„Die Liste der Fehler ist lang“

Von Redaktion · · 2008/11

Ahmed Rashid ist Pakistans berühmtester Journalist. Das Gespräch mit dem Buchautor und Taliban-Kenner führte Sven Hansen.

Ahmed Rashid, 60, lebt in Lahore. Er ist Buchautor sowie Korrespondent für Pakistan, Afghanistan und Zentralasien. Sein Buch „Taliban. Afghanistans Gotteskrieger und der Dschihad“ (Titel der deutschen Ausgabe) wurde nach dem 11. September 2001 zu einem internationalen Bestseller. Es wurde in 26 Sprachen übersetzt und verkaufte sich mehr als 1,5 Millionen Mal. In seinem jüngsten Buch „Decent into Chaos“ (Abstieg ins Chaos) beschreibt Rashid die Lage Afghanistans seit dem Sturz der Taliban. Laut dem Autor will sein bisheriger deutscher Verlag Droemer jedoch keine Übersetzung herausbringen, weil das Buch zu düster sei.

Südwind: Herr Rashid, welche Bilanz ziehen Sie sieben Jahre nach dem 11. September 2001 über den so genannten Krieg gegen den Terror?
Ahmed Rashid:
Al Kaida hat seitdem in Süd- und Zentralasien enorm expandiert. Das Netzwerk hat neue Basen, es trainiert europäische Gruppen, was es zuvor noch nie gemacht hat, es trainiert ebenfalls Gruppen in Nordafrika und im Kaukasus. Selbst wenn Al Kaida vielleicht im Irak eine vorübergehende Niederlage erlitten hat, hat es sich in meiner Region stark ausgebreitet.
Die afghanische wie die pakistanische Regierung stehen unter großem Druck einer Taliban- und Al Kaida-Offensive. Nach sieben Jahren sieht dies für die Bush-Regierung nicht nach einer Erfolgsgeschichte aus.

Welche Fehler haben die USA und die internationale Gemeinschaft in Afghanistan gemacht?
Der erste war, dass schon während des Krieges 2001 die US-Regierung die Invasion des Irak plante und vorbereitete. Dies führte zu einem reduzierten Einsatz in Afghanistan: eine unzureichende Zahl von Soldaten und Geld. Zweitens haben die USA die NATO abgewiesen, als diese ihre Unterstützung anbot. So blieb diese bis 2005 draußen.
Ein weiterer Fehler war, dass die Amerikaner den Taliban erlaubt haben, nach Pakistan zu entkommen. Sie haben den Taliban nicht nachgesetzt, sondern den Pakistanern sogar erlaubt, die Taliban versteckt zu unterstützen. Die US-Politik bestand darin, nur die „Araber“ und Al Kaida zu verfolgen. Das war eine sehr engstirnige Politik. Die Amerikaner waren nicht an den Taliban interessiert bis vor etwa 18 Monaten, als sie plötzlich merkten, dass die Taliban wirklich eine Bedrohung für die Karsai-Regierung darstellen. Dabei kann man die Taliban und Al Kaida nicht getrennt betrachten, denn es waren die pakistanischen Taliban, die Al Kaida geschützt haben.
Weiters wurde versäumt, in Afghanistan in Entwicklung und Staatsaufbau zu investieren, in Infrastruktur wie Straßen und Energie, um einen Wirtschaftsboom auszulösen. Auch in die Landwirtschaft wurde nicht investiert, so dass die Bauern sich wieder dem Drogenanbau zuwandten. Es ist eine lange Liste von Fehlern.

George W. Bush betonte immer wieder, der Job der USA sei nicht der Staatsaufbau.
Die Hände der UNO waren zum Großteil deshalb gebunden, weil die USA an einem stärkeren Engagement nicht interessiert waren. Und die Europäer waren nicht stark genug vertreten, um für eine andere Politik zu sorgen. Damals gab es kein Verständnis für das Ausmaß, wie weit der afghanische Staat nach 30 Jahren zusammengebrochen war. Erst nachdem die westlichen Staaten in Afghanistan vertreten waren, haben sie gemerkt, dass sie fast bei Null anfangen müssen. Alles wurde überhastet, weil die Bush-Regierung schon in den Irak blickte.

Welche Fehler wurden auf afghanischer Seite und speziell von Präsident Hamid Karsai gemacht?
Erstens hat Karsai nie die Möglichkeiten erhalten, eine angemessene Zentralregierung zu bilden. Vier Jahre lang haben die USA die Warlords unterstützt und nicht Karsai. Das war eine kriminelle Verschwendung von Ressourcen durch die internationale Gemeinschaft. Denn von 2001 bis 2004 waren die Afghanen nur allzu bereit, mit dieser zusammenzuarbeiten; sie wurde als Befreier willkommen geheißen. Dann hat der Westen sich zweitens überhaupt nicht um die in Pakistan wieder stark werdenden Taliban gekümmert. Das wurde trotz Karsais vieler Warnungen nicht ernst genommen. Und drittens hat der Präsident selbst nicht entschlossen genug gehandelt. Er hätte viel härter mit Korruption und Drogenanbau und -handel umgehen sollen. Jetzt stehen nächstes Jahr Wahlen an und es ist unwahrscheinlich, dass Karsai ausgerechnet dann durchgreift.

Der Westen wollte Afghanistan auf die billige Tour befrieden, indem er die Warlords kooptierte, statt sie zu entmachten.
Es gab damals eine Strategie des stellvertretenden Verteidigungsministers Paul Wolfowitz, den ich Warlord Wolfowitz nenne. Seine Position war, dass die USA keine Bodentruppen in Afghanistan außerhalb der Städte einsetzen sollten. Dort würden die Warlords für Sicherheit sorgen. Deshalb wurden sie von den USA bewaffnet und bezahlt. Dabei sind diese Warlords für das Drama in Afghanistan mitverantwortlich, sie sind in der Bevölkerung verhasst. Sie sorgen nicht für Sicherheit, sondern für Unsicherheit. Die Warlords haben das Geld der USA gern genommen, aber für Chaos gesorgt. Sie sind ins Drogengeschäft verwickelt, in die Kriminalität.

US-Generalstabschef Mullen fordert bereits eine US-Militärstrategie für Afghanistan und Pakistan zusammen. Kann der Krieg in Afghanistan überhaupt gewonnen werden ohne eine gleichzeitige Lösung der Krise in Pakistan?
Das pakistanische Militär hat der afghanischen Taliban-Führung Unterschlupf gegeben. Das ermöglichte den Taliban, sich 2003 neu zu gruppieren, 2005 in die Offensive zu gehen und gegenwärtig diese Erfolge zu erzielen. Zugleich führte dies zur Entstehung der pakistanischen Taliban. Die USA haben Pakistan in den letzten sieben Jahren mit knapp zwölf Milliarden US-Dollar unterstützt. 80 Prozent davon ging an das Militär, doch das konnte die Armee nicht zu einer Änderung der Politik bewegen. Ich glaube auch nicht, dass der Einsatz von US-Bodentruppen in Pakistan zu einer solchen Politikänderung führen wird. Das Militär ist sehr einflussreich in den Medien, den Moschen und in fundamentalistischen Gruppen. Der Druck auf Pakistan funktioniert so nicht. Pakistan darf nicht nur als Teil des Problems, sondern muss auch als Teil der Lösung gesehen werden. Der Konflikt ist längst regional und bedarf somit einer regionalen Lösung. Denn jetzt kämpfen auch kaschmirische Mudschaheddin mit den Taliban oder indische Muslime.

Was könnte Indien zur Lösung beitragen?
Ein talibanisiertes Pakistan ist das letzte, was sich Indien wünscht. Deshalb sollten die Inder verstehen, dass ein stabiles Pakistan in ihrem Interesse ist. Und auf der anderen Seite müssen natürlich die USA mit dem Iran verhandeln, weil der Teil einer Lösung ist. Zur Zeit destabilisiert Iran den Norden und Westen Afghanistans und bewaffnet die Nicht-Paschtunen. Man muss also zum UN-Sicherheitsrat zurückgehen und braucht ein neues UN-Mandat für einen neuen Mechanismus, der Iran, Zentralasien, Indien, Pakistan und Afghanistan einschließt. Alle diese Länder sind Teil des Problems sowie Teil der Lösung.

Sven Hansen ist Asienredakteur der tageszeitung (taz) in Berlin.

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