Die Überwindung des kurzen Personenkultes

Von Wolfgang Petrisch · · 2022/Jan-Feb

Außenpolitik: Seit Jahren ist der Horizont verengt, Österreichs Ruf beschädigt. Es braucht jetzt eine Kurskorrektur.

Eigentlich hatte die österreichische Bundesregierung in den vergangenen zweieinhalb Jahren mit den Diplomaten Alexander Schallenberg und dem einspringenden Michael Linhart formal professionelle Außenminister wie selten zuvor – Bruno Kreisky und Rudolf Kirchschläger sind bereits 50 Jahre her.

Damit endet bereits der Rückgriff in die Geschichte, denn die fachliche Qualifikation sagt nur wenig aus über den Gestaltungswillen einer Regierung.

Jahrzehnte der Friedenspolitik. In dem halben Jahrhundert zwischen 1970 und 2021 hat sich in Europa so ziemlich alles geändert.

Trotz tektonischer Verschiebungen in den internationalen Beziehungen haben sich zudem Kontinuitäten bewährt. Österreichs Außenpolitik etwa hat seit dem Staatsvertrag von 1955 und dem damit kausal verknüpften Status der Immerwährenden Neutralität gleichermaßen Kontinuität aber auch – spätestens seit dem EU-Beitritt – drastische Einschränkungen erfahren.

Eines war bis vor Kurzem trotz allem konstant geblieben, und zwar in allen Regierungskonstellationen: der breite, gesellschaftlich abgesicherte politische Konsens, dass Neutralitätspolitik stets als Friedenspolitik zu begreifen ist.

Dieses Prinzip hat sich etwa im Kalten Krieg bewährt, als Österreich gemeinsam mit den übrigen europäischen Neutralen und dem paktfreien Jugoslawien in kreativer Weise die Entspannungspolitik mitgestaltet hat. Wenn heute vor einem neuen Kalten Krieg gewarnt wird, dann wäre ein Rückgriff auf bewährte Muster der internationalen Mediation angesagt.

Zäsur mit EU-Beitritt. Friedenspolitik und Multilateralismus haben ebenso das österreichische Engagement bei den Vereinten Nationen ausgezeichnet und Wien als dritten UNO-Standort erst ermöglicht.

Ebenso war die (chronisch unterdotierte) Entwicklungspolitik als ökonomisch-soziale Emanzipationspolitik angelegt. Der Einsatz für Grund- und Menschenrechte in den demokratischen Revolutionen der 1970er Jahre in Griechenland und Spanien, das besondere Engagement für die Anerkennung der Rechte der Palästinenser*innen, auch für die Befreiungsbewegungen von Afrika bis Lateinamerika, bleiben in Erinnerung.

Mit dem Beitritt zur Europäischen Union wurde der außenpolitische Horizont paradoxerweise mutwillig verengt. Gleich von Anfang an wurden die neuen Möglichkeiten einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik für ein mittelgroßes Land wie Österreich zu wenig genützt.

Die umstandslose Abwendung von friedensfördernden Positionen im Nahen Osten oder die skandalöse Kehrtwende beim UNO-Migrationspakt – da wurde die Sprache der Identitären sogar in den ablehnenden Beschluss des Ministerrates aufgenommen – hat Österreichs Position in der Welt geschadet.

Wolfgang Petritsch war EU-Sonderbeauftragter für den Kosovo, EU-Chefverhandler bei den Friedensverhandlungen von Rambouillet und Paris und Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina. Er war ab 2002 Österreichs Botschafter bei der UNO in Genf und von 2008 bis 2013 Leiter der Ständigen Vertretung Österreichs bei der OECD in Paris. Aktuell ist er Präsident der Austrian Marshall Plan Foundation in Wien.

Umwelt- und Klimadiplomatie sind immer noch Fremdwörter im finanziell und personell chronisch ausgedünnten Außenministerium. Sachpolitik wurde vielfach durch „photo opportunities“ und durchsichtige Initiativen ersetzt.

Die kurze Ära Kurz hat voll auf dubiose politische Figuren von Trump bis Netanyahu gesetzt. Die Unterstützung von völkerrechtlich und moralisch zweifelhaften Entscheidungen im EU-Bereich hat Österreichs internationalen Ruf als opportunistischen Akteur untermauert. Verlässlichkeit und Berechenbarkeit schauen anders aus.

Werden zukünftige Außenminister*innen die Chance bekommen, die Fehler der vergangenen Jahre zu korrigieren? Wird Österreich jene Europa- und Außenpolitik-Akzente setzen, die unserem Land den Ruf eines „honest broker“ zurückbringt?

Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Buchtipp:
Wolfgang Petritsch: Epochenwechsel. Unser digital-autoritäres Jahrhundert
Brandstätter Verlag, Wien 2018, 288 Seiten, € 25

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