Der Meister der nackten Madonnen

Von Ralf Leonhard · · 1999/12

Ein Kärntner Maler fand nach einem rastlosen Leben in Kolumbien Ruhe und Erfüllung. Seine Heimat entdeckt nun den vor einem Jahr verstorbenen Künstler Heinz Goll wieder.

Die Nachbarn in Wiener Bezirk Meidling, wo er in den sechziger Jahren eine Zeit wohnte, nannten ihn den narrischen Maler. Eigentlich versuchte er sich

damals mehr als Bildhauer: Er schnitzte klobige Christusköpfe und formte tönerne Leuchter. Für verrückt wurde er erklärt, weil er gelegentlich in Bademantel und Schlapfen beim Greißler seine Semmeln und die Milch für die zahlreichen Katzen kaufte. Außerdem trug er Bart, rauchte Pfeife und empfing in seinem engen Dachatelier Frauen, mit denen er nicht verheiratet war – für die biederen Meidlinger Grund genug, ihn zum verdächtigen Sonderling zu stempeln.

Diese Nachbarn würden sich auch nicht wundern, wenn sie erführen, daß er auf dem Friedhof für Geisteskranke von Sibaté bei Bogotá begraben liegt. Sibaté, wo die größte psychiatrische Klinik Kolumbiens steht, gilt, so wie in Wien Steinhof oder Gugging, als Synonym für Irrenhaus.

Doch Heinz Goll wurde nicht in Sibaté begraben, weil er den Verstand verlor, sondern weil er dort nach einem rastlosen Leben am Ziel ankam. Es war kein einfacher, kein logischer Weg von Kärnten, wo er 1934 als Sproß einer großbürgerlichen Familie zur Welt kam, in die kolumbianischen Anden:

„Nach einem langen Leben der Wanderung, auf der Suche nach der Liebe und der Wahrheit an vielen Orten, fand ich in Kolumbien meine zweite Heimat: Hier konnte ich ein Haus bauen, einen Wald pflanzen und schließlich ein Heim gründen.“

Schuld war wahrscheinlich seine Schwester, die fürchtete, der sensible Künstler würde in Österreich überschnappen und körperlich zusammenbrechen. Er hatte nämlich in Kärnten einen Rehabilitationskreis für drogensüchtige und psychisch aus dem Tritt geratene Jugendliche gegründet.

Die von ihm selbst entwickelte Therapie mit künstlerischer und handwerklicher Arbeit, aber auch intensivem persönlichen Einsatz nahm Heinz Goll so mit, daß er Mitte der siebziger Jahre völlig ausgelaugt war. So kam die Schwester auf die Idee, ihn auf die venezolanische Ferieninsel Margarita zu schicken. Zwar erholte er sich prächtig, doch ließ ihn sein rastloser Geist schnell aus der karibischen Idylle ausbrechen und in Caracas ein neues Rehabilitationskollektiv für Jugendliche gründen.

Nach Kolumbien kam Goll erst einige Jahre später, als der Autodidakt dort Expertise für psychiatrische Jugendarbeit suchte. Es war Liebe auf den ersten Blick. Heinz Goll war so fasziniert, daß er beschloß, zu bleiben.

Jahrelang erforschte er das Land von der Halbinsel Guajira im äußersten Nordosten bis zu den grünen Schluchten von Tierradentro im Cauca. Der bärtige Weiße kam aber nicht als Eroberer, der sein Glück suchte, sondern als Lernender, der die neuen Einflüsse gierig aufsog. Vor allem der Kontakt mit den indianischen Kulturen eröffnete ihm eine neue Weltsicht und prägte das späte Werk des Künstlers entscheidend. Mit der Psychologin Piedad Tamayo, die er in einer Klinik in Sibaté kennengelernt hatte, baute er schließlich ein Haus und ließ sich nach vielen Jahren der Wanderschaft überreden, wieder zu malen.

Was dabei herauskam, ist im Dezember und Jänner im Klagenfurter Stadthaus zu sehen. Hervorragendes Stilelement ist das Blattgold und -silber, das in

Wiederbelebung einer alten flämischen Technik auf Holztafeln aufgetragen wird. Die modernen Ikonen sind eine faszinierende Synthese religiöser und präkolumbischer Symbolik mit indianischen Elementen. Die nackten Madonnengestalten mit den indianischen Gesichtern, teilweise eingebettet in tropische Vegetation, strahlen die Unschuld und Reinheit des Paradieses aus. Auf die natürlichste Weise, wie sie vielleicht nur in Lateinamerika entwickelt werden kann, wird Heiliges mit Erotischem verschmolzen. Fleisch und Geist, Gewalt und Friede strahlen aus demselben Bild.

Das letzte Abendmahl hat Goll unendlich variiert: mit Kogi-Indianern der Sierra Nevada, mit Paeces aus dem Huila, mit gemischter Gesellschaft als fröhliche

Runde. Ein wertvolles Tryptichon stiftete er der Kirche einer kleinen indianischen Gemeinde in Tierradentro, wo er eine Zeitlang lebte. Die Paeces, die ihn bei seinem ersten Besuch noch zur persona non grata erklärt hatten, machten ihn schließlich zum Ehrenvorsitzenden des Ältestenrates.

Heinz Goll verstand sein Leben als Lernprozeß. Als seine Lehrer sah er vor allem die Frauen, die ihn dabei begleiteten. „Ich glaube, die Frauen sind komplexer, stärker und weiser als ich. Mein Leben habe ich durch die Frauen gelebt, die haben mich geformt. Die Frau als soziale und biologische Minderheit hat mir die Augen geöffnet für das Problem der ethnischen und sozialen Minderheiten der Welt. Sie haben mich den Respekt und die Zärtlichkeit für die Ausgestoßenen gelehrt, sie enthüllten mir den Wert der integralen Liebe.“

Die Ausgestoßenen kommen in seiner Malerei immer wieder vor: angekettete Indígenas, Menschen auf der Flucht, Vertriebene von der politischen Gewalt, die in Kolumbien allgegenwärtig ist. Heinz Goll hatte seine eigene Art, mit der Kultur der

Gewalt umzugehen. Auf dem Schießplatz des Offiziersklubs, wohin ihn ein paar befreundete Militärs einmal eingeladen hatten, sammelte er leere Patronenhülsen auf und verwandelte sie in balas de amor – Liebeskugeln mit einem Kunststoffaufsatz anstelle des Projektils und einer Öse für ein Halsband an der Rückseite. Nur Freunde bekamen diese Glücksbringer geschenkt.

Die nackten Madonnen führten einmal zum Eklat, als in der Galerie, wo sie ausgestellt waren, eine Versammlung des Opus Dei unter Vorsitz des Expräsidenten Belisario Betancur tagte. Nach ersten Protesten beschloß der Künstler, die Brüste und Schamhügel der Heiligen mit Fastentüchern zu verhüllen. Doch dazu kam er nicht: Die frommen Leute ließen die Bilder, ohne den Maestro zu fragen, einfach abhängen. Auch eine persönliche Entschuldigung des ehemaligen Staatschefs konnte ihn nicht versöhnen.

Doch sonst fand der Kärntner Künstler in Kolumbien die Anerkennung, die ihm in Österreich versagt blieb. Die Trauer und enorme Wertschätzung, die aus den zahlreichen Nachrufen in der kolumbianischen Presse spricht, wirken nicht gekünstelt.

Seine Frau Piedad mußte ihn überreden, nach vielen Jahren wieder einmal eine Ausstellung in Klagenfurt zu organisieren. Diese Ausstellung wird jetzt zur Retrospektive. Am Silvesterabend 1998 wurde bei Heinz Goll Leukämie und Hepatitis C diagnostiziert. Obwohl sich binnen kürzester Zeit 120 Freunde einfanden, um für eine komplette Transfusion Blut zu spenden, konnte der Tod nur wenige Tage hinausgeschoben werden. Heinz Goll hat die Klinik, wo er am 27. Jänner starb, nicht mehr verlassen. Im Spitalshemd und mit den Transfusionsschläuchen in den Armen versuchte er noch, sein letztes Werk fertigzustellen. Das Bild, das er noch vor Kenntnis seiner tödlichen Krankheit begonnen hatte, zeigt eine nackte junge Frau, die von hinten von einem prächtig gewandeten Tod umarmt wird. Es blieb unvollendet.

Die Ausstellung im Stadthaus Klagenfurt, Theaterplatz, wird am 9. Dezember eröffnet und wird voraussichtlich bis 16. Jänner 2000 zu sehen sein.

Der Autor arbeitete viele Jahre als Korrespondent verschiedener deutschsprachiger Medien in Zentralamerika und lebt nun als freier Journalist in Wien.

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