Ein Volk schlägt sich durch

Von Peter Böhm · · 2000/10

Ein Leben im Kongo ist eher ein Überleben unter sehr schwierigen Bedingungen. Viele Menschen sind verunsichert und glauben, dass der Staat ausgedient hat.

Der Präsident des kongolesischen Kleinunternehmerverbandes (COPEMECO) bemüht sich selbst, höchstpersönlich. Im hellen Anzug, die Hosenträger passend zur farbig-eleganten Krawatte lässt es sich George Bukasa nicht nehmen, drei mittlere Unternehmen in Kinshasa persönlich vorzuführen. Er hat selbst einen Konditorbetrieb und will einmal zeigen, „unter welchen Bedingungen wir hier arbeiten“.

Im Groben sind die Rahmenbedingungen ja bekannt: ein Krieg, der nach Schätzungen 90 Prozent der Staatsausgaben frisst, 100 Prozent Inflation im ersten Halbjahr 2000 und ein Schwarzmarktkurs des US-Dollars, der um ein Dreifaches über dem offiziellen Umtauschkurs liegt.

Aber das ficht Bukasa nicht an, und das meint er auch nicht. Vom Staat hat man im Kongo ohnehin nichts zu erwarten. Es geht ihm darum, sagt er, zu zeigen, „wie wir die Bedingungen meistern“.

Bukasa ist gelernter Journalist und im Konditorei-Metier nur Quereinsteiger. 1972 machte er ein Diplom als Zeitungsmann, in den 80-er Jahren leitete er zusammen mit einem Libanesen eine Konditorei und übernahm dann, nachdem der ausstieg, den Betrieb in Eigenregie. „Solche Biographien werden sie bei unseren Kleinunternehmern häufig finden. Das ist typisch. Als Unternehmer wird in Afrika keiner geboren.“

Als ersten Betrieb hat er eine Werkstatt für Motoren in Kinshasas Innenstadt-Gemeinde Kasavubu ausgesucht. Hinter einem unmarkierten Tor befindet sich ein kleiner Hof. Nach dem Namen des Betriebes muss man fragen. Er heißt nach seiner Besitzerin „Veronique Polyton“. Er hat 32 Angestellte, sagt der Geschäftsführer Hegel Nzolani. Aber es wurde schon beschlossen, zehn davon zu entlassen. „Wir hatten Kundschaft im gesamten Kongo“, gibt Nzolani als Grund an. „Jetzt kommt aus dem Osten und dem Norden nichts mehr zu uns durch.“

Die Werkstatt repariert alle Motoren von Traktoren, und natürlich Lkws, bis zu Motorbooten. Alle Maschinen wurden vor Jahren aus Europa importiert. „Es gibt nichts, was wir nicht reparieren könnten.“, sagt Nzolani selbstbewusst.

Devisen bekommt man in der Bank keine, der Staat braucht sie selbst. Also muss man sie auf dem Schwarzmarkt kaufen, zu einem erhöhten Kurs. „Das steht außerhalb unserer Möglichkeiten“, sagt Nzolani und wischt sich über die schweißbedeckte Stirn. „Es ist schon lange her, dass wir etwas eingeführt haben.“ Am ärgerlichsten sind für die Firma jedoch die „Gängeleien der Behörden“. „Fast ein Dutzend verschiedene Ämter wollen Abgaben von uns“, sagt Nzolani mit einem Lächeln. „Wer weiß, wo sie oft herkommen. Mit Steuern für Kultur und Kunst! Und wer weiß, ob das überhaupt mit ihren Chefs abgestimmt ist. Aber wir müssen bezahlen.“

Da das Geschäft im Augenblick so schlecht läuft, hat sich Veronique Polyton noch auf einen weiteren Zweig verlegt. Ein Container wurde gekauft, in dem Nahrungsmittel gekühlt werden können. „Das müsste besser laufen“, sagt Nzolani, „denn Essen müssen die Leute ja immer.“

Bukasa, dessen Konditorei („Das goldene Croissant“) der nächste Betrieb auf der Liste ist, berichtet, er habe wegen der Gängeleien mit dem Amt seines Viertels vereinbart, dass alle, die Abgaben eintreiben, sich dort einen Stempel geben lassen müssen. „Das hält schon einmal die meisten Abenteurer ab“, sagt er mit Befriedigung.

Aber vor ihnen sicher ist man dadurch auch nicht. Belustigt erzählt er in seinem mit Fachbüchern voll gestellten Büro, dass die Staatsanwaltschaft von Kinshasa vor ein paar Wochen gedroht habe, ihn zu verhaften, wenn er nicht die Steuern für eine Maschine bezahle. „Die Maschine hatte ich vor über zehn Jahren gekauft. Wahrscheinlich hat mein Nachbar mit denen zusammengearbeitet.“ Bukasa mobilisierte daraufhin Menschenrechtsorganisationen und einheimische Zeitungen. „Die Untersuchungsrichterin hat daraufhin Angst bekommen und den Fall eingestellt“, so Bukasa. „Aber andere Leute, die diese Verbindungen nicht haben, können dagegen nichts machen.“

Dann führt er durch seine Großbäckerei. Fast alle seiner Maschinen, die von Männern in zugeschneiderten Mehlsäcken bedient werden, sind im Kongo hergestellt. Stolz deutet Bukasa auf einen metallenen Küchenschrank, in dessen Inneren glühende Drähte verlaufen: „Das ist der Ofen, in dem die Kekse gebacken werden.“ Bukasa verhehlt nicht, dass es schwierig ist, sich gegen die Konkurrenz aus dem fernen Osten durchzusetzen: „Ihre Kekse haben eine bessere Qualität, und sie sind oft sogar billiger.“

IN= Woher kommt dieses afrikanische Paradoxon, dass die Löhne so niedrig sind, aber die Preise für Fertigwaren so hoch? „Die hohen Transportkosten“, sagt Bukasa. „Wenn sie bei uns Weizenmehl kaufen, dann wissen sie, wovon ich rede.“

Um zum letzten Betrieb, der Seifenfabrik Savuna Congo, zu kommen, muss man nach der Stadtautobahn noch einmal zwanzig Minuten auf unbefestigten Wegen durch ein Wohnviertel fahren. Die Fabrik wurde 1990 in einem Wohnhaus gegründet. Im Hof sind gerade 30 Angestellte anwesend, 30 weitere werden zur zweiten Schicht in der Nacht kommen. Sie rühren in ausgemusterten Metalltonnen, die über dem offenen Feuer stehen. Der Geruch und die Hitze sind unerträglich, und die schmutzigen Männer in dem rauchenden Inferno wirken wie Menschen aus dem Mittelalter, als kostbare Metalle noch unter Gefahr des Lebens an geheimen und mysteriösen Orten zusammengebraut wurden. Die Arbeiter kochen aus dem roten Palmöl Seife, und streichen die Paste dann auf dem glatten Boden im Werkraum aus. Die getrocknete Masse wird dann drei Mal durch einen Seifenwolf gedreht, bevor sie in einen Plastiksack gesteckt wird.

„Die größte Unsicherheit für unseren Produktion“, sagt der Geschäftsführer Barthelemie Toto, „kommt durch die schwankende Umtauschrate zum US-Dollar.“ Den Preis des Endproduktes passen sie nicht jede Woche dem gefallenen Kurs an. „Das würde unsere Kunden abschrecken“, sagt Toto. „Wenn wir Parfum und Duftstoffe eingeführt haben, müssen wir die zusätzlichen Produktionskosten schon an die Verbraucher weitergeben, aber nur sehr zögernd.“

Auch die Angestellten verdienen nicht nach dem offiziellen Dollar-Kurs, der um ein Drittel unter dem des parallelen Marktes liegt. Und sie können sich wohl glücklich schätzen, dass sie die Arbeit in der Seifenfabrik haben. So bleiben sie vor der Verarmung, wie sie die Staatsangestellten erleben, einigermaßen verschont.

„Das Gehalt eines Beamten deckt die Kosten von zwei, drei Tagen eines Monats.“, sagt Amigo Ngonde von der Menschenrechtsorganisation ASADHO. „Am Morgen kommen sie für eine Stunde ins Büro. Die meisten gehen dann noch zu einem zweiten oder dritten Job. Oder sie haben ein kleines Feld.“ Deshalb spricht ASADHO in seinem neuesten Report davon, dass “ ein ganzen Volk zu Landstreichern gemacht wird“.

Mputu Mbayas Mann ist ein kleiner Beamter im Ministerium für Soziales und Kultur. Nach dem augenblicklichen Schwarzmarkt-Kurs verdient er sieben Dollar im Monat, oder besser gesagt, würde er verdienen, wenn er nicht – wie fast alle Staatsangestellte – schon seit drei Monaten auf sein Gehalt warten müsste. Sie lebt mit ihm und sieben Kindern in der Gemeinde Masina, im Osten Kinshasas. Von halb sechs Uhr morgens bis acht Uhr abends steht sie an einem Stand an der Straße und verkauft Brot, Gemüse und Süßigkeiten. „Wir haben nichts gegen den Präsidenten Laurent Kabila“, berichtete die 36-Jährige mit Ärger in der Stimme. „Wir wollen nur, dass es Ruhe im Land gibt, dass der Krieg aufhört, dass die Kinder in die Schule gehen können, und dass wir genügend zu Essen haben.“

„Genügend“ haben sie im Augenblick nicht. Die Mbayas essen einmal am Tag – am Abend, damit sie schlafen können. Am Morgen verlassen alle hungrig das Haus. Zwei ihrer kleinen Kinder gehen in die Grundschule um die Ecke, eine der besseren in Masina, wie der Rektor Jean Pierre Kabongo versichert. Anhänger der „Heiliges Licht“-Freikirche, die auch die Schule betreibt, haben fast den gesamten Pausenhof mit Maniok bepflanzt. Die Lehrer werden vom Staat bezahlt. „Sie unterrichten meistens in drei oder vier Schulen“, berichet Kabongo. Von den Eltern bekommen sie nur eine so genannte „Motivierung“ – rund ein Viertel ihres Gehaltes, dazu gedacht, dass sie auf ihrem Weg zur Schule öffentliche Verkehrsmittel benutzen können.

In der Schule ist die Wirtschaftskrise unübersehbar. In den Räumen der Volksschule gibt es keine Tische und Bänke. Manche Kinder müssen am Boden sitzen. Manche bringen einen Stein mit, andere einen Holzblock, berichtet der Rektor, um sich darauf zu setzen. Und Kabongo kann an der Statistik deutlich ablesen, dass sich die wirtschaftliche Situation der Familien dramatisch verschlechtert hat. Anfang der 90er-Jahre , berichtet er, seien hier noch 600 Kinder in die Schule gegangen. Heute sind es 200. „Die Kinder sagen uns oft, dass sie krank sind. Aber wenn man dann ein bisschen nachfragt, kommt heraus, dass sie oft schon lange nicht mehr gegessen haben.“ Sie werden meist zu Hause am Feld gebraucht und nur wenige Familien können es sich leisten, ihre Kinder in die Schule zu schicken.

Ein Volk schlägt sich durch. „Sich durchschlagen“ (se débrouiller), ist im Kongo das geflügelte Wort, für das Überleben unter Bedingungen, unter denen Leben schwierig ist. Es fing im Zaire Mobutus an, als die Krankenhäuser keine Medikamente mehr hatten, die Beamten nicht mehr bezahlt wurden, der Müll sich in den Straßen stapelte, die Schulen verfielen und die Inflation so hoch war, dass das Geld zum Spielgeld wurde. Und die wirtschaftliche Situation im Kongo heute hat sich nach allgemeiner Meinung noch verschlimmert.

„Der Staat hat abgedankt“, sagt deshalb ein Vertreter der FOLECO. In diesem Verband haben sich mehrere tausend Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) zusammengeschlossen, die nun die Aufgaben übernehmen, die eigentlich der Staat machen sollte. Sie säubern Abwassergräben, sammeln Müll, legen Gärten an, alles auf der Basis von Nachbarschaftshilfe oder mit der Unterstützung von Gebern.

Peter Böhm ist Afrika-Korrespondent der Berliner Tageszeitung „taz“ und bereiste kürzlich die Demokratische Republik Kongo.

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