Der lange Weg nach Bamako

Von Bernard Schmid · · 2006/03

Premiere in Bamako, der Hauptstadt von Mali: Zum ersten Mal tagte das Weltsozialforum in einem afrikanischen Land.

Zehnjährige Schulkinder in den landestypischen Schuluniformen graben eifrig Erde um und pflanzen die bereit liegenden Palmsetzlinge ein. Nicht weit entfernt davon kommen kurz darauf EuropäerInnen ins Schwitzen, als sie 60 Eukalyptusbäumchen einsetzen. Mit diesem symbolischen Akt endet die erste Runde des diesjährigen Weltsozialforums (WSF) in Bamako, der Hauptstadt des westafrikanischen Staats Mali. Sie trat vom 19. bis 23. Januar 2006 zusammen, gefolgt von der zweiten Runde im venezolanischen Caracas. Die dritte Runde im pakistanischen Karachi wurde aufgrund des Erdbebens auf März verschoben.
Rund um die versöhnliche Szenerie haben mehrere Gruppen aus Mali mit Transparenten Aufstellung genommen, die auch über das Ende des WSF hinaus einen handfesten politischen Protest zu Gehör bringen wollen: „Gebt dem malischen Volk die Eisenbahn zurück“, ist darauf zu lesen. Die Protestierenden sind vom „Bürgerrechtskollektiv für die Wiederherstellung und Entwicklung der Eisenbahn in Mali“, das gegen die Privatisierung und den Abbau des Schienennetzes in dem Land kämpft. 2003 hatte das französisch-kanadische Konsortium „Transrail“ es aufgekauft. Seither wurden 26 von 36 Bahnhöfen geschlossen.

Es war eine Premiere für Afrika: Erstmals fand ein Teil des WSF in einem afrikanischen Land statt. Mit dem Splitten des Programms auf drei Kontinente wollte man nicht nur den organisatorischen Aufwand für diese „Riesenmaschine“ vor Ort reduzieren, sondern auch das Forum näher an die AkteurInnen und Betroffenen heran bringen.
Dies dürfte nur teilweise gelungen sein. Zweifelsohne konnten noch nie so viele Menschen vom afrikanischen Kontinent überhaupt an einem WSF teilnehmen wie diesmal in Bamako. Doch führten finanzielle Zwänge im Vorfeld zu Abstrichen: Knapp 3 Millionen Euro hatten die VeranstalterInnen veranschlagt. Real verfügten sie dann über gut eine Million Euro. Der Plan, im Landesinneren Menschen für das Sozialforum zu mobilisieren, musste deshalb zurückgeschraubt werden. Statt den acht Regionen durchzog die „Karawane“ der VeranstalterInnen nur fünf. Dennoch reisten auch LandarbeiterInnen, Bauern und Bäuerinnen in die Hauptstadt.
Geschätzte 85 Prozent der TeilnehmerInnen vom WSF in Bamako kamen vom afrikanischen Kontinent, der Löwenanteil aus Mali selbst und aus den Nachbarländern Senegal, Guinea-Conakry und Niger; darunter viele VertreterInnen von Gewerkschaften und Bildungseinrichtungen. Auch Togo war mit Menschen aus der Protestbewegung gegen die gefälschten Wahlen vom Vorjahr relativ stark präsent. Insgesamt nahmen laut VeranstalterInnen 15.000 bis 20.000 Menschen teil. Kaum dabei waren Zentral-, Ost- und südliches Afrika, mit Ausnahme der Republik Südafrika, aus der eine Delegation – aller Hautfarben – angereist war. Man muss sich vorstellen, dass schon Gäste aus dem benachbarten Guinea-Conakry einen durchschnittlichen Monatslohn für die Anreise hinblättern mussten.

Inhaltlich dominierten drei Themen: Frauenrechte, Kritik an der europäischen Migrationspolitik – mit zahlreichen Arbeitsgruppen und Augenzeugenberichten von den Dramen in Ceuta und Melilla im Herbst vorigen Jahres – sowie die Aktivitäten der Fairtrade-Bewegung. Bei diesen Themen gab es auch die wenigsten Konflikte zwischen Akteuren mit Anbindung an staatliche Institutionen und sozialen Basiskräften. Denn auch die Regierung von Mali, das seit einer Revolte der Bevölkerung 1991 demokratisch geführt wird, betont, wie wichtig Frauen für die Entwicklung sind – etwa in der Gesundheitsvorsorge, der Bekämpfung von HIV, aber auch in der Wirtschaft. Die Arbeit von Basisinitiativen gegen die in der Gesellschaft weit verbreitete Genitalverstümmelung von Mädchen wird etwa vom Staatsfernsehen unterstützt. Im „Frauenuniversum“ des Forums wurde drei Tage über die dringendsten Probleme der Diskriminierung von Frauen am Kontinent und darüber hinaus debattiert.
Stärker wurden die Konfrontationen, als es um Verteilungskonflikte in Mali selbst ging. Außerhalb des offiziellen Programms hielten „Radio Kayira“ („Die Stimme der Stimmlosen“) und die kommunistische Bewegung „Afrikanische Solidarität für Entwicklung und Unabhängigkeit“, die den Kultur- und Tourismusminister stellt, auf dem Gelände des WSF ein Sozialforum im besten Sinne ab: Arme Bäuerinnen und Bauern, Landlose und Arbeiter aus den Goldminen in Mali berichteten von heftigen sozialen Konflikten, von Zusammenstößen mit Großgrundbesitzern und Umweltvergiftung mit Quecksilber aus dem Goldabbau. Unterstützung erhielten sie von französischen Basisgruppen.

Der Autor lebt als freier Journalist in Paris. Seine letzte Buchveröffentlichung „Algerien – Frontstaat im globalen Krieg? Neoliberalismus, soziale Bewegungen und islamistische Ideologie in einem nordafrikanischen Land“ erschien 2005 beim Unrast Verlag.

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