRD), am Kraftwerk Belo Monte. Mithilfe der Ausbeutung des Amazonas soll der Aufstieg Brasiliens zur weltweit fünftgrößten Nationalökonomie ermöglicht werden. Der Schutz des Regenwaldes hingegen soll den wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten „angepasst“ werden, wie es Präsidentin Dilma Rousseff in ihrer Rede bei der Rio + 20-Konferenz unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat.

Während der Rechtsstreit um Belo Monte nach über 23 Jahren nun vor seinem unrühmlichen Ende steht, ist bereits der Bau weiterer 48 Kraftwerke im Amazonasgebiet geplant. Zusätzlich soll die Ausbeutung der rohstoffreichen Region mithilfe weiterer Gesetzesänderungen erleichtert werden.

Aktuell stehen zwei Anträge zur Diskussion, welche zum Ziel haben, die Nutzung des Regenwaldes zu erleichtern. Zum einen soll noch diesen Herbst die umstrittene Verordnung 303 in Kraft treten, welche die verfassungsrechtlich verankerten Mitspracherechte indigener Völker schwächt. Dem Staat soll damit in Zukunft der Zugriff auf deren Land erleichtert werden, wie zum Beispiel bei Straßenbauvorhaben sowie der Erschließung neuer Minen- und Staudammprojekte. Der Vorwurf der Anlassgesetzgebung drängt sich auf. Die offenen Gerichtsverfahren könnten in Folge nun im Sinne der Regierung im Rahmen der geänderten Rechtsbasis rasch abgehandelt werden.

Weiters wird gegenwärtig im brasilianischen Kongress eine Novelle des so genannten „Código Florestal“ verhandelt, des „Waldgesetzes“, welches die rechtliche Grundlage für den Schutz des Regenwaldes darstellt. Dieser Entwurf soll in erster Linie die Interessen der mächtigen Lobbys der Viehzüchter, Plantagenbetreiber, der Holzindustrie und Bergbaukonzerne wahren. Eine Annahme der Gesetzesnovelle würde die unumkehrbare Zerstörung des Regenwaldes einläuten, mit verheerenden Folgen für die Biodiversität und den Lebensraum vieler indigener Völker im Amazonasgebiet.

Die brasilianische Regierung hält verbissen an ihren Plänen fest. Und auch europäische Firmen profitieren unbekümmert davon. Der steirische Anlagenbauer Andritz AG ist mit einem Auftragsvolumen von etwa 350 Mio. Euro groß im Geschäft. „Nachhaltigkeit war immer schon ein wichtiger Bestandteil der Unternehmenspolitik von Andritz“, brüstet sich der österreichische Konzern auf seiner Website. Ein merkwürdiges Verständnis von Nachhaltigkeit angesichts der immensen menschlichen und ökologischen Zerstörungen des Belo Monte-Kraftwerks.

Bernhard Zeilinger lebt und arbeitet als Politikwissenschafter und Kommunikationsberater in Wien. Im Zuge seiner Recherchen reiste er im Sommer 2012 für drei Monate durch den Norden Brasiliens und machte sich ein Bild von der Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes.

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