Der Whistleblower als Millionär

Von Redaktion · · 2014/05

Dinesh Thakur deckte Machenschaften des indischen Pharmaunternehmens Ranbaxy auf und spielte damit Big Pharma in die Hände. Ein Bericht von NI-Autor Sandhya Srinivasan.

Dinesh Thakur ist ein US-Staatsbürger indischer Herkunft, der 2002 eine Stelle im aufstrebenden Pharmaunternehmen Ranbaxy annahm. Der Multi wurde vor allem durch die Herstellung und weltweite Vermarktung einer Reihe von Generika (Kopien von Medikamenten, deren Patentschutz abgelaufen ist) international bekannt.

Thakur wurde an den Standort des Unternehmens außerhalb von Delhi verlegt, wo er für die Prüfung der Daten verantwortlich war, die Ranbaxy für Zulassungsanträge in den USA und anderen Auslandsmärkten benötigte. Er musste feststellen, dass die Testergebnisse für antiretrovirale HIV-Medikamente und andere Pharmazeutika gefälscht wurden und dass es auch bei den Herstellungsverfahren zu Nachlässigkeiten kam.

2004 informierte Thakur seine Vorgesetzten über seine Erkenntnisse. Seine Beweise waren offenbar unerwünscht und wurden ignoriert; stattdessen wurde er beschuldigt, sich auf seinem PC im Unternehmen Pornofilme anzusehen. Er kündigte 2005 und verließ Indien.

Zwei Jahre später reichte Thakur in den USA eine Klage nach dem „False Claims Act“ ein. Das auch als „Whistleblower-Recht“ bekannte Gesetz ermöglicht Privatpersonen, Auftragnehmer der Regierung zu klagen, wenn sie über Informationen verfügen, dass der Auftragnehmer gegenüber der Regierung wissentlich falsche bzw. betrügerische Angaben gemacht hat.

Die Ranbaxy-Medikamente wurden von Gesundheitsprogrammen auf Bundes- und auf einzelstaatlicher Ebene gekauft. Die Regierung untersuchte die Klage Thakurs und übernahm den Fall, nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass hinreichende Beweise vorlagen.

Im Mai 2013 bekannte sich Ranbaxy in einem vom US-Justizministerium angestrengten Prozess verschiedener straf- und zivilrechtlicher Vergehen schuldig. Das Unternehmen wurde zu Geldstrafen und Entschädigungen in einer Gesamthöhe von 500 Mio. US-Dollar verurteilt, die höchste Strafe, die jemals gegen einen Generikahersteller verhängt wurde (siehe Kasten S. 36: Nicht nur Generika).

Ranbaxy gab zu, US-Regulierungsbehörden wissentlich falsche Daten übermittelt, erforderliche Berichte nicht zeitgerecht vorgelegt, falsche Angaben gemacht und „verfälschte“ Medikamente verkauft zu haben – d.h. Medikamente, die nicht in Übereinstimmung mit der „Guten Herstellungspraxis“ („current Good Manufacturing Practices“, cGMP) der FDA, der US-Behörde für Lebensmittelüberwachung und Arzneimittelzulassung produziert wurden.

Das Schicksal Dinesh Thakurs entsprach nicht dem der meisten WhistleblowerInnen. Nicht nur wurde er von einer mächtigen US-Behörde unterstützt, er erhielt auch eine enorme Belohnung – 48,6 Mio. Dollar. Gemäß dem False Claims Act kann ein Whistleblower einen Teil der dem Missetäter auferlegten Geldstrafe als Belohnung erhalten; der Anteil wird vom US-Justizministerium festgelegt.

Thakur plant nun die Gründung eines Unternehmens, das anderen Unternehmen helfen soll, die Vorschriften von Regulierungsbehörden einzuhalten. Aus Sicherheitsgründen gibt er seinen Aufenthaltsort nicht bekannt.

Whistleblowing in Indien. Dass Thakur letztlich so reich belohnt wurde, dürfte sich allerdings kaum positiv auf InderInnen auswirken, die Missstände und Fehlverhalten in ihrem eigenen Land ans Licht bringen wollen. In Indien werden WhistleblowerInnen im Allgemeinen schikaniert, bedroht, entlassen, zum Rücktritt gezwungen oder sogar ermordet. Und die Regierung hat es alles andere als eilig, auf gesetzlicher Ebene für ihren Schutz zu sorgen.

Derzeit quält sich die „Whistleblower Protection Bill 2011“ durch den Gesetzgebungsprozess. Aber das Gesetz ist schwach: Es befasst sich nicht mit Korruption im Privatsektor, und es sieht keine Strafen für Schikanen gegen Whistleblower vor.

Die Auswirkungen des Ranbaxy-Skandals haben der Kampagne für leistbare Arzneimittel nicht gerade geholfen. Einige der Übertretungen des Unternehmens waren schwerwiegend und unentschuldbar, meint S. Srinivasan* von Low Cost Standard Therapeutics ­(LOCOST), einem Pharmaunternehmen im Bundesstaat Gujarat, das essenzielle Medikamente herstellt und den Zugang zu leistbaren Medikamenten unterstützt.

Ranbaxy ignorierte auch mehrere Warnungen der FDA. Eine derartige Kultur routinemäßigen Fehlverhaltens war nach Ansicht Srinivasans wohl auf Druck der Unternehmensführung zurückzuführen, um die Ziele für den US-Markt zu erreichen. 2012 entfiel fast die Hälfte des weltweiten Umsatzes von Ranbaxy – 2,3 Mrd. Dollar – auf die USA.

Ja, sicher habe Ranbaxy Daten gefälscht, räumt der Gesundheitsaktivist Amit Sengupta ein, weltweiter Koordinator des People’s Health Movement. Aber der Fall werde in den Medien dazu missbraucht, eine „orchestrierte Kampagne gegen in Indien hergestellte Generika loszutreten“.

Nicht nur Generika

Bekannte forschende Pharmaunternehmen wurden ebenfalls auf frischer Tat ertappt. Bußgelder/Vergleichszahlungen zwischen 2009 und 2012 (Auswahl):

Glaxo Smith Klein – 3 Mrd. Dollar
Für betrügerische Angaben und Nichtvorlage von Sicherheitsdaten.
Pfizer – 2,3 Mrd. Dollar
Inkludierte die höchste strafrechtliche Geldstrafe (1,3 Mrd. Dollar) in der Geschichte der Gesundheitsversorgung.
Eli Lilly – 1,4 Mrd. Dollar
Rekordbetrag von 2009 zur Beilegung zivil- und strafrechtlicher Verfahren, eingebracht von US-Bundesbehörden und Einzelstaaten.
Abbott Labs – 5 Mrd. Dollar
Beilegung zivil- und strafrechtlicher Klagen im Zusammenhang mit der Vermarktung des Epilepsie-Medikaments Depakote für nicht zugelassene Anwendungen.
Merck – 950 Mio. Dollar
Wegen illegaler Vermarktung und falscher Angaben zur Sicherheit des Schmerzmittels Vioxx.

Quellen: US-Justizministerium, FDA, Hindu Businessline

Der Einsatz wird immer höher. 2008 erwarb der japanische Multi Daiichi Sankyo einen Mehrheitsanteil an Ranbaxy, eine der vielen Fusionen zwischen indischen Generika-Herstellern und ausländischen Unternehmen, die mit einer „Patentklippe“ konfrontiert sind – ihre größten Umsatzbringer, so genannte „Blockbuster“, verlieren den Patentschutz, und es fehlt an Ersatz durch neue profitable Präparate. Der einzige Ausweg ist der Eintritt in den expandierenden Generika-Markt.

Zwischen 2011 und 2016 läuft der Patentschutz für Blockbuster aus, die einen Umsatz von zusammen mindestens 133 Mrd. Dollar generieren – ein Verlust für die forschende Pharmaindustrie, aber eine Bonanza für Generika-Hersteller. Pharmaunternehmen, die mit einem drastischen Gewinnrückgang konfrontiert sind, haben begonnen, die Qualität von Generika in Frage zu stellen, insbesondere von indischen Generika.

Der Ranbaxy-Fall wird mittlerweile von der Anti-Generika-Lobby dazu benutzt, das Vertrauen der Öffentlichkeit in Generika zu untergraben. Genau am Tag des Urteilsspruchs gegen Ranbaxy brachte CBS News einen Bericht mit dem Titel: „Wirken Generika genauso gut wie Markenpräparate? Vielleicht nicht.“

Die Behauptung der großen Pharmakonzerne, generische Medikamente seien von geringerer Qualität, gehört zu ihrer Geschäftsstrategie: Sie wollen die Arzneimittelpreise hoch halten und weiter Megagewinne einfahren.

Um sich die Größenordnung besser vorstellen zu können, zwei Beispiele: 2001 schaffte es der Generika-Hersteller ­Cipla, den Preis von antiretroviralen HIV-Medikamenten von 10-15.000 Dollar jährlich auf 365 Dollar zu drücken, wodurch Pfizer und andere gezwungen waren, ihre Preise ebenfalls radikal zu senken. Als Novartis in Indien sein Patent auf das Krebsmittel Glivec vor Gericht verteidigte, verlangte der Konzern für Glivec 2.600 Dollar monatlich. Novartis verlor den Prozess. Die generische Version, Imanitib, kostet in Indien rund 175 Dollar im Monat.

In Indien werden derzeit zehn Prozent der weltweiten Pharmazeutika hergestellt, und das Land ist der größte Lieferant von Pharmawirkstoffen in die EU. 80 Prozent aller Arzneistoffe in US-Medikamenten – ob Generika oder patentgeschützt – stammen heute aus dem Ausland.

„Die USA sind zum wichtigsten Markt für Unternehmen wie Ranbaxy aufgestiegen“, konstatiert Sudip Chaudhuri, Ökonom in Kolkata. „Selbst wenn Ranbaxy den Marktzugang verliert, werden andere indische Unternehmen in die Bresche springen. Es wird für die USA wegen der Kosteneinsparungen politisch schwierig werden, indische Generika aus dem Markt zu halten.“

Interessanterweise verfolgt Großbritannien nicht dieselbe Politik wie die USA. Die britische Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Arzneimittel verfügt über „keine Beweise, dass irgendwelche der von Ranbaxy hergestellten Produkte auf dem britischen Markt von inakzeptabler Qualität sind oder waren“. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO verbürgt sich für Ranbaxy-Medikamente.

In den USA werden Medikamente dann als „verfälscht“ bezeichnet, wenn sie nicht gemäß FDA-Anforderungen (cGMP) hergestellt wurden. „Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass sie minderwertig sind“, sagt Srinivasan von LOCOST.

Unter dem Strich heißt das: Generika sind sicher, Gesundheitssysteme rund um die Welt sind auf sie angewiesen, und wenn sie nicht von Ranbaxy verkauft werden, dann von jemand anderem. Unternehmen und Regulierungsbehörden müssen sicherstellen, dass sie korrekt hergestellt und ethisch verantwortungsvoll vermarktet werden. Sie müssen auch dafür sorgen, dass unnötige oder gefährliche Pharmazeutika nicht auf den Markt gelangen. Ebenso ist es aber unabdingbar, dass Whistleblowing eine Gewissensentscheidung bleibt und Strafen für Missetäter im Interesse der Gerechtigkeit verhängt werden und nicht, um Mitbewerbern Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.

Sandhya Srinivasan ist Mitarbeiter und beratender Redakteur von infochangeindia.org und des Indian Journal of Medical Ethics. Er lebt in Mumbai.

* Nicht mit dem Autor verwandt.

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