Die besten Jahre geraubt

Von Brigitte Voykowitsch · · 2000/10

Der indonesische Schriftsteller Pramoedya Ananta Toer glaubt nicht an eine rasche Bewätigung der Vergangenheit in seiner Heimat. Das jüngste Werk des international hochgeschätzten Autors ist kürzlich auf Deutsch erschienen.

„Geh mit dem Leben so um, als würdest du einen Drachen steigen lassen. Wenn der Wind stark ist, gib ihm mehr Leine; gibt es keinen Wind, zieh die Leine ein“, riet ein wohl gesonnener Regierungsbeamter vor vielen Jahren Pramoedya Ananta Toer und fügte noch hinzu, dass er und seine Mithäftlinge nur so mit dem Leben davon kommen würden. Es waren die späten 60-er Jahre.

Nach einem bis heute nicht aufgeklärten Putschversuch hatte Indonesiens linksgerichteter Saatsgründer Achmed Sukarno die Macht an General Suharto abtreten müssen. Im ganzen Land aber hatte eine beispiellose Kommunistenhatz begonnen, in deren Zuge mehr als 500.000 Menschen gewaltsam zu Tode kamen und mindestens 1,3 Millionen verhaftet wurden.

Unter ihnen befand sich auch der Schriftsteller Pramoedya Ananta Toer – Pram, wie ihn seine Freunde und Fans nennen -, dem seine Nähe zu linken Kreisen zum Vorwurf gemacht wurde. Ohne Prozess wurde Pram dann zusammen mit 12.000 anderen auf die Gefangeneninsel Buru verbannt, wo er mehr als zehn Jahre verbringen sollte, auf die dann viele weitere unter Haus- und Stadtarrest in der Hauptstadt Jakarta folgten.

Pram hat überlebt – anders als so viele Mithäftlinge auf Buru – und dafür dankt er bis heute jenem Beamten. Pram hat es auch unter den allerwidrigsten Umständen geschafft, weiter zu schreiben und zumindest einen Teil seiner Texte aus Buru hinaus schmuggeln zu lassen, wie jene, die in sein Buru Quartett einflossen. Doch der Schmerz über die vielen und „besten Jahre meines Lebens, die man mir genommen hat“ sitzt so tief wie die Enttäuschung über den Weg, den das Land genommen hat, für dessen Unabhängigkeit von den Holländern er in den 40er-Jahren gekämpft hatte.

Die Bitterkeit ist aus vielen Stellen seines jüngsten Werkes herauszulesen. In dieser Sammlung von Essays, Briefen und Reminiszenzen, die unter dem Titel „Stilles Lied eines Stummen“ nun auch auf Deutsch erscheint, schildert der heute 75-jährige Pram seine von Entbehrungen gezeichnete Kindheit in Zentraljava und seinen Weg nach Jakarta, wo er zunächst Stenograph und Journalist wurde, bevor er sich als Autor einen Namen machte. Vor allem aber beschreibt er seine Jahre auf Buru und die entsetzliche Verfolgung und Gewalt unter dem Suharto-Regime. An dessen Überwindung zweifelt er auch mehr als zwei Jahre, nachdem der Diktator unter dem Druck der Öffentlichkeit im Mai 1998 zurücktreten musste.

Die Verbitterung klingt auch im Interview aus Prams Worten: „Die heutige Elite hat zu viel Blut an den Händen“. Die Elite habe kein Zugehörigkeitsgefühl zu Indonesien: „Sie ist oppressiv, und ich kann noch nicht erkennen, wohin sich das Land nun entwickelt“. Pram verweigert dem neuen Präsidenten Abdurrahman Wahid jeden Vertrauensvorschuss. Im Geiste der Versöhnung hat Wahid Pram bereits einen persönlichen Besuch abgestattet. Doch mit Worten will sich der Autor nicht zufrieden geben. Er verlangt sein altes Haus zurück, das man ihm genommen und in Militärbesitz übertragen hat, er fordert Entschädigung für all die Bücher und Dokumente, die ihm nach seiner Festnahme 1965 zerstört wurden. Er wartet noch immer darauf, dass seine Werke überall in Indonesien frei erhältlich sind. Die englische Version des Stillen Liedes eines Stummen liegt heute zwar in englischsprachigen Buchhandlungen in Jakarta offen auf, Pram-Fans wussten sich zudem schon immer seine Texte zu beschaffen. Offiziell aber besteht das Verbot seiner Bücher bis heute.

Während sich Pramoedya Ananta Toer international größter Achtung erfreuen kann – und wiederholt für den Nobelpreis vorgeschlagen wurde – bleibt er in seiner eigenen Heimat verboten und auch umstritten. KritikerInnen beschuldigen ihn, unter Sukarno an der Verfolgung pro-westlicher Intellektueller beteiligt gewesen zu sein. Ein Vorwurf, den Pram zurückweist. Seine angebliche Nähe zum Sukarno-Regime, sagen Verteidiger, werde schon dadurch relativiert, dass Pram auch unter Sukarno einmal ins Gefängnis musste.

Eine Versöhnung ist nicht in Sicht. „So rasch kann es das nicht geben“, sagt Pram und fordert Prozesse zur Aufklärung all der politisch motivierten Gewalt unter Suharto. Indonesien müsse sich seiner Vergangenheit stellen. Nur dann könne es diese überwinden: In einer nächsten Generation, „mit den jungen Menschen. Die müssen etwas ändern. Ich kann sehen, sie beginnen schon zu kämpfen“.

Pramoedya Ananta Toer: Stilles Lied eines Stummen; Horlemann-Verlag, Bad Honnef 2000, 340 Seiten, öS 291,-.

Brigitte Voykowitsch ist freie Journalistin mit Schwerpunkt Südasien.

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