„Die können sich Theater nicht leisten“

Von Sara Schausberger · · 2014/02

Warum Theaterstücke sozial benachteiligte Menschen nicht erreichen und wie er dank kurdischer Freiheitskämpfer zum ersten Mal auf der Bühne stand. Der syrisch-kurdische Autor und Nestroy-Preisträger 2013, Ibrahim Amir, im Gespräch mit dem Südwind-Magazin.

Südwind-Magazin: „Habe die Ehre“, das Theaterstück, mit dem Sie den Nestroy-Preis für die Beste Off-Produktion erhalten haben, handelt von Ehrenmord. Wieso gerade dieses Thema?
Ibrahim Amir:
Mich hat schon lange die Frage beschäftigt, was Ehre für eine gewisse Gesellschaft bedeutet. Ehre ist ein unausgesprochenes Gesetz. Sie kontrolliert unser Verhalten und schränkt uns in unserer Freiheit ein – vor allem natürlich die weibliche Freiheit. Der Ehrbegriff hat sich durch patriarchale Gesellschaftsformen verfestigt. Ich habe mich immer gefragt, warum das eigentlich so ist. So kam die Idee auf, ein Theaterstück darüber zu schreiben. Die Wiener Wortstaetten waren daran sehr interessiert und haben das Projekt unterstützt.

Kann Theater eine gesellschaftspolitische Wirkung haben?
Wenn man die Geschichte des Theaters betrachtet, war es immer auf eine gewisse Art politisch oder systemkritisch. Ein Theaterstück spiegelt immer auch die Situation der Gesellschaft wider. Nur, ob es etwas verändert, das ist eine Frage des Glaubens. Ich persönlich glaube nicht, dass ein Theaterstück wirklich etwas bewegen kann. Etwas aufzeigen und kritisieren, ja, das schon. Aber diejenigen, die wirkliche Probleme haben, sind nicht diejenigen, die im Theater sitzen. Sie können es sich nicht leisten, ins Theater zu gehen. Wem präsentieren wir unsere Stücke? Einem bürgerlichen Publikum.

Was war Ihr erster Kontakt mit dem Theater?
Im Alter von elf Jahren habe ich in Syrien zum ersten Mal bei einem Stück mitgespielt. Da hat mein Interesse für das Theater angefangen. In mein Dorf kamen jeden Sommer kurdische Freiheitskämpfer. Sie haben uns Kinder auf die Idee gebracht, ein Theaterstück zu machen. Wir mussten alles selber machen: die Geschichte, die Inszenierung, das Spielen. Einer von den Freiheitskämpfern war mit dabei, aber nur um nach dem Rechten zu schauen. Ich wollte übrigens immer den Helden spielen, aber ich durfte nie. Komischerweise war ich immer der Böse.

Sie haben drei Semester lang in Aleppo Regie und Schauspiel studiert. Wie kann man sich Theater in Syrien vorstellen?
Es war schwierig, in Syrien nationale Themen auf die Bühne zu bringen, weil die Zensur alles verbietet. Man durfte niemanden kritisieren. Es war kein politisches Theater möglich, sehr wohl aber Theater mit Bezug zu sozialen Themen. An der Universität haben wir Liebesgeschichten von Shakespeare gespielt oder kommunistische Stücke, etwa von Maxim Gorki.

Es gibt allerdings in den arabischen Ländern zudem eine andere Art von Theater, die man hier in Europa nicht findet. Man würde es wahrscheinlich als Kabarett bezeichnen, aber gänzlich ohne politischen Inhalt – eine Art boulevardeskes Kabarett, das eine Geschichte erzählt.

Inwiefern ist in Syrien derzeit an Theater überhaupt zu denken?
Interessanterweise gibt es in den Gebieten, die von den Kurden kontrolliert werden, wieder Ausstellungen und auch Theaterstücke. Aber unter den Umständen ist das schon schwierig. Ich glaube nicht, dass derzeit in Syrien eine richtige, aktive Theaterszene bestehen kann.

Sie leben seit über zehn Jahren in Österreich. Warum haben Sie Syrien damals verlassen?
Ich wurde exmatrikuliert, aufgrund einer politischen Aktion. Ich und andere Studenten haben in einer Schweigeminute der gefallenen kurdischen Opfer des Irakkrieges gedacht. Das war nicht erlaubt. Daraufhin bin ich nach Österreich gekommen und habe begonnen, Medizin zu studieren. Jetzt mache ich gerade meinen Turnus.

Welche neuen Projekte sind geplant?
Ich arbeite im Moment an einem Projekt zusammen mit den Asylwerbern, die die Votivkirche besetzt haben. Basierend auf ihren Ideen schreibe ich ein Theaterstück, in dem sie selbst auch mitspielen werden.

Ibrahim Amir wurde 1984 in Aleppo in Syrien geboren, wo er drei Semester lang Theater- und Medienwissenschaften studiert hat. 2002 kam er nach Österreich und inskribierte Medizin. Heute lebt Amir hier als Arzt und Autor. 2009 wurde er für seine Kurzgeschichte „In jener Nacht schlief sie tief“ mit dem Exil-Literaturpreis ausgezeichnet. Für „Habe die Ehre“ erhielt Amir 2013 den Nestroypreis für die Beste Off-Produktion. Das Theaterstück (Regie: Hans Escher) war eine Produktion der Wiener Wortstaetten, die die Auseinandersetzung.und Vernetzung zwischen österreichischen und internationalen AutorInnen fördern.
www.wortstaetten.at

„Habe die Ehre“ ist im Juni in -Tirol zu sehen: 12., 13., 14. Juni 2014: Steudltenn, ZILLERTALER mobilTheater (Uderns/Zillertal), www.steudltenn.com
Zudem wird es im April und Mai am Schauspiel Köln auf die Bühne gebracht.

Sara Schausberger arbeitet als Kultur-Journalistin (u.a. für den Falter) in Wien.

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