Der Idealismus ist verflogen

Von Redaktion · · 2017/07

Warum der Internationale Strafgerichtshof 15 Jahre nach seiner Eröffnung beweisen muss, dass er relevant ist, erklärt Benjamin Dürr.

Als am 1. Juli 2002 das Römische Statut, der Gründungsvertrag des Internationalen Strafgerichtshofs, in Kraft trat, waren die Hoffnungen groß. Der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan sagte, dieser Moment sei historisch und stärke die Rechtsstaatlichkeit in den internationalen Beziehungen. Die Schaffung des Strafgerichtshofs trage „der Vorstellung einer Welt Rechnung, in der die Täter von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen strafrechtlich verfolgt werden“, sagte Annan.

1998 hatten 120 Länder beschlossen, das erste ständige internationale Strafgericht zu gründen und das Römische Statut entworfen. 60 Ratifizierungen waren nötig. Schon innerhalb kurzer Zeit war die Schwelle erreicht, sodass der Gründungsvertrag 2002 in Kraft trat.

Heute hat das Gericht 124 Mitgliedsstaaten. Seit 2002 landeten 24 Fälle vor dem Gericht, doch nur bei einem Bruchteil kam es tatsächlich zu einem Verfahren: Sechs Urteile wurden gefällt, neun Personen wurden zu hohen Geld- und Haftstrafen von bis zu 18 Jahren verurteilt, ein Angeklagter wurde freigesprochen. Weil das Gericht kein eigenes Gefängnis besitzt, sitzen die Verurteilten ihre Strafe in normalen Gefängnissen in den Mitgliedsländern ab.

Fehlende Exekutive. In der Mehrzahl der Fälle wurden die Verdächtigen nicht festgenommen. Zu den prominentesten Flüchtigen gehört der sudanesische Präsident Omar al-Baschir, der wegen Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in der Region Darfur zur Fahndung ausgeschrieben ist. Außerdem der ugandische Rebellenführer Joseph Kony, dessen paramilitärische Gruppierung Lord‘s Resistance Army (LRA, „Widerstandsarmee des Herrn“) für Hunderttausende Tote in Zentralafrika verantwortlich gemacht wird.

Die Unfähigkeit, diese Haftbefehle zu vollstrecken, das Fehlen einer Exekutive, ist wohl eine der größten Schwächen des Strafgerichtshofs. Er ist auf die Mitarbeit der Regierungen angewiesen.

Und diese Bereitschaft ist nach 15 Jahren an einem Tiefpunkt. Südafrika, Burundi und Gambia sind im Herbst des Vorjahres aus dem Römischen Statut ausgetreten. Auch wenn Südafrika und Gambia den Austritt inzwischen wieder rückgängig gemacht haben, herrscht unter afrikanischen Regierungen inzwischen eine starke Abneigung gegen den Strafgerichtshof. Als Grund nennen sie das angeblich einseitige Vorgehen gegen Afrika – bisher waren alle Angeklagten Afrikaner.

Auch westliche Regierungen sind kritischer geworden, eine Haltung, die sich beispielsweise bei den immer zurückhaltenderen finanziellen Zusagen ausdrückt. In Den Haag gibt es drei Gerichtssäle, jedoch reicht das Geld derzeit nur für Personal für zwei davon.

Untätig im Abseits. Durch die Unfähigkeit des UN-Sicherheitsrats, sich beispielsweise im Syrien-Konflikt auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen, steht auch der Strafgerichtshof zunehmend untätig im Abseits. In wichtigen derzeitigen Konfliktregionen wie Syrien und Südsudan, die keine Mitgliedsländer sind, kann Den Haag ohne Mandat des Sicherheitsrats nicht eingreifen. Dadurch droht das Gericht langfristig in die Irrelevanz zu gleiten.

Im weiteren Sinne hat die Eröffnung des Strafgerichtshofs jedoch für wesentliche Entwicklungen gesorgt: Alle Mitgliedsstaaten nehmen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in ihre nationalen Gesetze auf, wodurch eine weitreichende Verbreitung des Völkerstrafrechts stattfindet.

Das Gericht selbst mag sich in einer Krise befinden. Die Idee, die vor 15 Jahren Wirklichkeit wurde, hat sich jedoch außerhalb der Institution fortgepflanzt und wächst.

Benjamin Dürr ist Völkerstrafrechtler und Journalist. Vor kurzem erschien von ihm das Buch „Im Namen der Völker: Der lange Kampf des Internationalen Strafgerichtshofs“ (edition Körber-Stiftung, Hamburg 2016).

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