Der verlorene Vater

Von Martina Seehuber · · 2011/03

Edwidge Danticat

Kurzgeschichten. Übersetzt aus dem Englischen von Susann Urban. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt/M. 2010, 240 Seiten, € 17,90

Ka, Bildhauerin in New York mit haitianischen Wurzeln, hat ein ganz bestimmtes und besonderes Motiv für ihre Arbeit: ihren Vater. Im Glauben an seine Häftlingsvergangenheit auf Haiti schnitzt sie eine Statue, die ihrem Vater gleichen soll.

Zusammen mit ihm macht sie sich auf den Weg zu einer haitianischen Kunstsammlerin in New York, die ihre Statue kaufen möchte – auch sie erinnert die gebückte und gekrümmte Gestalt, die diese Schnitzerei abbildet, an ihren Vater.

Als Kas Vater eines Morgens plötzlich mitsamt der Statue verschwindet und erst nach Stunden ohne sie wieder auftaucht, ist das der Anfang seiner Lebensbeichte, eine Offenbarung über seine Vergangenheit in Haiti. Lange Zeit Verstecktes kommt zum Vorschein, es geht um Verfolgte und Verfolger, um Gefolterte und Folternde, um Jäger und Gejagte. Ka begreift nun, dass vieles anders war, als es schien; und schließlich auch, warum ihr Vater die Statue im See versenkte.

In insgesamt neun Kurzgeschichten erzählt Danticat von einem Mann, der, wie es scheint, als Gejagter vor dem Duvalier-Regime aus Haiti geflohen ist und in den USA eine ruhige und sichere Zuflucht gefunden hat. Doch die Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit lässt ihn niemals los, sei es bei harmlosen Museumsbesuchen mit seiner Tochter, sei es bei Fotoaufnahmen, die er scheut und bei denen er zumindest seine Narbe im Gesicht stets verdeckt – oder auch in der Beziehung zu seiner Tochter, die er anhimmelt. Die Vergangenheit folgt ihm stets wie ein zweiter Schatten.

Gekonnt beschreibt Danticat den Vater, die Hauptfigur des Buches, die sich in den neun Geschichten aus stets unterschiedlichen Blickwinkeln zu zeigen vermag. Nichts ist schwarz-weiß gesehen, wichtig sind die Schattierungen, die Übergänge und die Facetten, die jeden Menschen und die Beziehungen zu anderen Menschen ausmachen. Sensibel und konsequent zugleich führt die Autorin die Facetten menschlichen Daseins durch alle neun Geschichten, die sich am Ende wie ein Kreis schließen.

Ein sehr empfehlenswertes Buch für alle, die sich für menschliche Schicksale und Haitis Vergangenheit und Gegenwart interessieren.

Das Buch landete in der „Weltempfänger“-Liste Nr.9 auf Platz 2 (s. SWM 1-2/11 S.47).

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