Die Privatisierung der Inkas

Von Günter Spreitzhofer · · 2002/12

Perus Ex-Präsident Fujimori hat den Ausverkauf des Weltkulturerbes von Machu Picchu 1996 eingeleitet. Ob die neue Regierung Toledo das Inka-Heiligtum wieder bewahren will oder ob ein andines Disneyland droht, wissen wohl bloß die Apus, die Berggötter.

Hiram Bingham, US-amerikanischer Universitätsprofessor zu Yale, kletterte 1911 mehr aus Zufall denn aus Absicht hinauf zu den überwachsenen Ruinen auf 2.400 m. Die heute weltbekannten Inka-Stätten erhielten den Namen des benachbarten Berges, blieben lange ein mythischer Ort der Stille und wurden 1983 von der UNESCO zum Weltkultur- und -naturerbe erklärt. Machu Picchu ist die besterschlossene der unzugänglichen Festungsstädte in der Region Vilcabamba, wo sich so mancher Inka-Herrscher vor den spanischen Konquistadoren erfolgreich verbergen konnte.
Machu Picchu ist längst Fixpunkt jeder Reise nach Peru. Die neuen Eroberer kommen in Scharen – 300.000 Besucher jährlich, per Helikopter, Bahn oder auch zu Fuß. „Der Magie des Ortes kann sich keiner entziehen, weder Naturliebhaber noch historisch oder esoterisch Interessierte“, erzählt Carolyn Bointon, frühere Leiterin des legendären South American Explorers Club in Cuzco.
Tourismus ist Geld. Peru hat kein Geld. Was lag näher, als die Hauptattraktion des notorisch verschuldeten Landes zu privatisieren? 1996 wurden unter Präsident Fujimori die Nutzungsrechte für 30 Jahre der Firma Peru Hotels übertragen, einer Tochtergesellschaft des US-amerikanischen Tourismuskonzerns Orient Express, der internationale Hotels, Eisenbahnlinien, Restaurants und Kreuzfahrten betreibt. Der Konzern verfügt nun nicht nur über die Machu Picchu Sanctuary Lodge oben am Berg, am Eingang zu den Ruinen, sondern auch über den Touristenzug von Cuzco. Und sie hat die Konzession für eine umstrittene Seilbahn direkt zu den Ruinen.

Zum Bau ist es bisher nicht gekommen, wohl aber zu Protesten aller Art: Massendemonstrationen in Cuzco, Protestmärsche entlang der 70-km-Eisenbahnstrecke nach Aguas Calientes – eine schäbige Siedlung am Fuß der Ruinen – und Sabotageakte am Gleiskörper häufen sich. Die Klassenpolitik der neuen Zugbetreiber stößt nicht nur Individualreisenden sauer auf: Nur mehr ein Zug täglich für Einheimische mit Fahrverbot für Ausländer (!), alle anderen zu horrenden Dollarpreisen ausschließlich für TouristInnen. Bis zu 70 US-Dollar (für 70 Kilometer oder vier Stunden Zugreise ab/nach Cuzco), 18 Dollar (für neun Kilometer Serpentinen-Busreise, Bahnhof Aguas Calientes bis zum Ruinengelände und retour) sowie 20 Dollar Eintritt machen den Besuch von Machu Picchu für die meisten PeruanerInnen unerschwinglich. Mehr als ein paar Stunden Zeit wird auch den Besuchergruppen nicht gegeben, die in der Regel am selben Tag gegen 16 Uhr per Zug nach Cuzco zurückgekarrt werden.

2001 lag Machu Picchu immer noch in einem Land, das weiterhin kein Geld, dafür aber ungeduldige Investoren und einen Wahlkampf hatte. 80 Prozent der 26-Millionen-Bevölkerung sind Cholos, PeruanerInnen mit indianischen Wurzeln, die große Hoffnung in die Bewahrung ihrer Tradition setzten. Der japanisch-stämmige Ex-Präsident Fujimori (1990-2000) hatte sich nach einem Korruptionsskandal nach Japan abgesetzt, und der indianisch-stämmige Wahlsieger Alejandro Toledo punktete mit Populismus: er versprach Steuersenkungen, Lohnerhöhungen und eine Million neue Arbeitsplätze für eine Bevölkerung, von der die Hälfte unter der Armutsgrenze lebt.
Einen Tag nach der offiziellen Amtsübernahme Ende Juli des Vorjahres ließ sich der frühere Schuhputzer und Berater der Weltbank in Machu Picchu als Wiedergeburt von Pachacutec, dem legendären Herrscher der Inka, feiern. Drei Priester bereiteten das Hatun Karpay, das große Opfer, aus Koka-Blättern, Mais und Blumen zu Ehren der Apus, der Berggötter.

Nach Fujimoris unrühmlichem Abgang kam Bewegung in die Angelegenheit. Interimspräsident Paniagua verhängte einen Baustopp über den geplanten Hotelkomplex, der heute noch gilt. Das Seilbahn-Projekt wurde Anfang 2001 nach massiven Protesten von UNESCO und dem International Council of Scientific Associations auf unbestimmte Zeit ausgesetzt: Der (wahltaktische) Verzicht auf die Seilbahn bewirkte immerhin die Streichung Machu Picchus aus der Liste der 100 meistgefährdeten Weltkulturgüter durch die ICOMOS (International Council of Monument and Sites) im Juli 2001.
Präsident Toledos Vize, Ramiro Salas, sprach aber bereits im August 2001 wieder offen über das Tabu-Thema. Die nun geplante Routenführung ist dabei noch umstrittener als die alte: Die Talstation würde im extrem murengefährdeten Territorium am Urubamba-Fluss liegen, der für Kraftwerksprojekte demnächst aufgestaut werden soll; die Bergstation sogar inmitten des Ruinengeländes.
Die Warnrufe aus ökologischer Sicht werden lauter. Geologen der Universität Kyoto in Japan erwarten weitere massive Erdrutsche nach den ersten Lockerungen von 1995. Damals wurde die Straße, die in langen Serpentinen 700 Höhenmeter überwindet, teilweise verschüttet: Wasser auf den Mühlen der Seilbahnlobby, die die Dieselbusse ersetzen und weitere 100.000 BesucherInnen mehr zu den alten Kultstätten schaffen will. UNESCO-Berechnungen ergeben, dass sich lediglich 300 Personen gleichzeitig in der altehrwürdigen Anlage aufhalten sollten, um keine dauerhaften Schäden zu verursachen. Geplant ist jedoch eine Erhöhung der Besucherkapazität auf bis zu 2.500 TouristInnen pro Tag.

Das Nationale Kulturinstitut tut sein Möglichstes, um die Einnahmen zu vervielfachen. Selbst der klassische Fußmarsch zu den Ruinen ist längst kommerzialisiert: Der legendäre Inka-Trail ist seit Jänner 2001 nicht mehr frei zugänglich. Machten sich 1984 noch 6.000 PilgerInnen auf den steinigen Weg über einige Bergpässe von 4.000 m, so waren es 1998 schon 66.000. Die letzten 48 Kilometer bis Machu Picchu sind Sperrgebiet für Wanderer, die nicht bereit sind, 170 bis 320 Dollar an Gebühren für Viertages-Touren zu entrichten – offiziell für Wegbenutzung, zur Müllentsorgung, zum Schutz vor Banditen, für Träger, Koch und Guide (die aber nicht unbedingt erforderlich sind). „Das Geld geht nach Lima, wir haben das Wenigste davon“, sagt Pedro Alvarez, Manager einer der 40 Tourveranstalter in Cuzco, die von der neuen staatlichen Management-Agentur die Lizenz für Machu Picchu erhielten.
Der Weg ist nicht sauberer geworden, trotz der (vorgeschriebenen) zwei Führer pro Gruppe. Klappsessel und Klapptische zum Esoterik-Picknick sind im Preis inkludiert. Auch gymnastische Stretchübungen vor dem Intihuana, dem magischen Heiligtum der penibel gepflegten Anlage von Machu Picchu, und der Verzehr von Lunchpaketen zwischen den Tempelanlagen gehören mittlerweile zu einem Besuch in Machu Picchu.
Ob die BesucherInnen bald auf den geplanten Rolltreppen flanieren können, wird den Menschen von Aguas Calientes unten im Tal egal sein: Eintritt verboten, selbst für die sonst allgegenwärtigen SouvenirhändlerInnen und andinen Fotomodelle.
„Mehr Arbeit“ versprechen Präsident Toledos Parolen auf Hausmauern und Zäunen. Machu Picchu hat er offenbar nicht gemeint. Und seine eigenen politischen Höhenflüge sind ungewisser und seine Popularitätswerte tiefer denn je. Führt der peruanische Weg zu den Berggöttern bald über eine Seilbahn?

Der Autor ist Geograph in Wien und staunte kürzlich in den Ruinen von Machu Picchu.

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