Ein Mensch in seinem Widerspruch

Von Werner Hörtner · · 2000/07

Die Hauptfigur in Peter Henischs neuem Roman „Schwarzer Peter“ ist genau so anders wie jeder Mensch auch ein anderer ist, also ein Mensch wie du und ich. Dem Autor ist ein groß angelegter Bildungsroman gelungen, der ohne jegliche Schwarz-weiß-Malerei die Welt der alltäglichen Vorurteile durchleuchtet. (Siehe auch die Rezension auf S.44.) Mit Peter Henisch sprach Werner Hörtner.

FRAGE: Wie sind Sie eigentlich zu dieser Geschichte vom „schwarzen Peter“ gekommen? Meines Wissens nach spielen ja die Kinder von dunkelhäutigen Besatzungssoldaten der Nachkriegszeit in der österreichischen Literatur keine Rolle.

HENISCH: Ich habe, am Donaukanal spazieren gehend, einem guten Freund aus meiner Kindheit erzählt und habe bemerkt, wie stark für mich immer noch die Faszination ist, die von dieser Gegend ausgeht. Dann habe ich zu schreiben begonnen, und das erste Bild, das mir einfiel, war das eines Kindes, das am Donaukanal sitzt und ein Holzschifferl am Papierspagat hält. Das Schifferl fährt davon, und die Mutter sagt dem Buben, er soll nicht weinen, er soll sich schnäuzen und soll sich freuen, dass sein Schifferl eventuell ins Schwarze Meer fährt. An dieser Stelle ist es mir evident geworden, wie ein Geistesblitz, dass der Bub schwarz ist oder mehr oder minder schwarz, also ein Besatzungskind, Sohn eines GI und einer Wiener Straßenbahnschaffnerin. Die Idee vom „schwarzen Peter“ hat sich dann daran geknüpft.

– In dieser Zeit der Kindheit und Jugend des „schwarzen Peter“, also in den 50er- und 60er-Jahren, waren die Vorurteile ja noch in einer ziemlich sanften Variante ausgeprägt. Wenn man heutzutage mit dunkelhäutigen Bewohnerinnen und Bewohnern Österreichs spricht, so bekommt man ganz andere Geschichten zu hören. Worin liegt Ihrer Meinung nach der Grund für diese so signifikante Veränderung der Situation in einer relativ kurzen Zeitspanne?

Ja, das Verhaltens der Hiesigen den so genannten Fremden gegenüber hat sich insgesamt verschlechtert. Das hat verschiedene Gründe. Erstens, so glaube ich, dass in der Zeit, zu der sich Österreich als – mit Augenzwinkern – neutraler Vorposten der westlichen Welt gegenüber dem so genannten Ostblock gefühlt hat, da war das Erscheinen von Flüchtlingen ja immer eine Bestätigung für die österreichisch-westliche Seele. Zum zweiten sind die dunkelhäutigen Menschen, also die so genannten Schwarzen in allen möglichen Schattierungen, früher relativ selten aufgetreten, und als Besatzungssoldaten waren sie ja gewissermassen Autoritäten, denen hat man nicht so gegenübertreten können wie heute Zuwanderern, die sofort zu unerwünschten Personen erklärt werden. Weiters gibt es heute wesentlich mehr Zuwanderung als damals, das hängt mit der gesamteuropäischen und der globalen Situation zusammen, und die so genannten Schwarzen sind ja die deutlichsten Fremden, die können ihr Fremdsein am wenigsten verbergen.

Dieses ‚Mir san mir, und die san die anderen‘ – dieses falsche Feeling ist eigentlich das Grundthema des Buchs.

– Mit welchen Maßnahmen könnte Ihrer Meinung nach diese Entwicklung der zunehmenden Ablehnung des und der Fremden wieder rückgängig gemacht werden?

Das ist Kleinarbeit. Man muss versuchen, Verständnis für jene so genannten Anderen zu wecken, und zwar so, dass man klarmacht, genau das, was ihnen jetzt passiert, könnte uns in einer etwas veränderten Situation auch geschehen. Drum war es mir sehr wichtig, im Buch, das natürlich als literarisches Werk auch andere Anliegen hat, dieses politische, humane Anliegen rüberzubringen, das ganz schlicht und einfach besagt: dieser „Schwarze“ ist ein Mensch wie du und ich. Und dennoch war für meine Romanfigur, als sie nach 20-jährigem freiwilligen Exil von New Orleans wieder nach Österreich zurückkehrt, die Fremdenpolizei zuständig, auf Grund einer einfachen Verwechslung.

– Ihr Metier ist ja die Sprache und die Kraft und die Bedeutung der Wörter. Wie gehen Sie damit um, wenn ein Wort so eindeutig negativ belegt ist wie schwarz: schwarzsehen, schwarzfahren, Schwarzhändler usw. Sollte man versuchen, die Sprache in einem ideellen Sinn zu reinigen, um dadurch vielleicht auch Vorurteile abbauen zu können?

Ich glaube, das ist sehr schwierig. Was möglich wäre, ist meiner Meinung nach, dass man die lange Zeit in den Köpfen der Österreicher herumspukende Idee, wir sind ein Land, in das alle gerne kommen, bei uns treffen sich die Leute und können sich, wenn sie wollen, auch gerne integrieren, dass man diese Idee stärkt. Das ist aber natürlich sauschwer, nachdem so vieles ruiniert worden ist in den letzten Jahrzehnten.

Ich habe den Eindruck, dass Bosheit und Dummheit in Österreich wieder gewachsen sind, einerseits auf Grund von Vernachlässigung, weil man die Idee einer Volksbildung im schönsten Sinne des Wortes fallen gelassen hat. Und zweitens gibt es neben der „Kronenzeitung“ ja auch Medien, die ihren Bildungsauftrag relativ gut erfüllen – verglichen z.B. mit privaten Fernsehanstalten -, aber es läuft darauf hinaus, dass die Leute eher den aggressiven Scheiss anschauen als dasjenige, das Ideen rüber bringt, die das Zusammenleben zwischen Menschen anders zeigen.

Man hat ja einiges versucht in dieser Hinsicht nach 1945, aber spätestens seit 1985 sind die guten Vorsätze, die man gehabt hat, zurückgewichen hinter wirtschaftliche Argumente; es ist ein Verteilungskampf, der da weltweit geführt wird, und dabei geht es nicht nur um schwarz und weiß oder EU und Nicht-EU, sondern um reich und arm, und wir gehören, ob wir wollen oder nicht, eben zu jenen, die sich da verteidigen oder sich verteidigen zu müssen glauben. Auf die Dauer wird das sowieso nichts nutzen.

Ich denke, die Literatur und alternative Initiativen und Medien, solche Kreise wie amnesty international, wie Südwind und alles, was in diese Richtung geht, die müssen eben versuchen, obwohl sie zweifellos in der Minderheit sind, die Sensibilität für die Möglichkeit des Zusammenlebens mit den „Anderen“ zu stärken.

– Mich hat die relativ positive Akzeptanz des Militärdienstes durch den „schwarzen Peter“ überrascht. Ich habe dabei bemerkt, dass ich selber einem Vorurteil aufgesessen bin, der Vorstellung nämlich, er müsse gerade wegen seines offenkundigen Andersseins auch anders denken und handeln als seine durchschnittlichen Landsleute, irgendwie besser, auf moralisch höherer Stufe sozusagen.

Ja, das wäre tatsächlich auch ein Vorurteil. Ich wollte einen Menschen zeigen, dem alles Mögliche passieren kann, eben wie anderen auch. Das hat nicht nur didaktische Gründe, sondern gründet auch in eigenen literarischen Vorlieben. Ich wollte keinen spektakulären Roman schreiben, in dem dem „schwarzen Peter“ von Anfang bis zum Ende nur Vorurteile entgegenschlagen, mit denen er nicht fertig wird. Es schlagen ihm „nur“ die ganz normalen Vorurteile entgegen, und er wird mehr oder weniger gut fertig damit. Er erlebt ja auch Sympathien gerade wegen seiner Hautfarbe, und das hat er sichtlich nicht ungern, wie sollte er auch. Das ist eine Möglichkeit, geliebt zu werden. Man muss aber bedenken, dass das sehr häufig das andere Ende der Anti-Haltung ist.

– Das Handeln des „schwarzen Peter“ in existentiellen Konfliktsituationen scheint manchmal jeder menschlichen Vernunft entzogen, etwa sein Verlassen der Familie oder sein Verhalten zum Freund-Feind Reiter. Da habe ich mich gefragt: Will der Autor damit sagen, dass solch schicksalhaftes irrationales Verhalten Teil der condition humaine, des menschlichen Wesens, ist – oder ist es eben ein Spezifikum der Hauptfigur des Romans?

Ich glaube, dass Romane gut sind, oder zumindest mir gut gefallen, wenn sie nicht konstruiert erscheinen und wenn die Leute eben so reagieren, wie Menschen im Alltagsleben auch. Auch wenn es in meinen Romanen immer wieder um Außenseiter geht, um Spinner, um Fremde oder was auch immer. Aber dennoch sind auch sie ganz „normal“, als sie eben nicht nur rational oder ideal reagieren. Der „schwarze Peter“ hat eben immer wieder das Gefühl, dass sein Leben nicht stimmt und dass er irgendwie einen Schritt daraus machen muss, das ist ein Entschluss, den man eben nicht nur mit Vernunft fassen kann, der auch aus dem Bauch kommen muss. Er ist eben auch ein Mensch in seinem Widerspruch, wie es bei Goethe heisst.

– Vielen Dank für das Gespräch.

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