Die Diktatur auf den Arm nehmen

Von Sven Hansen · · 2004/05

Eine Gruppe von Komödianten gibt in der alten burmesischen Königsstadt Mandalay allabendlich eine Aufführung, vor allem für TouristInnen, und witzelt dabei über die Machthaber. Zugeschaut hat auch SÜDWIND-Mitarbeiter Sven Hansen.

Wieder einmal ist der Strom ausgefallen. Das Viertel ist stockdunkel. Die wenigen Straßenschilder sind selbst mit der Taschenlampe nicht zu entziffern. Dabei kann die 39. Straße eigentlich nicht mehr weit sein. Dort, im südlichen Zentrum von Mandalay, geben die Moustache Brothers jeden Abend eine Privataufführung in ihrem Haus. Doch trotz der Dunkelheit gehen TouristInnen hier nicht verloren. Ein alter Mann weist lächelnd den Weg, noch bevor er gefragt wird. Denn wer sich als Reisender hierher verirrt, kann nur ein Ziel haben: die Moustache Brothers. Und die kennt hier jeder.
Zur Straße hin ist das einfache Holzhaus der „Schnauzbart-Brüder“ offen. Gäste werden hereingewinkt und bekommen Tee angeboten. Das Theater ist nicht größer als eine Garage. Statt einer Bühne liegt nur ein roter Teppich im Raum. Ein paar Plastikstühle stehen drum herum. Eine Wand ist voller Marionetten, zwei andere voll mit Fotos der Gruppe und der „Lady“. So wird Burmas Friedensnobelpreisträgerin und Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi genannt. Ihr Foto ist sonst heute nirgends mehr im Land zu sehen. Ihre Partei gewann 1990 die Wahlen, wird aber seitdem vom Militär an der Machtübernahme gehindert. Seit 1962 regieren Generäle das südostasiatische Land, seit 1988 die jetzige Junta. Suu Kyi steht zur Zeit wieder unter Hausarrest.

Moustache Brothers nennen sich die Brüder Par Par Lay und Lu Maw und ihr Vetter Lu Zaw. Sie sind eine A-Nyeint-Gruppe. Als klassische Form des burmesischen Varietés vereint A-Nyeint Musik, traditionellen Tanz, Drama und Komödie. Die drei sind seit 30 Jahren Komödianten. Früher reisten sie mit mehr als 20 Tänzerinnen, Musikern und Roadies – oft Mitglieder des Familienclans – monatelang durchs Land. Sie spielten bei Taufen, Hochzeitsfeiern, Tempelfesten und Beerdigungen ganze Nächte lang.
„Seit 1996 können wir nur noch hier im Haus auftreten“, sagt Lu Maw, während hinter dem Gebäude ein Generator dröhnt. Der drahtige 54-Jährige spricht als einziger der Familie englisch und ist gegenüber ausländischen Gästen der Sprecher der Gruppe. 1996 war in Burma, das die Militärjunta in Myanmar umtaufte, das „Visit Myanmar Year“. Damit wollten die Generäle massiv TouristInnen anlocken. Das gelang nicht. Statt dessen wurde das Touristenjahr zum Wendepunkt für die Moustache Brothers.
„Am 4. Januar 1996 sollten wir in Rangun zum Unabhängigkeitstag auftreten“, erzählt Lu Maw. Geladen hatte die Nationale Liga für Demokratie (NLD), die Partei Suu Kyis. Die war selbst erst wenige Monate zuvor aus jahrelangem Hausarrest entlassen worden. Auch Par Par Lay saß 1989 fast ein Jahr im Gefängnis, weil die Militärs über seine Witze überhaupt nicht lachen konnten. Die Moustache Brothers wollten sich nicht einschüchtern lassen, blieben aber vorsichtig.

„Wir sind Kämpfer“, sagt Lu Maw, ballt die Fäuste und geht lachend in Boxstellung. „Auf mich fiel das Los, mit einem Teil der Familie in Mandalay zu bleiben.“ In Rangun scherzten dann Par Par Lay und Lu Zaw über Stromausfälle, Zwangsarbeit und die Schulmisere. Unter den 2.000 ZuschauerInnen befanden sich neben ausländischen Diplomaten auch Spitzel des Militärs.
Kaum waren die Komödianten zurück in Mandalay, wurde die ganze Familie verhaftet. Zwei Wochen lang wurden sie verhört und geschlagen. Dann ließ man sie frei – bis auf Par Par Lay und Lu Zaw. Die wurden wegen „bewusster Verbreitung unwahrer Nachrichten“ zu sieben Jahren Arbeitslager verurteilt. Suu Kyi, die als Entlastungszeugin aussagen wollte, durfte nicht nach Mandalay reisen.
Im Arbeitslager mussten die beiden Komödianten an Eisenstangen gekettet Steine klopfen. Sie seien schnell erkrankt, erzählt Lu Maw, wurden Dank einer Kampagne von Amnesty International aber nach zwei Monaten in reguläre Gefängnisse überstellt und dort meist isoliert. „Wir anderen hatten Auftrittsverbot. Um die Familie durchzubringen, begannen wir in unserem Haus vor Touristen zu spielen.“ Kontakte zu Reisenden habe er bereits in den 1970er Jahren entwickelt und so auch englisch gelernt. „Ich erkläre ihnen unsere Kultur und Tradition und zugleich die Lage in Burma“, sagt er verschmitzt.

TouristInnen wurden Einkommensquelle und Schutzmacht der Familie. 1997 gelangte ein Foto von Lu Maws Frau Ni Ni Lin, einer Tänzerin, gar auf den Titel eines Reiseführers. Wegen internationalen Drucks wurden Par Par Lay und Lu Zaw schließlich im Juli 2001 nach fünfeinhalb Jahren frei gelassen. „In der 39. Straße gab es ein großes Fest“, erinnert sich Lu Maw. Wieder vereint spielten die Moustache Brothers sofort vor NachbarInnen, Freunden, TouristInnen – und zahlreichen Militärspitzeln.
„Par Par Lay musste daraufhin bei Mandalays Militärchef unterschreiben, nie wieder vor Touristen zu spielen, sonst würde die ganze Familie verhaftet“, erzählt Lu Maw. Doch als Par Par Lay nach Haus zurückkehrte, warteten dort schon zwei Touristengruppen. Die Moustache Brothers erkannten die Chance. „Wir traten zuerst ohne Schminke und Kostüme auf, um sagen zu können, wir demonstrieren ja nur, wie wir spielen würden, wenn wir dürften“, lacht Lu Maw.
Die Militärs wagten nicht einzugreifen. Längst schminkt sich die ganze Gruppe wieder und zieht auch Kostüme an. Das Militär schicke zwar immer wieder Spitzel vorbei, wage aber nicht, das Totalverbot durchzusetzen. „Touristen und internationale Medien schützen unsere Familie,“ sagt Lu Maw.

Zur abendlichen Vorstellung sind 16 TouristInnen aus Europa und den USA gekommen. Mehr passen auch nicht ins Haus. Lu Maw führt auf Englisch durch das Programm. Um die Tänze abzukürzen, hat er ein bebildertes Tanzlehrbuch dabei. Die Touristen zeigen auf ein Bild und Ni Ni Lin tanzt eine Szene, die sie genau in der auf dem Bild gezeigten Pose beendet.
„Die Witze sind erstaunlich zahm“, urteilt ein niederländischer Tourist. Lu Maw erzählt mit einem Polizeihelm auf dem Kopf, Polizisten würden im Volksmund „Spendenbüchsen“ genannt. „Sie wollen immer Geld haben“, sagt er und nimmt fordernd den Helm in die Hand. Später lästert er über Stromausfälle sowie die Militärs und ihre Spitzel, die er als KGB bezeichnet. Lachend posieren die Komödianten vor einem Schild „Moustache Brothers unter Überwachung“.
Als Aung San Suu Kyi im Juli 2002 in Mandalay bei der Gruppe vorbeischaute, waren TouristInnen erstmals wieder in der Minderheit. Die 39. Straße war voller Einheimischer. Die Brüder unterstützen Suu Kyis Kampf für Freiheit und Demokratie. Doch während die Lady TouristInnen zum Burma-Boykott aufruft, fordern die Moustache Brothers das Gegenteil.

„Touristen sind wie trojanische Pferde“, sagt Lu Maw. So sei die Zwangsarbeit in den Gräben um Mandalays Königspalast, einer Touristenattraktion, erst eingestellt worden, nachdem Reisende kritisch darüber berichtet hatten. Und als Suu Kyis Konvoi im Mai 2003 von Schlägertrupps des Regimes angegriffen wurde, seien TouristInnen wichtige Zeugen gewesen. An die Reisenden trauten sich die Militärs kaum heran. Lu Maw lacht: „Kommen die Militärs, verschwinden wir hinter dem Haus im Dunkeln. Die können dann nur euch Touristen hier verhaften.“

Der Autor ist Asien-Redakteur der Berliner „tageszeitung“.

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