Die Busch-Doktoren

Von Lydia Matzka · · 2004/04

Im Norden Tansanias versuchen Ärzte und Krankenschwestern, eine Brücke zwischen dem traditionellen Leben der Maasai und der Moderne zu bauen. Ein Lokalaugenschein von SÜDWIND-Mitarbeiterin Lydia Matzka

Wenn die Maasai nicht zu uns kommen, dann kommen wir zu ihnen.“ Unter diesem Motto könnte die Arbeit der Outreach-Krankenschwestern und Doktoren aus Wasso im Norden Tansanias beschrieben werden. Das Spital in Wasso beschäftigt etwa 100 MitarbeiterInnen und verfügt über 80 Betten. Es ist ein modernes Spital. In Afrika bedeutet dies, dass es nicht nur überdachte Räume mit Betten gibt, sondern auch gut ausgebildetes Personal, einen Operationssaal und Medikamente. Da der Großteil der Maasai nach wie vor kein sesshaftes Leben führt, sondern semi-nomadenhaft durchs Land zieht, ist es ihnen eher fremd, Krankenhäuser oder größere Ortschaften aufzusuchen. So bleibt dem Gesundheitspersonal nichts anderes übrig, als die Arztpraxen teilweise aufs Land zu verlegen.
Unter einer Schatten spendenden Schirmakazie, 16 Kilometer vom Spital in Wasso entfernt, treffen etwa 30 Maasai aufeinander. Männer lehnen plaudernd am Baumstamm, während Frauen gerade ihre Kleinkinder den beiden Krankenschwestern anvertrauen. Mutter-Kind-Beratung, Basisgesundheitsversorgung, Hygiene- und Gesundheitserziehung stehen heute auf dem Programm. Kleinkinder werden geimpft, Erwachsene erhalten Vitaminspritzen, um Ernährungsmängel und den Ausbruch damit zusammen hängender Krankheiten zu verhindern. Auch Schwangerenhilfe könnte im Bedarfsfall geboten werden, dazu wurde extra eine kleine Hütte in traditioneller Bauweise für die Niederkunft aufgebaut. Etwa einmal im Monat kommt ein Arzt mit zwei Krankenschwestern an diesen Ort.

36 solcher Akazienbäume, zentrale Treffpunkte im Ngorongoro-Bezirk in der Region Arusha, werden von Wasso aus besucht, um die sich dort versammelnden Menschen medizinisch zu versorgen und ernstere Fälle ins Krankenhaus zu bringen. 26 können mit dem Auto erreicht werden, zehn werden – weil in weiter entlegenen Gebieten – mit dem Flugzeug angeflogen. Einen Tag vorher wird einem Menschen aus dem Bezirk Bescheid gegeben. Dann verbreitet sich die Nachricht, dass die Doktoren wieder zur Schirmakazie kommen, via Mundpropaganda.
Dabei ist es gar nicht selbstverständlich, dass sich Maasai der Schulmedizin anvertrauen. „Die meisten von ihnen probieren es zuerst mit traditioneller Medizin, gehen zu Wunderheilern, versuchen, ihre Krankheiten mit diversen Kräutern und Wurzeln zu heilen“, erzählt Simon Magiroo, Doktor und Chirurg im eine Auto-Tagesreise entfernten kleineren Spital in Endulen. „Maasai kommen leider erst sehr spät, erst wenn die Krankheiten in einem fortgeschrittenen Stadium sind“, so Magiroo weiter. Er ist selbst Maasai und kennt die Gewohnheiten und Traditionen seiner Leute. Die Menschen haben Vertrauen zu ihm, können ihm ihre Beschwerden in ihrer Sprache mitteilen und fühlen sich dadurch besser verstanden. „Je mehr auskurierte und wieder gesunde Maasai aus Krankenhäusern zu ihren Familien zurückkehren, desto besser für uns. Dadurch wird Vertrauen geschaffen und wir können langfristig erreichen, dass Maasai nicht mehr so lange zuwarten, bis sie einen Arzt aufsuchen“, sagt Magiroo.

Ob wir Verwandte von Herbert Watschinger seien, will ein junger Maasai wissen, der sich den Besuch dreier EuropäerInnen zu erklären versucht. Der oberösterreichische Pater und Arzt Watschinger hat Spuren hinterlassen. Er gründete zwei Spitäler, in Wasso und Endulen, „um meinen Maasai helfen zu können“, wie er stets zu sagen pflegte. Seit Mitte der 1980er Jahre werden die beiden Spitäler von der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit im Außenministerium finanziell unterstützt. Österreich will sich nach rund 20 Jahren schrittweise zurückziehen, damit die Kliniken bald ohne ausländische Hilfe auf eigenen Beinen stehen können. Doch dies wird noch dauern, und man werde „die beiden Krankenhäuser sicher nicht in Stich lassen“, betont Manfred Schnitzer, Leiter des Afrika-Referats in der Sektion Entwicklungszusammenarbeit im österreichischen Außenministerium. Es gehe nicht um Sparmaßnahmen, sondern darum, „Kosten zu optimieren, die externen Inputs zu minimieren und eine bestmögliche Integration des nötigen Aufwands ins tansanische Budget zu ermöglichen, damit die dort vorhandenen Gelder auch für Wasso und Endulen genutzt werden“, so Schnitzer weiter.
Die Probleme im Ngorongoro-Bezirk sind groß, die beiden Spitäler wichtig für die lokale Bevölkerung. Die häufigsten Erkrankungen sind Malaria, Magen-Darm-Infektionen, Geschlechtskrankheiten wie Syphilis oder Tripper, Haut- und Augenkrankheiten, aber auch Meningitis und HIV. „Wir versuchen, die Menschen möglichst umfassend bezüglich Hygienemaßnahmen aufzuklären“, beschreibt Susanna Koillah, Programmleiterin für Basisgesundheitsversorgung in Wasso, eine der Hauptaufgaben des medizinischen Personals. Veränderungen können nur langsam herbeigeführt und mit Rückschlägen müsse gerechnet werden.
Regelmäßiges Hände- und Gesichtwaschen zum Beispiel ist leichter gesagt als getan. Denn wie sollten Maasai sich bei Trockenheit in der Region regelmäßig waschen? Sie sind oft tagelang in kargen Gegenden unterwegs, ausgestattet nur mit einer Karaffe voll Kuhmilch: weit und breit keine Wasserquelle.

Auch die Ausweitung des von Nationalparks beanspruchten Landes bringt Probleme mit sich. Erstens werden die Maasai dazu angehalten, die Nationalparks nicht mit ihren Viehherden zu durchqueren, was eine erhebliche Einschränkung ihrer traditionellen Lebensart bedeutet. Und zweitens ziehen Nationalparks TouristInnen an, welchen Unterkunft und Verpflegung zur Verfügung gestellt werden muss. In der angrenzenden Serengeti zum Beispiel können TouristInnen locker 180 Euro pro Person und Nacht los werden, dafür sind die Zimmer auch mit Badewannen ausgestattet; der Frühstückskaffee wird am voll gefüllten Swimmingpool mit Blick auf die Serengeti serviert. Dass die in der Region ohnehin knappe Ressource Wasser dann irgendwo fehlt, wenn sie andernorts im Übermaß angeboten wird, fällt in den Luxushotels nicht auf, denn das kostbare Nass sprudelt dort ja in Hülle und Fülle.

Die Maasai können den Tourismus nicht aufhalten, so versuchen manche von ihnen, wenigstens besser damit zu leben.
Die neuen Rahmenbedingungen fordern von vielen Sesshaftigkeit, und so wird den europäischen BesucherInnen in der Nähe von Wasso eine neu entstehende cultural boma (ein extra für Touristen erbautes Gehöft) gezeigt. Sieben Frauen tanzen vor einer behelfsmäßig mit einer UNHCR-Plane zugedeckten Hütte und erzählen in ihren Gesängen von ihren Problemen und Träumen. Nachhaltiger Tourismus ist das Ziel. Ein kleines Einkommen will man sich schaffen, um sich medizinische Grundversorgung leisten, Kinder in die Schule schicken und einfach besser leben zu können. TouristInnen kommen hier vorbei, auf dem Weg zur weltberühmten Serengeti. Tiere halten sich nicht an Nationalparkgrenzen, so könnte das an die Serengeti angrenzende Gebiet die Chance nutzen, einen sanften Tourismus zu etablieren. TouristInnen müssten hier keinen Eintritt für den Nationalpark zahlen und könnten trotzdem mit ein bisschen Glück Löwen, Zebras, Elefanten, Gazellen und Giraffen beobachten.

Landrechte sind – wie so oft bei indigenen Völkern – die Schlüsselfrage. Für die Maasai ist Land ein allgemeines Gut. Seit jeher nutzen sie es, ziehen mit ihren Viehherden von einem Weideplatz zum anderen. Im Jahre 1999 hat die tansanische Regierung ein Gesetz erlassen, welches es ausländischen Investoren erleichtert, Land zu erwerben. So haben zum Beispiel reiche Araber aus den Vereinten Emiraten im Ngorongoro-Bezirk Land zu Jagdzwecken gepachtet und Maasai aus ihrem angestammten Gebiet vertrieben.
Maasai dürfen zwar generell das Land durchqueren, doch wenn es anderweitig genutzt wird, als Nationalpark oder Jagdrevier, dann müssen sie den kommerziellen Interessen weichen.
Dürrejahre, wie zum Beispiel die letzten beiden Jahre, verschärfen die Situation. Manche Maasai gehen dazu über, neben der Viehzucht auch Ackerbau zu betreiben. Angebaut wird vor allem Mais, aber auch Cassava und Spinat. „Wir versuchen, Landtitel für die Maasai zu erwirken, damit sie niemand mehr verjagen wird können“, sagt Francis Shomet Ole Naingisa, ein Schüler Watschingers, der sich seit vielen Jahren unermüdlich für die Rechte der Maasai einsetzt. Er selbst lebt zwischen den Kulturen, tauscht Jeans, Turnschuhe und Lederjacke bei Feierlichkeiten im Dorf ganz selbstverständlich gegen die traditionelle Kleidung der Maasai, rot-karierte oder gestreifte Decken, die als Umhänge getragen werden. Ob die Maasai-Kultur mit all ihrem Reichtum an Gebräuchen und Zeremonien eine Zukunft hat? „Aber natürlich“, sagt er überzeugt, „in angepasster Form, ja“.
Das Projekt wird in Österreich durch Austroprojekt betreut und koordiniert.

Lydia Matzka arbeitet als freie Journalistin und Fotografin in Wien.

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