Der willkommene Putsch

Von Christian Brüser · · 2007/03

In Bangladesch wurde der Notstand ausgerufen, die Wahlen auf unbestimmte Zeit verschoben; die politischen Rivalen stehen sich weiterhin mit unversöhnlichem Hass gegenüber. Doch die Bevölkerung atmet auf, dass sie derzeit nicht von PolitikerInnen regiert wird.

Straßenschlachten, Ausgangssperren, etwa 50 Tote, tausende Verletzte und eine auf unbestimmte Zeit verschobene Wahl – so lautet die innenpolitische Bilanz der letzten Monate. Trotzdem sind viele Menschen in Bangladesch erleichtert. Sie sehen die momentane Übergangssituation als Chance für das Land, das seit 16 Jahren nach dem gleichen Muster regiert wird: Die jeweilige Regierungspartei diktiert den Kurs des Landes, die Opposition beherrscht die Straße. Die beiden großen Parteien, die das politische Geschehen dominieren, haben sich gegenseitig blockiert. Vom politischen Stillstand haben vor allem die islamistischen Parteien profitiert, da sich viele Menschen enttäuscht von den säkularen Parteien abwandten.
Eigentlich hätten am 22. Jänner Parlamentswahlen stattfinden sollen. Doch seit Oktober letzten Jahres leitete eine Übergangsregierung, eine weltweit einzigartige Institution, die Geschicke des Landes. Das so genannte „caretaker government“ sollte faire Ausgangsbedingungen für die Wahlen schaffen. Aber die Opposition rief immer wieder zu Generalstreiks und Protestkundgebungen auf. Sie warf der Übergangsregierung vor, nicht neutral zu sein.
Unter Umgehung der Verfassung hatte sich Staatspräsident Iajuddin Ahmed selbst zum Chef dieser Regierung ernannt. Er war 2002 von der zuletzt regierenden Bangladesh Nationalist Party (BNP) ins Amt gebracht worden. Stark kritisiert wurde auch der Leiter der Wahlbehörde, der ebenfalls in einem Naheverhältnis zur BNP steht. Im Wählerverzeichnis standen zwölf Millionen falsche Namen.

Als die Proteste nicht aufhörten, das öffentliche Leben immer öfter zum Stillstand kam und die oppositionelle Awami-League mit ihren Verbündeten die Wahlen zu boykottieren drohte, rief der Präsident am 11. Jänner den Notstand aus und verschob die Wahlen auf unbestimmte Zeit. Fakhruddin Ahmed, ein 66-jähriger Ökonom, der auf eine Karriere bei der Weltbank und als Chef der Zentralbank von Bangladesch zurückblicken kann, wurde zum Übergangspremier ernannt. Ihm wurden andere Technokraten als weitere Kabinettsmitglieder zur Seite gestellt. Der Leiter der Wahlbehörde wurde entlassen. Niemand rechnet damit, dass die Wahlen vor Juni stattfinden werden, möglicherweise erst im nächsten Jahr oder noch später.
Auf die neue Übergangsregierung wartet eine Menge Arbeit. Während der letzten Legislaturperiode (2001-2006) hat der politische Einfluss auf die Verwaltung, die Polizei und viele andere öffentliche Dienste enorm zugenommen und die Korruption hat völlig neue Ausmaße erreicht.
Die Übergangsregierung will die Korruption bekämpfen, die Missstände beseitigen und wieder demokratische Verhältnisse herstellen. Seit Ausrufung des Ausnahmezustands wurden bereits rund 30.000 Menschen festgenommen, darunter 19 Politiker, sogar neun ehemalige Minister.

Der Awami-League unter Führung von Sheikh Hasina Wajed waren diesmal gute Chancen eingeräumt worden, wieder an die Macht zu kommen, denn viele Menschen in Bangladesch sind von der BNP-Regierung enttäuscht. Besonders aufgebracht sind die Menschen wegen der massiven Verteuerung der Grundnahrungsmittel. Nach Überzeugung von Abul Barkat, einem der führenden Wirtschaftsforscher des Landes, wurde die Teuerung künstlich durch Wirtschaftssyndikate herbeigeführt, die eng mit der politischen Elite des Landes verflochten sind und auf dem Rücken ihrer Landsleute traumhafte Gewinne einstreichen. Das jeweilige Syndikat diktiert den Preis. Barkat: „Ich möchte hier keine Namen nennen, aber z.B. das Reis-Syndikat besteht aus genau 13 Mitgliedern. Sieben Personen kontrollieren das Kerosin-Syndikat, bei Benzin und Diesel sind es neun. Viele dieser ökonomisch-politischen Kriminellen sind auch am illegalen Drogen- und Waffenhandel beteiligt.“
Die starke Verflechtung von Wirtschaft und Politik zeigt sich auch in der Bekleidungsindustrie, mit der Bangladesch jährlich sechs Milliarden US-Dollar oder drei Viertel seiner gesamten Exporterlöse verdient. Viele Minister oder ehemalige Minister besitzen selbst Textilfabriken. Dies erklärt auch, warum es erst monatelanger Ausschreitungen bedurfte, bevor der gesetzliche Mindestlohn in der Textilindustrie letztes Jahr erhöht wurde. Die Erhöhung bleibt allerdings weit hinter den Forderungen der ArbeiterInnen zurück. Sie hatten einen Mindestlohn von 37 Euro pro Monat für ungelernte Kräfte gefordert, erhöht hat man ihn von 12 auf 20 Euro. Seit 1994 war der Mindestlohn unverändert geblieben, die Preise haben sich seitdem verfünffacht, d.h. die Reallöhne sind deutlich zurückgegangen.

Der politische Stillstand des Landes hat eine seiner Wurzeln in der erbitterten Feindschaft der beiden großen Parteien und in der persönlichen Rivalität der beiden Frauen an ihrer Spitze. Man spricht vom „battle of begums“, vom „Kampf der Damen“. Auf der einen Seite steht Sheikh Hasina, die Präsidentin der Awami-League. Ihr Vater, Sheikh Mujibur Rahman, gilt als Staatsgründer von Bangladesch. Unter seiner Führung wurde 1971 die Unabhängigkeit Bangladeschs von Pakistan erkämpft. Er gab dem Land eine säkulare Verfassung und wurde erster Ministerpräsident. Aufgrund massiver wirtschaftlicher Probleme rief er 1974 den Notstand aus, ernannte sich später selbst zum Präsidenten und fasste alle politischen Parteien zu einer Einheitspartei zusammen. 1975 wurde er zusammen mit seiner Familie von Offizieren der Armee ermordet. Seine Tochter Sheikh Hasina befand sich im Ausland und überlebte das Massaker.
General Ziaur Rahman konnte sich als neuer starker Mann etablieren. Er übernahm später das Amt des Präsidenten und gründete 1979 seine eigene Partei, die Bangladesh Nationalist Party. Er schaffte die säkulare Verfassung ab und rehabilitierte einige der islamischen Parteien, die 1972 verboten worden waren, weil sie gegen die Unabhängigkeit waren und mit den pakistanischen Truppen kollaboriert hatten. Präsident Ziaur Rahman wurde 1981 von militärischen Widersacher ermordet. Seine Witwe Khaleda Zia steht heute an der Spitze der BNP.

Bis 1991 erlebte Bangladesch verschiedene Ausprägungen einer Militärdiktatur unter General Ershad. Seit dem Ende seiner Herrschaft wechseln sich Sheikh Hasina und Khaleda Zia im Amt der Premierministerin ab. Sie sprechen mittlerweile kein Wort mehr miteinander. Sheikh Hasina entging im August 2004 nur knapp einem Attentat, bei dem versucht wurde, die gesamte Führungsspitze der Partei auszuradieren. Die Ermittlungen sind bisher vollkommen ergebnislos geblieben, weshalb man bei der Awami-League überzeugt ist, dass die BNP-Regierung das Attentat zumindest geduldet habe.
Die islamistischen Parteien haben in Bangladesch nie große Unterstützung bei der Bevölkerung gefunden. 90 Prozent der 145 Millionen EinwohnerInnen sind muslimischen Glaubens. Überwiegend praktizieren sie jedoch eine tolerante und gemäßigte Variante des Islam. Sie verabscheuen Gewalt und Fanatismus. Musik, Literatur und Theater sind zentraler Bestandteil der Kultur, und Frauen nehmen in der Gesellschaft wichtige Positionen ein. Doch in der letzten Regierung konnten zwei islamistische Parteien, besonders die Jamaat-e-Islami Bangladesh (welche ursprünglich die Trennung von Pakistan ablehnte), als Koalitionspartner der BNP ihre Position deutlich stärken. Sie haben ihre Leute in wichtige Positionen der Verwaltung und der Polizei gebracht.
Ihre radikalisierten Anhänger waren bereit zu kämpfen. Dass die Situation nun nicht zu einem Bürgerkrieg eskaliert ist, liegt am starken Einfluss des Militärs, das von den USA und der EU kritisch beobachtet wird. Man befürchtet, dass Bangladesch als „gescheiterter Staat“ zum Sammelpunkt internationaler islamischer Terroristen werden könnte.
Intellektuelle und VertreterInnen zivilgesellschaftlicher Organisationen fordern nun, den Staat auf eine völlig neue Basis zu stellen. Die politischen Parteien sollen zur Vernunft kommen, und die beiden Damen an der Spitze würden die meisten am liebsten im Exil sehen.
Als politischer Hoffnungsträger gilt der Grameen-Bank-Gründer und Nobelpreisträger Muhammed Yunus. Er ließ unlängst wissen, dass er sich mental darauf vorbereitet habe, politische Verantwortung zu übernehmen, und überlegt eine neue Partei zu gründen.

Christian Brüser ist freier TV- und Hörfunkjournalist und lebt in Wien. Er begleitete das Südwind-Aktionsteam auf seiner Reise nach Bangladesch.

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