Die Vermarktung der Traumfänger

Von Christian Weingartner · · 2004/02

Ein Känguru oder ein Dingo, mit einfachen Strichen in Felsen verewigt. Mit Erdpigmentfarben wurde auf diese Weise die Jahrtausende alte Mythologie der australischen UreinwohnerInnen für die Nachfahren erhalten. Diese ersten Felsmalereien sind die Wurzeln der zeitgenössischen Aboriginal Art. Eine Kunst, mit der allerdings andere das große Geld machen.

Als meine Großmutter ein Kind war, wurden sie und ihre Geschwister von den Eltern getrennt und auf verschiedene Missionsstationen verteilt. Sie haben sich nie mehr wiedergesehen“, schildert David Dwura Hudson aus Cairns den Umgang der Weißen zu Beginn des vorigen Jahrhunderts mit den seit rund 40.000 Jahren auf dem Kontinent lebenden UreinwohnerInnen. Auch heute noch sind sie nicht wirklich in die australische Gesellschaft integriert, erhalten oft eine „Sonderbehandlung“. Einige von ihnen leben in den Slumvierteln der Großstädte, etwa in Redfern in Sydney. Ihre Kultur ist aus dem Stadtbild fast verschwunden.
In den urbanen Regionen fühlt sich ein Naturvolk eben nicht wohl, sagen die weißen AustralierInnen. Was sollen die Aborigenes auch in den Großstädten? Wer dorthin kommt, bleibt meist arbeitslos, verfällt dem Alkohol. Nur ein geringer Prozentsatz der UreinwohnerInnen schafft es nach oben. Manchmal sogar mit Studium. Das sind jedoch Ausnahmen. Wie David Hudson, der Musiker, Schauspieler, Lehrer und Maler. Er weiß, dass es in Zukunft nur gemeinsam geht, denn „wir gehören alle derselben Rasse an, der menschlichen Rasse“.

Das North East Arnhem Land im australischen Norden ist Aboriginal Land. Der Zugang ist dort für Weiße nur mit Genehmigung des Aboriginal Council möglich. Auch sonst bekamen die UreinwohnerInnen von der Regierung im vergangenen Jahrzehnt Land zurück. Ein kleiner Schritt vorwärts. Sie halten ihre Traditionen aufrecht, versuchen, die Tränen im Sand zu trocknen und ihren Kampf um Gleichberechtigung im eigenen Land aufrechtzuerhalten. Nur mehr etwa 300.000 Aborigenes leben in Australien, nur mehr wenige in den angestammten Gebieten im Norden oder in der großen Wüste im Westen. Viele sind ghettoisiert. Dabei ist für sie das Land, auf dem sie leben, der Mittelpunkt des Kosmos. Verjagt man sie, fühlen sie sich entwurzelt. Denn sie verwalten das Land im Auftrag der Urahnen, die sich in der Traumzeit in Gestalt von Tieren und Pflanzen offenbaren. Nach dem Tod steigen die Aborigenes ins „Land der hellen Wolkenknochen auf“.
Diese Mythologie findet sich auch in ihrer Kunst, in der sie aber auch das Trauma der Vergangenheit verarbeiten. „Aborigenes malen dennoch nicht, um Rache an ihren Jägern zu nehmen, sondern um die lebendige Schönheit ihres eigenen Überlebens zu erforschen“, sagt Sam Watson vom Aboriginal Institut der Universität von Queensland. Die Kunst der UreinwohnerInnen sei eine Stimme aus dem Schatten der Vergangenheit, eine Stimme, die herausschreie, um gehört zu werden.

Zeitgenössische Aboriginal Art ist noch jung, höchstens dreißig Jahre alt. Die Aborigenes denken ganzheitlich. Jedes Objekt in der Natur hat auch seinen eigenen Charakter. Aborigenes-KünstlerInnen von heute wenden neben der alten Technik derRindenmalerei auch moderne Techniken wie Acrylmalerei auf Leinwand, Druckgrafik oder Fotografie an. Und Aboriginal Art ist gefragt, bekommt auf dem internationalen Kunstmarkt einen immer höheren Stellenwert. Die ureigene Symbolik in den Bildern fasziniert: Kreise, die etwa Wasserlöcher oder Zeremonienplätze bedeuten, Wellenlinien, die wiederum Wasser, Regen oder Regenbogen symbolisieren oder Halbkreise mit Punkten, die Sitzende an einem Feuer darstellen.
Sie nennen sich „Kunstberater“, verteilen in Aborigenes-Gegenden bespannte Leinwände an die Künstler, dazu Farben, Pinseln und Stifte. Zusätzlich gibt der Kunstberater so genanntes „tucker money“ (Taschengeld) als Vorauszahlung für den späteren Verkauf. Meistens sind es 50 Dollar pro Bild. Beim nächsten Besuch holt der Kunstberater die fertigen Bilder ab, um sie Galerien anzubieten, die damit dann das große Geld machen.
Die KünstlerInnen selbst sehen nur wenig davon, wenngleich sie entscheiden können, ihre Bilder direkt zu verkaufen oder einen Kunsthändler zu beauftragen. Doch welcher Aboriginal kann es sich schon leisten, zusätzlich zum Akt des Malens auch noch Galerien oder Privatkunden im Land abzuklappern? Die wichtigsten Aboriginal-KünstlerInnen kommen aus Arnhem Land, der Wüste des Northern Territory, den Kimberleys und dem Norden Queenslands. Etwa Michael Nelson Jagamara, George Milpurrurru, Emily Kame Kngwarreye oder aus der jüngeren Generation Leute wie Trevor Nickolls oder Samantha Hobson.
Die Technik ist regional unterschiedlich. In Arnhem Land ist die Herstellung der Materialien aus der Natur ebenso wichtig wie das Malen selbst. Verwendet werden spezielle Ockerfarben.

Der erste Querschnitt von Aboriginal Art in Österreich wurde im Jahr 2001 in der Sammlung Essl in Klosterneuburg gezeigt. Karlheinz Essl weiß um die Aussagekraft dieser Bilder: Seine Auswahl, die er mit Hilfe des Kurators Michael Eather aus Brisbane gestaltete, zeugt von Einfühlsamkeit und Respekt gegenüber der Kunst der UreinwohnerInnen, die nicht jeder Galerist besitzt.
Wie so oft haben in Sachen Kunstvermarktung die US-AmerikanerInnen die Nase vorne. In den Vereinigten Staaten existiert bereits eine Reihe von Galerien, die ausschließlich Aboriginal Art anbieten. Sie haben den Trend der Zeit erkannt, wissen, dass im etwas stagnierenden amerikanischen und europäischen Kunstbetrieb Neues gefragt ist. Fremdartiges, Ungewöhnliches, Faszinierendes: eben die Kunst der Aborigenes. Damit kann man nicht nur die Erwartungen der SammlerInnen erfüllen, sondern auch ordentlich absahnen. Während so mancher Aboriginal-Künstler mit Kleingeld abgespeist wird, werden diese „paintings“ in US-Galerien bereits um bis zu 180.000 Dollar pro Bild angeboten. Zahlungskräftige Kunden gibt es immer. Ob sich jene auch Gedanken über die Entstehung der Bilder machen?
Zweifellos trägt die Aboriginal-Art heute zu einem neuen Selbstverständnis der australischen UreinwohnerInnen bei. Und gleichzeitig könnte ihr Wissen eine Überlebenschance für die ganze Welt darstellen. Wie sagte Mandawui Yunupingu von der Ethnopopgruppe „Yothu Yindi“ aus dem Arnhem Land, die übrigens die Eröffnungsmusik bei den Olympischen Spielen in Sydney 2000 gestaltete: „Die Zeit läuft uns davon. Unsere Generation hat vielleicht die letzte Chance, die Erde zu retten. Aber ich schaue in die Zukunft und hoffe, dass eines Tages die Zeit kommen wird, in der die Aborigenes und die Weißen voneinander lernen wollen.“ Details dazu liegen in den Malereien versteckt. Genaues Hinsehen ist notwendig und ein Bewusstsein, das die UreinwohnerInnen in allen Bereichen gleichberechtigt.

Der Autor studierte Publizistik und Sportwissenschaften in Salzburg, wo er als freier Journalist und Autor lebt. Schwerpunkte: Kultur, Reisen, Eine Welt. Mehrere Buchveröffentlichungen, zuletzt: „Der Traum der Regenbogenschlange“ – Australische Tex

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