Die 0,7 %-Schimäre

Von Franz Nuscheler · · 2001/07

Gefordert, versprochen und nie gehalten… Die Entwicklungszusammenarbeit braucht die Formulierung erreichbarer Ziele und muss sich neue Finanzierungswege erschließen, meint

Auf jeder Nord-Süd-Konferenz schwören die Repräsentanten der OECD-Staaten (mit Ausnahme der USA) gebetsmühlenartig: Irgendwann in absehbarer Zukunft werden sie die vor drei Jahrzehnten eingegangene Verpflichtung erfüllen, 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts für öffentliche Entwicklungsleistungen (ODA) aufzubringen. Bisher lösten nur Norwegen, Schweden und Dänemark sowie die Niederlande dieses Versprechen tatsächlich ein. Dabei hatten sie mit ähnlichen Haushaltsproblemen zu kämpfen, die die anderen Staaten immer wieder als Rechtfertigung für ihre sinkende Leistungsbereitschaft vorschoben.

Inzwischen ist der Leistungsdurchschnitt der im DAC (Entwicklungshilfe-Ausschuss der OECD) organisierten „Gebergemeinschaft“ auf 0,22 Prozent, also auf ein Drittel des 0,7-Prozent-Ziels, geschrumpft, vor allem aufgrund der sinkenden Leistungen der USA, deren ODA-Anteil am BSP auf 0,10 Prozent absank.

Die rot-grüne Koalitionsregierung in Deutschland, auf die die Entwicklungslobby große Hoffnungen gesetzt hatte, verkündete in ihrem Koalitionsvertrag die Absicht, sich schrittweise dem 0,7-Prozent-Ziel annähern zu wollen. Nur wenige Wochen später wurde der Entwicklungshaushalt stärker gekürzt als alle anderen Einzelhaushalte und eine mittelfristige Finanzplanung verabschiedet, die den ODA-Anteil am BSP bis zum Jahr 2003 auf 0,21 Prozent drücken wird.

Es hat eine politische Signalwirkung, wenn politische und weltwirtschaftliche Führungsmächte von international vereinbarten Zielen abrücken. Das 0,7-Prozent-Ziel ist zur Schimäre verkommen und hat völlig an Glaubwürdigkeit verloren; es provoziert längst eher Zynismus als Hoffnung auf Besserung.

Die Entwicklungslobby in aller Welt will dennoch dieses Ziel nicht aufgeben, um die reichen Staaten nicht aus ihrer Solidaritätspflicht zu entlassen und den Musterschülern unter ihnen nicht den politischen Anreiz zu nehmen, dem von den Großen vorexerzierten Anpassungsdruck nach unten zu widerstehen. UN-Organisationen liefern ihnen immer wieder das beste Argument, dass ohne deutliche Steigerung der ODA auch das OECD-Ziel, bis zum Jahr 2015 die Zahl der absolut Armen zu halbieren, verfehlt werden müsste.Weil in absehbarer Zeit völlig ausgeschlossen werden kann, dass die Mehrheit der OECD-Länder ihre ODA-Leistungen deutlich erhöhen werden, müssen erstens erreichbare Ziele anvisiert und zweitens neue Finanzierungswege erschlossen werden. Ein minimales Nahziel für die Mehrheit der EU-Staaten ist die Annäherung an den EU-Durchschnitt, der deutlich höher liegt als der durch die USA gedrückte DAC-Durchschnitt.

Es müssen neue Finanzierungsquellen erschlossen werden, die nicht die öffentlichen Haushalte belasten. Dabei ist vor allem an die Erhebung von Nutzungsentgelten für globale Gemeinschaftsgüter (wie internationaler Luftraum, hohe See und Weltraum) zu denken. Die OECD schätzt die jährlichen Einnahmen aus der internationalen Seeschifffahrt auf 750-1000 Mrd. US-Dollar. Flugtickets erbringen jährliche Einnahmen von rund 325 Mrd. Dollar. Die Abgaben müssten von den Schifffahrtsunternehmen, Fluggesellschaften und Betreibern von Kommunikationssatelliten eingezogen, aber letztlich von den einkommensstarken Bevölkerungsgruppen in Nord und Süd aufgebracht werden. Allein eine mäßige Kerosinsteuer, die ohne großen Verwaltungsaufwand erhoben werden könnte, könnte Milliardenbeträge erbringen, die sinnvollerweise zweckgebunden in die Finanzierung der globalen Umweltpolitik investiert werden sollten.

Die großen globalen Probleme – etwa die Versorgung aller Menschen mit sauberem Trinkwasser – können ohne Beteiligung der Privatwirtschaft nicht gelöst werden. Hier kann nur die Public-Private Partnership (PPP), d.h. das Zusammenwirken von Staaten, internationalen Organisationen und Wirtschaftsunternehmen, finanzierbare Lösungen anbieten. Für PPP geeignet gelten neben der Wasserversorgung vor allem der Energie- und Telekommunikationssektor. Die Entwicklungslobby muss die verkrampften Berührungsängste zwischen öffentlichen und privaten Interessen überwinden. Allerdings müssen die öffentlichen Geber ihre knapper werdenden Mittel auf Länder und Bereiche konzentrieren, die vom Privatkapital gemieden werden, das nicht dort investiert, wo die Armut am größten ist.

Es gibt zwar viele Einwände gegen die viel diskutierte „Tobin-Steuer“ auf spekulative Devisentransaktionen. Der Haupteinwand betrifft die politische Durchführbarkeit, wenn nicht alle Länder mitmachen. Die Sinnhaftigkeit einer solchen Steuer liegt erstens im Versuch, Sand ins Getriebe des höchst instabilen „Casino-Kapitalismus“ zu streuen, zweitens in der Chance, aus dem Steueraufkommen multilaterale Entwicklungs- und Umweltfonds zu speisen.

In der Entwicklungspolitik geht es nicht allein um Geld, sondern zuallererst um die Schaffung entwicklungsförderlicher interner Strukturen und weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen, die Eigenanstrengungen nicht konterkarieren. Die ärmsten Länder könnten aber durch Good Governance und mehr Demokratie, weniger Korruption und Geldverschwendung für Rüstung nicht in die Lage versetzt werden, ihre Armut aus eigener Kraft zu überwinden. Wenn die reichen Staaten nicht mehr ODA aus ihren öffentlichen Haushalten leisten wollen, müssen sie sich zu innovativen Finanzierungsmethoden durchringen. Die Entwicklungsländer werden sich auf der im nächsten Jahr geplanten Weltkonferenz über die Entwicklungsfinanzierung nicht mehr mit der 0,7-Prozent-Schimäre abspeisen lassen.

Franz Nuscheler ist Professor für Internationale Politik an der Universität Duisburg, Direktor des Instituts für Entwicklung und Frieden und unter anderem Mitglied des Beirates für Entwicklungspolitik in Österreich.

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