Der Morgenstern zeigt sich

Von Redaktion · · 2017/07

Westpapua, der indonesische Teil Neuguineas, kämpft unter der verbotenen Sternenflagge um die Unabhängigkeit. Ob sie in greifbare Nähe gerückt ist, hat New Internationalist-Autor Danny Chivers recherchiert.

Stellen Sie sich eine Volksabstimmung vor, an der nur 0,2 Prozent der Bevölkerung teilnehmen dürfen. Alle zur Wahl Zugelassenen werden mit vorgehaltenem Gewehr zum Wahlort eskortiert, wo sie genau so abstimmen müssen, wie ihnen befohlen wird. Würden Sie annehmen, dass das Ergebnis eines solchen Referendums tatsächlich den Willen des Volkes repräsentiert?

Ein solches Referendum fand 1969 in Westpapua statt. Die indonesische Besatzungsarmee ließ 1.026 ausgesuchte WestpapuanerInnen (von insgesamt 800.000) vor den Wahlbeamten Aufstellung nehmen. Diesen „WählerInnen“ wurde befohlen, ihre Hand zum richtigen Zeitpunkt zu heben – unter der Androhung, sie andernfalls zu erschießen. Diese „freie Wahl“, der „Act of Free Choice“, wurde dann der Welt als eindeutige Entscheidung zugunsten der Souveränität Indonesiens über Westpapua präsentiert und in der UN-Generalversammlung mit Zustimmung der USA, des Vereinigten Königreichs, Australiens und ihrer Verbündeten abgesegnet.

Das Land, die Wälder und die Berge, die seit 50.000 Jahren die Heimat der indigenen Bevölkerung Westpapuas waren, wurden dem Militärregime von Präsident Haji Mohamed Suharto ausgehändigt – zusammen mit den enormen Vorkommen von Gold, Kupfer und Erdgas, die sich darunter verbergen.

Neuer Anlauf. 48 Jahre danach, im Jänner 2017, sitze ich in einem überfüllten Konferenzraum im Gebäude des britischen Parlaments in Westminster. Wir sind hier, um dem Start einer weltweiten Petition durch Benny Wenda beizuwohnen, den Führer der Unabhängigkeitsbewegung Westpapuas. In der Petition werden die Vereinten Nationen aufgefordert, eine neuerliche Abstimmung über die Unabhängigkeit seines Landes zu organisieren, an Stelle des manipulierten Referendums von 1969.

Benny Wenda, mit dem zeremoniellen Federschmuck auf dem Kopf, spricht im Stehen zu den anwesenden Abgeordneten, VertreterInnen der Medien und UnterstützerInnen über die Menschenrechtsverletzungen, die sein Volk während der Jahrzehnte der indonesischen Besatzung erleiden musste.

Seine Rede wird von Videoaufnahmen von Solidaritätsdemonstrationen in Westpapua begleitet, die in den 24 Stunden davor stattgefunden haben. Wir sehen Gruppen von WestpapuanerInnen in Urwalddörfern, die die Morgenstern-Flagge des unabhängigen Westpapua hochhalten – ein Verbrechen, das in Indonesien mit 15 Jahren Gefängnis bedroht ist – und uns dafür danken, dass wir heute nach Westminster gekommen sind. Eine der Gruppen hat sich selbst in einem indonesischen Militärgefängnis gefilmt, was für alle Beteiligten ein hohes persönliches Risiko bedeutet.

Selbstbewusste Frauen

Rode Wanimbo arbeitet mit Frauenorganisationen und Kirchen im ländlich geprägten Hochland.

„Westpapua ist mein Paradies, doch es wird zerstört. Die Unterdrückung durch Indonesien nimmt uns jede Zukunft, es gibt keine Hoffnung. Ich fühle mich wie eine Fremde im eigenen Land. Meine Berge wurden zerstört. Meine Flüsse wurden ruiniert. Sie sagen Entwicklung dazu, aber es ist Zerstörung.

So viele von uns kämpfen nun für Freiheit. Indonesien wird sagen: ‚Westpapua wollte das so, 1969‘, aber das ist nicht wahr. Der Act of Free Choice war in Wirklichkeit der ‚Act of No Choice‘, wir hatten keine Wahl.

Die Frauen in Westpapua haben es nun geschafft, dass ihnen zugehört wird, aber sie sind noch nicht laut genug. Im Jahr 2000 hatten wir den ersten Frauenkongress, an dem sich Frauen aus dem ganzen Land beteiligten – das war ein historischer Augenblick. Aber viele der Frauen waren noch zu sehr von den Männern beeinflusst; sie sprachen nicht aus, was sie wirklich dachten.

Das ändert sich nun. In dieser Generation gibt es starke und weise Westpapua-Frauen; sie lassen sich nichts gefallen und sagen ihre Meinung. Manchmal hört man nicht gerne, was wir sagen oder nimmt uns nicht ernst, aber Frauen sind ein unverzichtbarer Teil dieser Bewegung. Wir müssen dafür sorgen, dass die neuen Gesetze in einem freien Westpapua nicht nur von den Männern gemacht werden.“

Die Menschen in Westpapua haben sich wieder erhoben, entschlossen, das Recht einzufordern, das ihnen vor fast 50 Jahren verweigert worden war. Nach Jahrzehnten des Kampfes und der brutalen Unterdrückung haben Ereignisse in jüngster Vergangenheit ihren Freiheitskampf wieder in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit gebracht. Wenn es uns ernst damit ist, für Menschenrechte und für den Stopp des Klimawandels einzutreten, dann ist es nun an der Zeit, sich auf die Seite Westpapuas zu stellen – es geht um das Überleben einer ganzen Kultur und die Erhaltung des drittgrößten Regenwaldes der Erde. Viel Zeit bleibt dafür aber nicht.

Ressourcenreichtum. Westpapua ist ein außergewöhnlicher Ort. Menschliche Zivilisationen existieren hier seit zehntausenden Jahren, und im Regenwald wimmelt es von Arten, die es nirgendwo anders auf der Welt gibt. Seit dem Einmarsch indonesischer Truppen in Westpapua 1961 hat die Regierung in Jakarta versucht, die Kontrolle über dieses ressourcenreiche und dicht bewaldete Territorium immer weiter auszubauen. Die militärische Besetzung war ein Mittel dazu. Mindestens 15.000 Soldaten sind laut Universität Sydney in Westpapua stationiert. Damit gehört Westpapua zu den am stärksten militarisierten Gebieten in Südostasien. Ein weiteres Mittel war die Ansiedlung von IndonesierInnen – in mehreren wichtigen Regionen ist die indigene Bevölkerung mittlerweile zur Minderheit geworden.

„1999 hatte Indonesien bloß neun Regierungsbezirke in Westpapua eingerichtet“, sagt Octovianus (Octo) Mote, Generalsekretär der Vereinigten Befreiungsbewegung für Westpapua (ULMWP). „Heute gibt es 43, und eine Erweiterung auf 73 ist geplant, jeder Bezirk mit eigenen Polizeistationen und Militärstützpunkten. Das wird alles nur für neue Siedler gemacht, und um unsere Leute zahlenmäßig zu überflügeln. Die Kolonialisierung, für die westliche Mächte viele Jahre gebraucht haben, wird hier im Rekordtempo durchgezogen.“

In Städten wie Sorong und Jayapura gehören die meisten Unternehmen IndonesierInnen; die indigene Bevölkerung wird als eine Art Menschen zweiter Klasse behandelt. Die indonesische Menschenrechtsanwältin Veronica Koman beschreibt es so: „Am Flughafen in Jayapura sind alle Leute an den Schaltern Indonesier, die Gepäckträger sind Westpapuaner. In der Stadt gehören alle Geschäfte indonesischen Migranten, während die Westpapuaner auf der Straße Betelnüsse verkaufen.“

Staatliche Gewalt. Oppositionelle Aktivitäten werden oft mit Gewalt und willkürlichen Festnahmen beantwortet. „Zu staatlichen Gewaltmaßnahmen kommt es in ganz Westpapua, und alle Sicherheitskräfte sind daran beteiligt“, erläutert Jason Macleod von der Universität Sydney. Die Menschenrechtsverletzungen „inkludieren Tötungen, Folter, sexuelle Übergriffe und Freiheitsberaubung“.

Eine statistische Erfassung dieser Menschenrechtsverletzungen ist praktisch unmöglich, da die indonesischen Behörden keine Besuche durch Menschenrechtsorganisationen erlauben und die Medien streng kontrollieren. Lokale JournalistInnen werden routinemäßig bestochen, bedroht, verhaftet oder getötet; Aktivitäten ausländischer Medien sind weitgehend verboten.

Je nach Schätzungen, die Universität Sydney widmete sich 2005 in einem Forschungsbericht etwa diesem Thema, wurden bisher 100.000 bis 500.000 Westpapuaner, Männer und Frauen, von Sicherheitskräften getötet. Über die meisten Todesfälle wird in offiziellen Medien nicht berichtet. Ersichtlich ist aber der ungleiche Zugang der indigenen Bevölkerung zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Beschäftigung – ob Armut, Analphabetismus, Kindersterblichkeit oder HIV-Infektionen, ihre Indikatoren sind weit schlechter als jene der zugewanderten Bevölkerung.

Zwischen 1971 und 2000 nahm die indigene Bevölkerung in Westpapua nur halb so schnell zu wie die Bevölkerung im benachbarten Papua-Neuguinea, wie Jim Elmslie von der Universität Sydney feststellte; bei gleichem Wachstum gäbe es 360.000 WestpapuanerInnen mehr. 1

Von Bergbau- und Erdgasprojekten wie jenen von Freeport und BP profitieren die WestpapuanerInnen kaum; sie vernichten vielmehr ihre Nahrungsmittelquellen und vergiften ihre Wasserressourcen. Die von Indonesien unterstützten Forstwirtschaftsprojekte und Palmölplantagen wiederum schlagen breite Schneisen in den Regenwald, für Befreiungsaktivist Octo Mote eine „Zerstörung der Lungen der Welt“.

All das ist letztlich als schleichender Völkermord zu bewerten, ist Jennifer Robinson von International Lawyers for West Papua (ILWP) überzeugt. „Es handelt sich um einen permanenten, niederschwelligen Konflikt, der ständig Westpapuanern das Leben kostet – durch staatliche Gewalt, durch die HIV-Epidemie, durch den fehlenden Zugang zu Gesundheitsversorgung, durch die Vertreibung von ihrem Land. Wenn wir nicht rasch handeln, um ihre Rechte zu sichern, werden wir die Westpapuaner als Volk verlieren.“

Vereinter Widerstand. Aber diese Menschen haben sich stets geweigert, sang- und klanglos von der Bühne zu verschwinden. Seit Jahrzehnten haben die schlecht ausgerüsteten Einheiten der Bewegung für eine freies Papua (OPM) vom Urwald aus einen Guerillakampf geführt, ermutigt von einer wachsenden Bewegung des zivilen Widerstands in den Städten und zuletzt von einer neuen Welle der internationalen Unterstützung.

Ein Schlüsselereignis war die Gründung der Vereinten Befreiungsbewegung für Westpapua (ULMWP) im Dezember 2014. Erstmals gelang es, die verschiedenen Fraktionen der Freiheitsbewegung unter einem Dach zusammenzubringen. Dieser Erfolg gab den WestpapuanerInnen neuen Mut, und sie trugen ihren Protest in bisher beispiellosem Ausmaß auf die Straßen. Die Zahl der politisch motivierten Festnahmen stieg von 370 in 2014 auf 8.000 in 2016, Ausdruck sowohl der wachsenden Stärke der Bewegung als auch der Versuche der indonesischen Regierung, sie durch immer härteres Vorgehen unter Kontrolle zu bekommen.

Die Menschen lassen sich jedoch nicht einschüchtern. „Im vergangenen Dezember setzte die Polizei Wasserwerfer gegen demonstrierende Westpapuaner ein – und sie begannen in den Wasserstrahlen zu tanzen!“, schildert Veronica Koman. „Dann wurden 17 Leute in Jayapura wegen Graffitis für ein freies Westpapua festgenommen. Am nächsten Tag wurden sie freigelassen, und sie machten sofort dort weiter, wo sie aufgehört hatten! Sie haben keine Angst mehr.“

Internationale Solidarität. Jedes bedeutsame Ereignis auf internationaler Ebene löst nun Massendemonstrationen in Westpapua aus. Mit Smartphones und sozialen Medien ist es heute möglich, die Nachrichtensperre in den Medien zu umgehen und den Rest der Welt über den Widerstand in Westpapua zu informieren. Das hat auch zu einer neuen Welle der Solidarität in der Pazifikregion beigetragen, insbesondere in Vanuatu und auf den Salomon-Inseln mit ihrer melanesischen Bevölkerung, was sie mit Westpapua verbindet. Diese Entwicklung hat wiederum Regierungen von Pazifikländern dazu bewogen, auf internationaler Ebene aktiv zu werden.

„Diese Länder sind nun frei, aber Westpapua lebt unter Kolonialherrschaft“, betont Victor Yeimo, Vorsitzender des National Committee for West Papua (KNPB), das sich seit 2008 für ein neues Unabhängigkeitsreferendum einsetzt. „Die Solidarität der Melanesier ist nicht rassisch begründet. Es geht um die Verantwortung unserer Brüder und Schwestern, ihrer Familie in Westpapua zu helfen.“

Trotz heftiger Proteste Indonesiens wurde der ULMWP 2015 formell der Beobachterstatus bei der Melanesian Spearhead Group (MSG) zuerkannt, einer Organisation pazifischer Staaten, und sieben Länder der Pazifikregion setzten sich 2016 im Rahmen der UNO für Westpapua ein.

Neuer Mut. Im Mai 2016 unterzeichneten Parlamentsabgeordnete aus der ganzen Welt die „Westminister Declaration“ der International Parliamentarians for West Papua (IPWP), in der die UNO zur Organisierung eines neuen Unabhängigkeitsreferendums aufgerufen wird. Dieser Erfolg wurde in Westpapua auf großen Versammlungen gefeiert; die indonesischen Behörden ließen rund 2.000 TeilnehmerInnen festnehmen. Die Schwesterorganisation der IPWP, die International Lawyers for West Papua, konzentriert ihre Aktivitäten auf die völkerrechtliche Ebene. Sie stellt die Rechtmäßigkeit des „Act of Free Choice“ in Frage und fordert eine Anerkennung des Vorgehens Indonesiens in Westpapua als Völkermord sowie eine Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen durch die UNO.

Dass der Bevölkerung Westpapuas das Recht auf Selbstbestimmung verweigert wurde, steht fest. Um den Fall vor den Internationalen Gerichtshof zu bringen, braucht es jedoch eine Mehrheit in der UNO-Generalversammlung – internationale Unterstützung für Westpapua ist daher das Um und Auf.

Auch indonesische BürgerInnen setzen sich mittlerweile für Westpapua ein, etwa die Indonesische Volksfront für Westpapua (FRI-West Papua). „Erstmals in der Geschichte Indonesiens existiert eine geschlossene Solidaritätsbewegung, die Westpapua als Nation anerkennt und ihr Recht auf Selbstbestimmung unterstützt“, betont Surya Anta, Sprecher der Organisation. Und diese Solidarität ist keine Einbahnstraße mehr: AktivistInnen der Papua Student Alliance (AMP) beteiligten sich an indonesischen Protesten gegen ein geplantes Zementwerk in Kendeng (in Java, ein Projekt von HeidelbergCement, Anm. d. Red.) sowie gegen Zwangsräumungen in Yogyakarta.

Diese Entwicklung hat erhebliche Tragweite, denn die Unterstützung in anderen Landesteilen Indonesiens war der Schlüssel für den Erfolg der Kampagne für die Unabhängigkeit von Osttimor 1999.

Das sind alles Zeichen der Hoffnung, doch diese Chance könnte leicht verspielt werden, wenn Indonesien nicht an einer Eskalation der militärischen Repression gehindert wird. Internationale Solidarität ist dringend nötig, und viele von uns im Westen tragen eine besondere Verantwortung. Die britische Regierung und die USA wussten 1969, dass die Abstimmung eine Farce war und dass die meisten WestpapuanerInnen Unabhängigkeit wollten. 2

Copyright New Internationalist

1) www.insideindonesia.org/not-just-another-disaster

2) Vgl. Publikation „Political and Constitutional Conflict in the West Papua Region of Indonesia“ (Englisch) der Foundation for Law, Justice and Society, www.fljs.org

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