Die großen Taschen des Herrn Präsidenten

Von Peter Böhm · · 2004/06

Kasachstan ist eines der rohstoffreichsten Länder der Welt. Der Export von Erdöl steigt rasant. Doch wer Transparenz über die Verwendung der Staatseinnahmen fordert, lebt gefährlich.

Der Kontrast könnte kaum größer sein: In der neuen, groß angelegten kasachischen Hauptstadt Astana entsteht ein strahlender Neubau neben dem anderen, sieht man fast an jeder Ecke ein Spielkasino. Aber in den verlassenen Industriestädten, vor allem im Norden des Landes, verfallen Fabriksanlagen und stehen Hunderte von Plattenbauten leer.
Das sind die zwei entgegengesetzten Richtungen, in die sich Kasachstan entwickelt. Auf der einen Seite wurde dort Ende der 1990er Jahre das größte Ölfeld außerhalb von Saudi-Arabien entdeckt, wird das Land in zehn Jahren voraussichtlich zu den fünf größten Erdölexporteuren der Welt gehören. Auf der anderen Seite jedoch leidet es noch an den Folgen des Zusammenbruchs der Sowjetunion, haben mindestens 1,5 Millionen seiner ursprünglich 16 Millionen EinwohnerInnen – vor allem Menschen deutscher und russischer Herkunft – das Land verlassen, bröckelt seine marode Industrie und leben 30 Prozent der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze.

Nach eigenen Angaben hat Kasachstan seit Mitte der 1990er Jahre ein durchschnittliches jährliches Wirtschaftswachstum von zehn Prozent erzielt und damit als einziges Land der GUS wieder den Entwicklungsstand bei Ende der Sowjetunion erreicht. Mit vier Tonnen Öl und 1.000 Kubikmeter Gas, die dort im Jahr 2003 pro EinwohnerIn gefördert wurden, ist Kasachstan eines der rohstoffreichsten Länder der Welt.
Das gibt Kasachstan auch eine wachsende geostrategische Bedeutung. Alle großen internationalen Ölkonzerne haben sich in den 1990er Jahren beeilt, einen Teil der Förderrechte an der Küste des Kaspischen Meeres zu ergattern. Dadurch und mit den russischen Ölvorkommen hofft der Westen, seine Abhängigkeit vom Öl des Nahen Ostens verringern zu können. Der Ölboom hat auch zu einem Rennen darum geführt, über welche Route das kasachische Öl zu den Verbrauchern kommen wird.
Der Ölreichtum bestimmt auch zu weiten Teilen die diplomatischen Beziehungen Kasachstans. Nach eigenen Angaben betreibt Kasachstan eine „multivektorielle Außenpolitik“. In der Praxis bedeutet das, Russland und die USA gleichermaßen zu hofieren, oder, wenn nötig, sie gegeneinander auszuspielen. Außerdem hofft Kasachstan, sich so von dem ängstlich beäugten Nachbarn China etwas Respekt zu verschaffen.

Traditionell ist Russland Kasachstans engster Partner, und das Land eines von vier in der GUS, die mit Russland einen gemeinsamen Wirtschaftsraum gründen wollen. Als im vergangenen Jahr ein ehemaliger Berater von Präsident Nasarbajew in den USA angeklagt wurde, gab die Regierung bekannt, dass es die neu entdeckten Offshore-Ölfelder vor allem zusammen mit russischen Investoren entwickeln wird. Aber dann wiederum will Kasachstan seine neue Flotte im Kaspischen Meer mit Hilfe der USA aufbauen, und es ist das einzige Land in Zentralasien, das Truppen in den Irak entsandt hat.
Die unrühmliche Politik Moskaus während der Zaren- und der Sowjetzeit spielt im unabhängigen Kasachstan nur noch eine untergeordnete Rolle. Kasachstan ist riesig, das neuntgrößte Land der Welt, besteht vor allem aus Steppe und ist nur sehr dünn besiedelt. Hier fanden die SowjetwissenschaftlerInnen ein ideales Experimentierfeld vor, und so hat Kasachstan heute mit enormen Umweltschäden zu kämpfen. Das Testgelände für Atomwaffen richtete Moskau in der Nähe von Semipalatinsk ein, im Nordosten Kasachstans. Die russischen Weltraummissionen starten heute noch im kasachischen Baikonur, und der austrocknende Aral-See wäre ohne den intensiven Baumwollanbau in Usbekistan und Turkmenistan wahrscheinlich heute noch einer der größten Seen der Welt.
Schon Ende des 19. Jahrhunderts hatte die dünne Besiedlung Kasachstans viele Bauern aus der Ukraine und Russland angezogen, und auch während der Sowjetzeit hat Moskau die Bauern aus dem europäischen Teil der UdSSR ermutigt, sich hier anzusiedeln. Die Folge davon war, dass vor der Unabhängigkeit fast auschließlich Nicht-KasachInnen in den an Russland grenzenden Teilen des Landes lebten und – auf das ganze Land bezogen – die KasachInnen in der Minderheit waren.

Die Regierung des unabhängigen Kasachstan hat eine radikale Wende in der Bevölkerungspolitik eingeleitet. KasachInnen werden nun in Regierung, Verwaltung und den Sicherheitskräften bevorzugt. Und sie hat auch versucht, die russische Sprache zugunsten der kasachischen in Schulen und Medien zurückzudrängen – allerdings mit bescheidenem Erfolg. Noch nach 13 Jahren Unabhängigkeit – und noch mehr als in anderen zentralasiatischen Ländern – lesen viele KasachInnen lieber russische Zeitungen und schauen lieber russisches Fernsehen.
In einer Hinsicht hat die kasachische Regierung jedoch an der sowjetischen Tradition festgehalten: in der Starrheit des politischen Systems. Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew hat die klassische Parteikarriere eines sowjetischen Apparatschik hinter sich. Vom Funktionär der staatlichen Jugendorganisation stieg er in den 1980er Jahren zum Generalsekretär der kasachischen Kommunistischen Partei auf und ließ sich nach der Unabhängigkeit zum Präsidenten wählen.

Oppositionsparteien und unabhängige Medien, die ihm gefährlich werden könnten, lässt er mit der Macht des Staates verfolgen oder verbieten. Erst im Jahr 2002 gründeten ehemalige Regierungsmitglieder und Geschäftsleute die Partei Demokratische Wahl Kasachstans, die sich gerne für die Parlamentswahlen Ende des Jahres registrieren lassen würde. Darauf wartet sie jedoch noch immer, und ihr Parteichef wurde unmittelbar nach der Gründung zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt – wegen „Bestechlichkeit“. In dem Maße, wie die unabhängige Presse über das so genannte „Kazakgate“, einen weit verzweigten Korruptionsfall um die Ölförderungsrechte in Kasachstan, berichtete, wurde auch sie zum Opfer staatlicher Repression. Kazakgate führte zum bisher größten Imageverlust für Nasarbajew, denn erdrückende Beweise sprechen dafür, dass ein ansehnlicher Teil der Öleinnahmen direkt in seine Taschen verschwindet.
Losgetreten hat Kazakgate die kasachische Regierung übrigens selbst, als sie in den 1990er Jahren einen ehemaligen Ministerpräsidenten wegen Bestechlichkeit anschwärzen wollte. Er war auf die Seite der Opposition gewechselt. Von ihm stammten die Hinweise auf ein Schweizer Nummernkonto mit einer Milliarde US-Dollar, das auf den Namen von Präsident Nasarbajew lautete. Nachdem die unabhängigen kasachischen Medien recherchiert hatten und die Schweizer Staatsanwaltschaft das Konto beschlagnahmte, musste die kasachische Regierung schließlich im Jahr 2001 zugeben, dass es existiert. Der Zentralbankchef beeilte sich jedoch hinzuzufügen, dass das Geld zur Stabilisierung der kasachischen Währung gedacht war.

Der bisher größte Schlag für Nasarbajew war jedoch die Anklage seines ehemaligen Beraters James Giffen im März vergangenen Jahres in den USA. Giffen wird vorgeworfen, zwei kasachische Beamte mit 78 Millionen Dollar und Luxusgeschenken von mehreren US-Ölgesellschaften bestochen zu haben. In der Anklageschrift werden ihre Namen nicht genannt, aber aus biographischen Details wird klar, dass einer davon Nasarbajew gewesen sein muss.
Auch die jüngste politische Entwicklung in Kasachstan zeigt, dass Nasarbajew das Land als den Privatbesitz seiner Familie zu betrachten scheint. Gegenüber dem Wall Street Journal bestritt er vor kurzem gar nicht, dass seine Tochter Dariga seine Nachfolge antreten könnte. Anfang des Jahres hat sie die Asar-Partei gegründet, und auf Anhieb sind elf Abgeordnete und Senatoren zu ihrer kaum gegründeten Fraktion übergelaufen. Sie kontrolliert außerdem den übermächtigen und regierungstreuen privaten Fernsehsender des Landes sowie über eine Holding den größten Teil der Printmedien. Ursprünglich wollte sie Opernsängerin werden, beugte sich jedoch dem Willen ihres Vaters und schlug eine Karriere als Journalistin ein. Sie ist Politologin und leitet das größte Institut für Politikwissenschaften in Kasachstan. Bevor sie Politikerin wurde, sang sie in den Pausen auf ihrem Fernsehsender alte Schlager von Mireille Matthieu und Nana Mouskouri. Bis vor drei Jahren war ihr Ehemann Rachat Aliew noch stellvertretender Vorsitzender des Geheimdienstes. Dann wurde er Schwiegervater Nasarbajew offenbar zu mächtig und zum Botschafter in Wien degradiert. Nasarbajews zweiter Schwiegersohn ist der einflussreichste Mann in einer der beiden staatlichen Ölgesellschaften.

Peter Böhm lebt als Korrespondent mehrerer deutschsprachiger Medien in Taschkent, Usbekistan. Bisher im SWM vom Autor zu Zentralasien: Überblick (11/02), Afghanistan (12/02), Usbekistan (4/03) und Kirgistan (10/03). Er bereiste kürzlich Kasachstan.

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