ťDie Liebe war stärker!Ť

Von Werner Hörtner · · 2001/05

Marita Lorenz wurde in Bremen geboren, wuchs in den Vereinigten Staaten auf, verliebte sich in Fidel Castro und sollte diesen im Auftrag der CIA mit vergifteten Pillen ermorden. Dann trachtete ihr der Vater des heutigen US-Präsidenten nach dem Leben. Heute möchte sie wieder nach Bremen zurückkehren und Fidel wieder sehen. SÜDWIND-Redakteur Werner Hörtner erzählte sie Episoden aus ihrem unglaublichen Leben.

Es gibt Lebensläufe, die scheinen mehr der überbordenden Vorstellungskraft eines Schriftstellers zu entspringen denn der gemeinhin phantasielosen Wirklichkeit: etwas übertrieben zwar, doch eben erfunden – eine Fiktion. Ein derart unglaublicher Lebenslauf ist der von Marita Ilona Lorenz; und der Protagonistin dieses Lebenslaufes sitze ich nun in einem Wiener Hotel gegenüber.

Ein merkwürdiges Gefühl: SIE, diese stattliche, knapp über 60-jährige humorvolle Frau – sie war die Geliebte von Fidel Castro und sollte dann den Revolutionsführer im Auftrag der CIA ermorden? SIE ließ sich von Castros Erzfeind, dem venezolanischen Diktator Pérez Jiménez, mit Luxus überhäufen und gebar ihm eine Tochter; SIE wurde mit dieser Tochter den Yanomami buchstäblich zum Fraße vorgesetzt, SIE war beinahe in die Ermordung Kennedys involviert … Ist das denn alles möglich und vereinbar in einer Person?

Es ist möglich, und wenn Marita Lorenz von Fidel Castro erzählt, dem ”alten Knacker“, den sie immer noch liebt, und dass die Indianer tief im Dschungel eigentlich ganz nette Menschen waren und wie oft sie ganz knapp einem Mordanschlag ihres früheren Dienstgebers CIA entkommen war, dann ahnt man, dass diesem Leben eigentlich wenig an eigener Gestaltungskraft zugrunde lag und liegt, sondern dass gerade auf der Basis einer existenziellen Offenheit und Unbekümmertheit das Schicksal seine manchmal absurd anmutenden Kapriolen schlagen konnte.

Kindheit im Kriegsdeutschland. Der Vater ist Hochsee-Kapitän und selten zu Hause, die Mutter eine US-amerikanische Schauspielerin. Ob es nun die Herkunft war oder ihr gutes Herz – auf jeden Fall beginnt die Mutter, Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern zu helfen. Und landet im KZ Bergen Belsen. Mit der kleinen Marita: Ausdruck großdeutschen Familiensinns.

Schläge, Misshandlungen, ”in der Nase immer der Geruch von verwesenden Leichen, von Müll und Tod“. Doch damit nicht genug. Die Wärterinnen erzählen dem fünfjährigen Mädchen, dass beide Eltern tot wären. ”Das war das Schlimmste, was sie mir angetan haben. Damit haben sie meine Seele ermordet.“

Der erlösende Tod kommt nicht, doch eines Tages kommen britische Soldaten. Die Befreiung. Mutter Alice June wird Major in der US-Militärverwaltung. Mit sieben Jahren wird Marita bei einem Geburtstagsfest einer Freundin von deren Vater, einem US-Soldaten, brutal vergewaltigt. Er wurde später zu lebenslänglicher Haft verurteilt.

Das KZ Bergen Belsen und die Vergewaltigung waren für Marita Kindheitstraumata, an denen sie heute noch leidet. ”Ich habe seitdem nie wieder einem Menschen vertraut außer meinen Eltern.“ Und in dieser schrecklichen Erfahrung gründet auch ein Teil ihrer späteren Biografie: ”Ich bin ein kleines Mädchen geblieben und habe immer Schutz bei starken Männern gesucht.“

Fidel war einer dieser starken Männer, der bärtige kubanische Freiheitskämpfer mit dem militärischen Outfit.

Nach dem Krieg hatten sich Maritas Eltern scheiden lassen. Die Mutter war mit den Kindern in die USA zurückübersiedelt. Dort träumte Marita vom Vater und von der hohen See, die sie immer schon fasziniert hatte. Schließlich gibt die Mutter Maritas Drängen nach; die 15-Jährige kehrt nach Deutschland zurück. Jahrelang durchquert sie nun mit ihrem Vater, dem großen Kapitän, die Meere. Eine Zeit des Glücks für Marita.

Am 1. Jänner 1959 waren die Revolutionäre aus der Sierra Maestra siegreich in der Hauptstadt Kubas, in Havanna, eingezogen. Acht Wochen später geht dort das deutsche Kreuzfahrtschiff ”Berlin“ vor Anker. Alsbald nähert sich eine kleine Schaluppe voll bärtiger Männer dem Ozeanriesen. Kapitän Heinrich Lorenz hält gerade Siesta; seine bildschöne, damals gerade 19-jährige Tochter empfängt die Gäste.

Es gibt ein Foto von diesem denkwürdigen Tag, auf dem der Kapitän und seine Tochter zu sehen sind – und in der Mitte der Anführer der Barbudos (”Bärtigen“), Fidel Castro, die unvermeidliche Zigarre im Mundwinkel. Eine Hand ist unter dem Tisch verborgen. Marita erinnert sich noch gut und auch gern an diese Szene: ”Unter dem Tisch spürte ich plötzlich Fidels rechte Hand auf meiner. Er lächelte, blieb aber ernst. Als er meine Hand drückte, fühlte ich Schmetterlinge im Bauch.“

Marita kehrt mit dem Vater nach New York zurück. Die Eltern hatten nämlich beschlossen, dass die ungestüme Tochter endlich etwas lernen sollte, und sie in einer Buchhaltungsschule angemeldet.

Zwei Tage später klingelt das Telefon, Fidel. ”Mí cielo, ich schicke dir ein Flugzeug.“ Fürwahr ein Mann der Tat, der neue Herrscher über Kuba. Schon tags darauf wird die Alemanita, die kleine Deutsche, wie Fidel sie nannte, von drei Adjutanten des kubanischen Revolutionsführers abgeholt. Für acht Monate wird nun das 24. Stockwerk des ”Havanna Hilton“, in dem auch Fidels Hauptquartier liegt, Maritas Domizil.

Havanna wimmelt zu dieser Zeit von US-Geheimdienstleuten, die sich sogar in Fidels engstes Umfeld eingeschlichen haben. Und die mit der Mafia aus der Batista-Zeit eng zusammenarbeiten.

Im Oktober kehrt Marita zu einer medizinischen Behandlung in die USA zurück. In einer heute noch mysteriösen Entführungsaktion mit Betäubung, hinter der vielleicht die CIA stand, war eine Zwangsabtreibung vorgenommen worden. Als Fidel später davon erfuhr, ließ er den operierenden Arzt erschießen.

In New York empfängt sie ihre Mutter, inzwischen Mitarbeiterin des nordamerikanischen Geheimdienstes, in Begleitung von vier Offizieren. ”Ohne es zu ahnen, betrat ich in diesem Augenblick die schmutzige Welt der CIA.“ Die Geheimdienstler reden Marita ein, Fidel persönlich habe ihre Entführung und die Operation angeordnet.

Im Dezember 1959 genehmigt CIA-Chef Allen Dulles ausdrücklich die ”Beseitigung“ Castros. Die attraktive junge Deutsche wird mit eigens für Fidel präparierten Todespillen nach Havanna zurückgeschickt. Für die Ermordung waren ihr zwei Millionen Dollar auf ein Schweizer Konto versprochen worden. Doch im letzten Moment wirft sie die Pillen ins WC. Fidel: ”Du bist wohl gekommen, um mich umzulegen?“ Marita beichtet ihre Mission und rechtfertigt später ihr Scheitern gegenüber den Vorgesetzten: ”Die Liebe war stärker.“ Fidel und Marita lieben sich in dem Bett, das sein Todeslager hätte werden sollen.

Trotz ihres Scheiterns arbeitet Marita weiter für die CIA. Ihre Vorgesetzten versuchen, mit gefälschten ”Beweisen“ und ideologischer Indoktrinierung ihren Hass auf Castro zu schüren. Doch nach und nach verlieren sie das Interesse an der unberechenbaren Deutschen.

Nach ihrem märchenhaften Abenteuer mit dem ehemaligen Diktator Venezuelas, Carlos Pérez Jiménez (Marita, mit Bezug auf Fidel: ”Die beiden konnten ungleicher nicht sein. Der eine schlank, jung, bärtig, liebevoll, der andere klein, dick, glatzköpfig. Doch eines haben die beiden gemeinsam: ein sehr starkes Ego!“) wird sie mit ihrer kleinen Tochter auf Veranlassung der CIA bei den Yanomami im venezolanischbrasilianischen Grenzgebiet ausgesetzt. Die US-Experten des Geheimdienstes waren überzeugt, dass die Indianer die weißen Frauen auffressen würden! Nach neun Monaten spürt Maritas Mutter den Aufenthaltsort der beiden im Dschungel auf und veranlasst bei der Führung der Agency, dass sie in die USA zurückgebracht werden.

Marita erlebte auch das Attentat auf John F. Kennedy hautnah mit. Sie ist überzeugt, dass ein Hauptmotiv der Ermordung des Präsidenten dessen fehlende Unterstützung der CIA-Söldner bei der versuchten Invasion Kubas 1961 war. Und dass man so nebenbei Kuba die Verantwortung für den Mord auflasten wollte.

In einem Wagen voller Waffen fährt sie mit Lee Harvey Oswald nach Dallas, zusammen mit anderen CIA-Agenten, doch da ihr körperlich nicht wohl ist, fliegt Marita gleich wieder nach Miami zurück.

Als Marita Lorenz Ende der siebziger Jahre vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Kennedy-Mord aussagt, werden ihre eidesstattlichen Erklärungen als ”nicht glaubwürdig“ eingestuft und obendrein verändert.

Nach ihren Aussagen folgen nun schlimme Jahre der Verfolgung mit zahlreichen Anschlägen gegen ihr Leben. George Bush sen. war damals CIA-Chef, wie sie sich heute mit anhaltender Wut erinnert. ”Sie hatten keine Gnade mit mir als Frau und Mutter. Sie haben mein Haus zerbombt, sie haben meine Tochter angeschossen. Einmal habe ich meinen eigenen Mörder getroffen. Ich habe 24 Stunden lang mit ihm um mein Leben gekämpft, dann ist er zusammengebrochen und hat gesagt: I can’t kill one of my own.“

1972 war durch einen Zeitungsartikel Maritas Tätigkeit für den Geheimdienst aufgeflogen; nunmehr stellte die Agency jegliche Zusammenarbeit ein. Und da sie meistens in Geheimoperationen tätig war, erhielt sie auch keine Pension.

Marita lebt heute in New York von der Sozialhilfe. Dort besuchte sie Ende 1998 der deutsche Dokumentarfilmer Wilfried Huismann. Er berichtet, dass er süchtig wurde, als ihm die 60-jährige stundenlang von ihrem Leben erzählte, süchtig nach mehr. Und er beschloss, einen Film mit Marita über ihr Leben zu drehen. Dieser Film – ”Lieber Fidel“ – wird im Herbst in Österreichs Kinos anlaufen.

Immer wenn die Rede auf die Vereinigten Staaten kommt, überschattet ein Ausdruck von Abneigung, ja Abscheu, das sonst so fröhliche Gesicht von Marita Lorenz. Und besonders, wenn der neue Präsident erwähnt wird, für sie der Inbegriff des ”Ugly American“. ”Bush möchte den Kalten Krieg wiederhaben. Die Kriegsmaschinerie läuft schon an. Bush möchte als Held dastehen, da er selbst ein kleiner Knirps ist.“ Sie wird die USA, in denen sie den Großteil ihres Lebens verbracht hat, bald verlassen.

”Ich will wieder nach Kuba gehen. Ich möchte in Amerika alles aufgeben und in Deutschland leben. Ich will Fidel wieder sehen. Er hat gesagt, ich kann zurückkommen und soll ihm helfen, ein Buch zu schreiben. Schließlich habe ich ihm das Leben gerettet.“


Die unglaubliche Lebensgeschichte der Marita Ilona Lorenz ist soeben im Münchener List-Verlag erschienen – erzählt von ihr selbst und ergänzt durch Eindrücke von Filmregisseur Huismann. Ein berührendes, sehr spannendes und höchst brisantes Buch! (280 Seiten plus 48 Fotoseiten, öS 307,–)

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