Der Papierkrieg

Von Gerhard Dilger · · 2006/06

In Uruguay entstehen an der Grenze zu Argentinien zwei riesige Zellulosewerke, von deren Errichtung die österreichische Andritz AG profitiert. Die Blockade der Grenze durch argentinische UmweltschützerInnen hat zu ernsthaften Spannungen zwischen den befreundeten Ländern geführt.

Gualeguaychú, im April 2006. Jeden Nachmittag kommt es in der argentinischen Kleinstadt zu einer kleinen Völkerwanderung. Dutzende Privatwagen legen die 28 Kilometer bis zur uruguayischen Grenze zurück. Ganze Familien sitzen in der herbstlichen Abendsonne auf Klappsesseln mitten auf der Straße, Matetee macht die Runde. Kinder spielen, auf der Wiese sind ein paar Zelte aufgebaut.Was wie eine Ferienkolonie anmutet, ist Argentiniens berühmteste Straßensperre. Seit Anfang Februar wird die einzige Zufahrt zur internationalen General-San-Martín-Brücke blockiert, die acht Kilometer weiter über den breiten Uruguay-Fluss ins gleichnamige Nachbarland führt. Quer über die schnurgerade Landstraße ist ein Lastwagen platziert. Der Traktor daneben macht nur für die Anlieger auf der argentinischen Seite Platz – und für die Zollbeamten, die ihre Kollegen an der Brücke ablösen. „Herr Präsident Kirchner, erlauben Sie nicht, dass 80.000 Argentinier umkommen“, fordert ein Spruchband. Stein des Anstoßes sind zwei Zellulosefabriken der Konzerne Ence aus Spanien und Botnia aus Finnland, die Ende 2007 bei Fray Bentos auf der anderen Seite des Ufers die Arbeit aufnehmen sollen. Zusammen wären sie der weltweit größte Komplex dieser Art: Mit zunächst 1,5 Millionen Tonnen Zellstoff würde jährlich doppelt so viel produziert wie in den zehn veralteten Fabriken Argentiniens zusammen. Die gesamte Investition von 1,8 Milliarden Dollar ist die größte in der Geschichte Uruguays, die Weltbank will Kredite in Höhe von 400 Millionen Dollar beisteuern.
Bürgermeister Daniel Irigoyen ist ebenfalls zur Straßensperre gekommen. „Wir haben schon einen langen Weg hinter uns“, sagt er. „1997 haben Umweltschützer erstmals vor den Fabriken gewarnt. Drei Jahre später bildete sich eine Bürgerinitiative, und 2003 haben wir Uruguay um einen Dialog gebeten.“ Doch der damalige Präsident Jorge Battle stellte sich taub und ignorierte den Vertrag von 1975, der bei derartigen Projekten im Grenzgebiet eine Abstimmung mit dem Nachbarland vorschreibt. Ence erhielt 2003 grünes Licht, Botnia im März 2005, kurz vor der Amtsübergabe an die Linksregierung unter Tabaré Vázquez.
„Wir fürchten um unsere Gesundheit“, sagt Irigoyen, „und um unsere wichtigsten Einnahmequellen, den Tourismus und die Landwirtschaft“. Für den Biologielehrer Horacio Melo sind die möglichen Folgen des Megaprojekts auf die Umwelt noch immer kaum erforscht: „Die Technik, die in Finnland funktionieren mag, kann auf unser Ökosystem verheerende Auswirkungen haben.“

Vor einem Jahr zogen 40.000 Menschen zu einer „Umarmung des Flusses“ an die Brücke. „Das war der Durchbruch“, erinnert sich Melo. An die Spitze der Bewegung stellte sich Provinzgouverneur Jorge Busti, ein Parteifreund von Präsident Néstor Kirchner. Zu Beginn der Urlaubssaison im Dezember kam es zu den ersten Blockaden. Uruguays Politiker reagierten gereizt. Zehntausende argentinische UrlauberInnen blieben dem Nachbarland fern. Kirchner schlug sich auf die Seite der Bürgerbewegung und forderte einen dreimonatigen Baustopp. Unabhängige ExpertInnen sollten in dieser Zeit ein Gutachten über die Folgen des Megaprojekts erstellen. Umsonst: Als Vázquez nach monatelangem Streit Einlenken signalisierte, weigerte sich die Firmenleitung von Botnia, die derzeit über 1.200 Arbeiter für länger als zehn Tage zu beurlauben. Die Spanier gaben sich diplomatischer, aber auch sie halten am Fabrikbau fest.
Szenenwechsel. Der Kontrast zwischen Gualeguaychú und Fray Bentos, eine halbe Autostunde jenseits der Straßensperre gelegen, könnte kaum größer sein. In der verschlafenen 23.000 EinwohnerInnen-Stadt zieht das Arbeitsplatzargument der Firmen und der uruguayischen Regierung – denn an die Blütezeiten vor Jahrzehnten, als von hier aus in großem Stil Rindfleisch nach Europa exportiert wurde, erinnern nur noch die malerischen Werksiedlungen des Viertels Anglo.

„Es ist besser, irgendwann an den Folgen der Verschmutzung zu sterben als heute an Hunger“, sagt María Esther Cruz. Die Hausfrau meint: „Ich vertraue Präsident Vázquez.“ 14 Monate ist die Linksregierung im Amt, die die Wirtschaftspolitik ihrer neoliberalen Vorgänger übernommen und sie durch Sozialprogramme abgefedert hat. Korruptionsfälle gibt es kaum mehr, die Zustimmung ist im ganzen Lande hoch. Doch dann fügt Frau Cruz erklärend hinzu, dass zwei ihrer Söhne und ein Schwiegersohn für einen Monatslohn von umgerechnet 400 Euro für Botnia tätig sind.
Auf der Baustelle selbst, ein paar Kilometer außerhalb des Ortes, herrscht Hochbetrieb. Bereits jetzt sind die Dimensionen beeindruckend. Neben dem 120 Meter hohen Schornstein wirken die Bauarbeiter mit ihren bunten Helmen und leuchtend oranger Schutzkleidung wie Ameisen. Im Hintergrund spannt sich die gähnend leere San-Martín-Brücke über den Uruguay-Fluss, der hier schon anderthalb Kilometer breit ist und flussabwärts in den Río de la Plata münden wird.
„Wir liegen voll im Zeitplan“, sagt Ingenieur Bruno Vuan zufrieden. Nicht ganz so zuversichtlich hört sich Bürgermeister Omar Lafluf an, auch wenn er bedächtig die gängigsten Argumente für das Megaprojekt aufzählt: Uruguay mache sich bei Investoren einen guten Namen und fasse auf neuen Exportmärkten Fuß, das Wirtschaftswachstum in der Region werde sozialen Fortschritt bringen, die Umweltbehörden hätten die Lage im Griff.

Aus der uruguayischen Einheitsfront scheren nur wenige aus. Die Zahnärztin Julia Cóccaro etwa berichtet von der Angst der öffentlichen Bediensteten, ihren Job zu verlieren. Und von der „Gleichschaltung“ der lokalen Politiker und Medien. „Da ist viel Geld im Spiel, Botnia und Ence helfen mit ihren Werbeetats kräftig nach.“ Anders als ihr Bürgermeister befürchtet sie, dass das Land mit seinen drei Millionen EinwohnerInnen kaum profitieren wird. Vor allem die geplante Ausweitung der Eukalyptusplantagen, die den Rohstoff für die Zelluloseherstellung liefern, macht ihr Sorgen.
Marcel Achkar und María Selva Ortiz von der Umweltgruppe Redes in Montevideo gehören zu den vehementesten KritikerInnen des „forstwirtschaftlichen Modells“, in das die Weltbank und andere Geldgeber die Regierung vor 20 Jahren lockten. Günstige Kredite führten schließlich zu dem Forstgesetz von 1987, einer wichtigen Weichenstellung. Seither wurden in Uruguay auf 7.000 km2 Eukalyptusplantagen angelegt. „Warum wachsen diese Bäume so schnell, in acht bis zwölf Jahren? Weil sie dem Boden Ummengen an Nährstoffen und Wasser entziehen. Wassermangel ist in den Forstprovinzen ein echtes Problem, und die Zerstörung der Böden ist unwiderruflich“, erklärt Ortiz.
Anfang Mai wird bei einer Großkundgebung in Gualeguaychú mit 80.000 Menschen von der Vollversammlung mit knapper Mehrheit die Aufhebung der Blockade beschlossen. Im Gegenzug ruft Néstor Kirchner den Internationalen Gerichtshof in Den Haag an. Tabaré Vázquez bleibt hart und kokettiert damit, dem Handelsbündnis Mercosur den Rücken zu kehren und mit den USA ein separates Abkommen zu schließen. Der Papierkrieg geht weiter.

Gerhard Dilger lebt und arbeitet seit 1999 als freier Journalist in Brasilien. Er ist Korrespondent der Berliner „taz“ und anderer deutschsprachiger Medien.

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