Der Zorn der Jugend

Von Markus Schönherr · · 2012/02

Langzeitpräsident Abdoulaye Wade will in Senegal – gegen erbitterten Widerstand – ein drittes Mal Präsident werden. In Dakar brodelt es.

Y’en a marre, wir haben genug! Unter diesem Namen formierte sich in der senegalesischen Hauptstadt Dakar eine Rap-Bewegung, hinter der der Zorn tausender Jugendlicher steht. Sie haben genug von Präsident Abdoulaye Wade. Einst das Geheimnis seines Erfolgs, kehren Jugend und marginalisierte Gruppen sich heute von dem 84-Jährigen ab und rufen nach Wandel. Wade, der 2000 nach jahrzehntelanger Opposition an die Macht gekommen war, gab unterdessen seine Kandidatur für eine dritte Amtszeit bekannt. Wahltermin ist der 26. Februar.

Die wütende Jugend wirft dem Präsidenten vor, eine dritte Amtszeit verstoße gegen die Verfassung. In der Überarbeitung von 2001 begrenzte Wade diese selbst auf zwei. Doch nun kontert er, er sei vor der Änderung gewählt worden und somit für eine dritte Periode legitimiert – eine Aktion, die das Volk als Verrat sieht. Unter Wades Regierung wurde die Verfassung mehr als zwanzig Mal geändert. Doch das Fass zum Überlaufen brachte eine geplante Abänderung im vergangenen Juli. In einem Sommer, in dem nach dem arabischen Frühling auch in Dakar der Jasminduft in der Luft lag, der Duft der Revolution. Zumindest für einige Tage, als Wade angekündigt hatte, die Barriere für die absolute Mehrheit bei Wahlen von 50 auf 25 Prozent herabsetzen zu wollen. Des Weiteren wollte er nach amerikanischem Vorbild mit einem Vizepräsidenten in den Wahlkampf gehen. Das senegalesische Volk reagierte empört.

Der 23. Juli 2011 bleibt fortan ein Tag, den viele Jugendliche als wahren Staatsfeiertag ansehen werden, denn es war ihr – wenn auch vorläufiger – Sieg über Wade. An diesem Samstagmorgen versammelte sich das Parlament, um über die Verfassungsänderung abzustimmen, während in den größeren Städten OppositionsanhängerInnen friedliche Kundgebungen abhielten. Doch je näher der Mittag rückte, desto hitziger wurden die Proteste. Die deutsche Konrad Adenauer-Stiftung berichtet von Mittelsmännern eines ehemaligen Ministers, welche die RegierungskritikerInnen verprügelt hätten. Am Nachmittag prägten Szenen von Gewalt die Straßen: brennende Autos, geborstene Fenster, Schlägertrupps. Die Polizei soll vielerorts nur zugesehen haben. Am frühen Abend zogen sich die Minister aus Sicherheitsgründen in ein Hotel, hinter geschlossene Türen zurück. Während draußen die Unruhen anhielten, hörte Wade schließlich auf den Spruch des Volkes: Kurz nach 17 Uhr zog er seinen Entwurf aus der Abstimmung zurück.

Wades Plan war gescheitert, doch die SenegalesInnen waren alarmiert. Hinter dem zurückgezogenen Vorschlag witterten sie einen perfiden Plan, wonach der Präsident das Amt schrittweise an seinen Sohn Karim abgeben wollte. Die Opposition vermutet, dass Wade mit ihm als Vizepräsident zur Wahl angetreten wäre, die 25 Prozent für den Fall, dass sich zu viele von ihm abwenden. Denn das Volk verspottet Wade Junior als „Halbling“, der in Frankreich aufwuchs, nicht die Volkssprache Wolof spricht und keiner von ihnen sei. 2009 trat er zur Bürgermeisterwahl in Dakar an und scheiterte. Daraufhin gab ihm sein Vater den Posten des „Superministers“: Ein Ministerium, das so viele Ressorts umfasst wie keines zuvor. Eine Journalistin, die die Familie seit fünf Jahren begleitet, sagt gegenüber dem Südwind-Magazin: „Die Wades haben Einfluss und Geld.“ Wenn sie in Gestalt von Karim die wichtigen Ressorts unter sich hätten, sei es am besten zu managen. Und über die geplante Machtübergabe: „Das sieht in der Tat so aus, wird aber nicht funktionieren.“

Zwei Tage vor Weihnachten suchten erneute Unruhen Dakar heim: Anhänger der Regierungspartei griffen ein Büro der Opposition an. Ein Führer der Opposition schoss und traf einen Demonstranten tödlich. Er beharrte auf Notwehr, wurde aber wegen Mordes festgenommen. Laut dem österreichischen Botschafter in Dakar, Gerhard Deiss, zeichnet sich Senegal bisher durch eine „50-jährige friedliche Entwicklung und langjährige Stabilität aus“. Doch nun stehen die Zeichen auf Wandel. Eine Wechselstimmung im Sinne des arabischen Frühlings sieht Deiss zwar nicht, spricht jedoch von einem „weiterhin recht hohen Niveau der Spannung“. Die andauernden Stromausfälle in Dakar hätten sich zwar gebessert. Doch die hohe Jugendarbeitslosigkeit bleibt genauso ein Problem wie der Casamance-Konflikt, bei der eine separatistische Region allmählich zum Drogensumpf verkommt. Inmitten neuer Unruhen gab der senegalesische Sänger Youssou N'dour nun seine Kandidatur bekannt. N'dour ist einer der einflussreichsten Künstler Afrikas. Ob Wade in ihm einen aussichtsreichen Gegenkandidaten gefunden hat und der Wandel tatsächlich eintritt, ist aber fraglich. Denn die Opposition konkurriert auch untereinander. Deiss: „Angesichts der Vielzahl von auch einander konkurrierenden Gegenkandidaten hat der Präsident sicher eine Chance. Immer unter der Annahme, dass der Verfassungsrat seine Kandidatur zulässt.“ Denn dieser stimmt Ende Jänner als letzte Instanz darüber ab, ob Wade antreten darf oder nicht.

Markus Schönherr ist freier Journalist in Südafrika. Er schreibt für deutschsprachige Magazine und Newsportale.

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