Der lange Weg zur Unabhängigkeit

Von Gerhard Pulfer · · 1999/09

Der neue israelische Premier Barak hat sich zum Ziel gesetzt, innerhalb der nächsten 15 Monate in Verhandlungen mit den Palästinensern die Möglichkeit einer grundsätzlichen Einigung zu sondieren. Im positiven Falle wird sicherlich ein palästinensischer St

Jahrzehntelang wurde eine eigenständige palästinensische Wirtschaft von der israelischen Besatzung bewußt gehemmt. Noch immer ist der industrielle Output gering. Steinkacheln für Hausfassaden, Nahrungsmittel und Getränke, sowie Kleidung führen die Liste der Exportprodukte an.

Die Landwirtschaft schrumpft bis heute durch den Mangelan Boden und Wasser, Agrarexporte verderben infolge der israelischen Sicherheitschecks in den Häfen und an den Grenzübergängen.Aufgrund des Friedensprozesses hatte man mit privaten Investitionen und verbesserten Marktzugängen ins Ausland und nach Israel gerechnet. Doch beide Hoffnungen wurden massiv enttäuscht. Das im vorigen Jahr fertiggestellte Casino der Casino Austria Gruppe in Jericho ist daher auch die bis dato größte private ausländische Investition in Palästina.Es soll vor allem Israelis anlocken, denen Glücksspiel im eigenen Land verboten ist; PalästinenserInnen sind als Gäste im Casino nicht zugelassen.

Ein mit Israel ausgehandeltes Freihandelsabkommen existierte von Anfang an nur auf dem Papier, da die israelische Absperrungspolitik Handel und Wirtschaft in jeder Richtung beschränkt. Auch die Anzahl der palästinensischen ArbeiterInnen in Israel ging seit dem Friedensabkommen um mehr als die Hälfte zurück. Als Sicherheitsmaßnahmen ausgegebene Totalabriegelungen der besetzten Gebiete und selbst der autonomen Zonen innerhalb der West Bank legen immer wieder jede ökonomische Aktivität lahm. Diese Absperrungen behindern zwar den Warenverkehr, können aber zu Fuß ohne Probleme umgangen werden, was die Sicherheitsdimension der Maßnahmen in Frage stellt.

Die Hoffnungen auf Investitionen verblaßten angesichts dieser Rahmenbedingungen schnell. Israels Handelsabkommen mit Jordanien und der Türkei machen zudem palästinensischen Produkten auf den israelischen Märkten Konkurrenz, wie Munther Bandak, Besitzer einer Möbelfabrik und Vorsitzender der Kammer für Industrie und Gewerbe in Bethlehem, erklärt. Die Folge war ein weiterer Rückgang der palästinensischen Industrieproduktion und ein Umstieg von Güterproduktion auf Güterimport.

Der leichte Aufwärtstrend des vergangenen Jahres wird durch die Rezession der israelischen Wirtschaft, an welche die palästinensische noch immer eng gekoppelt ist, heuer vermutlich wieder abgebremst werden. Die Unsicherheiten über die politische Zukunft tragen das Ihrige bei.

Die Palästinenser benötigen einen freien Zugang zu ihren Handelspartnern, um in Zukunft in größerer Unabhängigkeit von Israel ihre eigene Wirtschaftspolitik betreiben zu können. Für einen zukünftigen palästinensischen Staat wird daher die Frage der territorialen Gliederung (gemeint ist, daß die Gebiete möglichst zusammenhängend angeordnet sein sollen) sowie der Kontrolle über Ressourcen und Außengrenzen von überlebenswichtiger Bedeutung sein.

Fraglich ist derzeit auch, wie ein palästinensischer Staat im Inneren aussehen wird. Der Aufbau der Palästinensischen Autonomiebehörde PA aus dem Nichts brachte zweifellos enorme Schwierigkeiten mit sich. Doch bei allem Verständnis dafür darf nicht übersehen werden, in welche Richtung dieses System gegenwärtig steuert. Es zeichnet sich u.a. durch eine extreme Zentralisierung rund um die Person Arafats sowie eine fehlende Gewaltentrennung und Rechtsstaatlichkeit aus. Die Polizeiapparate haben überproportionale Machtbefugnisse; willkürliche Verhaftungen stehen an der Tagesordnung.

Bei den Vorstellungen von einer palästinensischen Demokratie sind jedoch die Positionen von PA und israelischer Regierung durchaus ähnlich. Man scheint sich auf israelischer Seite der Gefahr bewußt zu sein, daß sich unter einer demokratischen PA keine Mehrheit mehr für die Fortsetzung dieser Art von „Friedensprozeß“ finden könnte.

Aus Sicht der Israelis besteht die Existenzberechtigung der PA in der Terrorbekämpfung und Gewährleistung der Sicherheit Israels. Doch Terrorbekämpfung nach israelischen Sicherheitsvorstellungen ist mit demokratischen Verhältnissen kaum zu vereinbaren. So wurde z.B. auf Druck der USA und Israels eine Klausel in das Wye-Abkommen aufgenommen, welche die „Anstiftung zu Gewalt und Terror“ unter Strafe stellt. Wenige Tage nach Unterzeichnung des Abkommens führte die PA Massenverhaftungen durch und ließ oppositionelle Medien schließen.

Beispielhaft für das Ringen zwischen demokratischen und autoritären Kräften innerhalb der palästinensischen Gesellschaft ist der derzeitige Streit zwischen Autonomiebehörde und politisch aktiven Nicht-Regierungsorganisationen..

Die mehr als 2000 NROs haben bis heute maßgeblich am Aufbau der palästinensischen Gesellschaft mitgewirkt. Sie durchdringen alle gesellschaftlichen Bereiche. Ihre Aktivitäten reichen vom Betrieb von Krankenhäusern (das von einer NRO geführte Maqasset Krankenhaus in Jerusalem ist beispielsweise das größte palästinensische Spital), Kindergärten und Frauenzentren bis zu Errichtung von Gewerkschaften, Forschungseinrichtungen und wirtschaftlichen Kooperativen.

Die rechtliche Stellung der NROs ist dennoch nicht geklärt. Aufgrund einer Initiative des Palestinian NGO Network (PNGO), dem kleinsten, jedoch politisch aktivsten und unabhängigsten der vier NRO-Dachverbände, verabschiedete das palästinensische Parlament ein NRO-Gesetz, das jedoch – wie so viele andere auch – bisher von Arafat nicht unterzeichnet und umgesetzt wurde. Der Kernpunkt des Konflikts ist der Wunsch Arafats, die Registrierung der NROs dem von ihm geleiteten Innenministerium zu unterstellen, während das Gesetz die Registrierung beim Justizministerium vorsieht. PNGO erblickt hierin den Versuch einer politischen Kontrolle.

„In einer echten Zivilgesellschaft, in der das Gesetz regiert, wäre die Registrierung beim Innenministerium kein Problem. Doch hier, mit dieser Sicherheitsmentalität, würde es ein ernsthaftes Problem bedeuten, da die Autonomiebehörde die Registrierung einfach verweigern würde“, meint Rinad Qubaj, Programmkoordinatorin von PNGO.

In den letzten Wochen verschärfte sich der Konflikt zwischen der PA und PNGO durch Korruptionsvorwürfe, die der Justizminister gegen politisch mißliebige Organisationen erhoben hat. Er verknüpfte diese Vorwürfe mit der Forderung nach besserer finanzieller Kontrolle der NROs. Daß die PA eine Position anstrebt, die es ihr erlauben würde, einerseits am Budgetkuchen der Nicht-Regierungsorganisationen mitzunaschen (das Budget von Palestinian Agricultural Relief Committees beispielsweise überstieg im letzten Jahr jenes des Landwirtschaftsministeriums) und andererseits kritische NROs auszuhungern, wurde dabei immer offensichtlicher.

Vorläufiger Höhepunkt der Auseinandersetzung: die Errichtung eines eigenen NRO-Ministeriums.

Auf der Gründungspressekonferenz der neuen Körperschaft brüstete man sich stolz mit der Progressivität der PA, die als einzige Regierung der Welt ein eigenes Ressort für NROs habe. Wie der neue Minister Hassan Asfour, der ehemaliger Führer der Kommunistischen Partei in den besetzten Gebieten, am Tag nach der Pressekonferenz in einem Vieraugengespräch mit Rinad Qubaj versicherte, habe man eine durchaus positive Einstellung gegenüber den Nicht-Regierungsorganisationen und wolle lediglich deren Kooperation mit den PA-Ministerien fördern. Ob dies eine Umschreibung für politische und finanzielle Kontrolle ist, wird die nahe Zukunft zeigen.

Raji Sourani, der Direktor des Palestinian Centre for Human Rights, kommentierte die Gründung des neuen Ministeriums in einer Publikation seines Zentrums so: „Die PA plant nichts gegen die NROs. Denn die PA ist nicht fähig, irgend etwas zu planen.“ Raji Sourani wurde daraufhin zum x-ten mal verhaftet, verhört und mit einem zeitweiligen Ausreiseverbot belegt.

Der Autor studierte Politikwissenschaft an der Universität Wien und absolvierte ein halbjähriges Praktikum bei einer palästinensischen Nicht-Regierungsorganisation.

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