Einblick in eine islamische Dating-App

Von Ramin Siawash · · 2023/Jan-Feb
Viele muslimische Paare müssen sich heimlich treffen, bis die Eltern das OK geben. © Indu Harikumar

Der afghanische Journalist Ramin Siawash hat sich bei der größten islamischen Online-Dating-App Muzz angemeldet und berichtet von der Partner:innensuche unter muslimischen Menschen.

Muslims don’t date, they marry: Das ist der Slogan von Start-up-Unternehmer Shahzad Younas und der von ihm gründeten App Muzz. Weil es seiner Meinung nach an Kennenlern-Plattformen für gläubige muslimische Menschen mangelte, entwickelte er schon 2011 die Website muzmatch.com mit dem Anspruch, „halal“ zu sein, also in Übereinstimmung mit islamischen Werten. „Als praktizierender Muslim wollte ich anderen helfen, Partner fürs Leben zu finden und gründete eine Plattform, bei der es auch tatsächlich um die Ehe geht“, sagt er über seine Motivation und die Ziele.

Der Pakistani studierte in England Computerwissenschaften und arbeitete zunächst als Banker. 2015 hängte er seinen Job mit sechsstelligem Jahreseinkommen an den Nagel, um Muzmatch zu starten, zuerst als Website, dann als App.

2022 musste die Applikation umbenannt werden und hieß fortan Muzz. Initiiert wurde der Rechtsstreit vom US-amerikanischen Konzern Match Group. Trotzdem wurde die App ein Erfolg und ist derzeit die größte für Muslim:innen weltweit.

Daten verboten. In vielen streng islamischen Ländern wie Pakistan, Saudi-Arabien, Tadschikistan oder Afghanistan gilt die Online-Partner:innen-Suche, z. B. über Muzz, obwohl sich die App selbst als „halal“ bezeichnet, als „haram“ – als Verstoß gegen den Islam, wie ihn die Taliban oder andere Hardliner auslegen: Frauen dürfen nicht mit Männern ihrer Wahl in Kontakt treten, Ehen werden traditionell von den Eltern bzw. anderen Familienangehörigen arrangiert.

Auch im Iran ist die Online-Partner:innensuche verboten. Mit einer Ausnahme: 2021 hat das staatliche Kulturinstitut Tebyan, einer der größten Propagandamaschinen der Islamischen Republik, die App „Hamdam“ (dt. Gefährte) lanciert, über die 100 professionelle Eheberater:innen „nach islamischen Prinzipien“ die Vermittlung von Ehepartner:innen ermöglichen sollen. Sie stehen ihnen auch nach der Heirat mit Rat zur Seite.

Das Ziel der iranischen Behörden dahinter: eine Steigerung von Eheschließungen sowie der sinkenden Geburtenrate entgegenzuwirken.

Aktuell sind auf Muzz sechseinhalb Millionen Mitglieder registriert, die auf der ganzen Welt in 14 Sprachen, von Arabisch bis Holländisch und Deutsch bis Hindi, kostenlos nach Ehepartner:innen suchen können. 250.000 Paare sollen schon nach dem Kennenlernen per App geheiratet haben, täglich kämen rund 500 Matches dazu, so Younas. Viele davon sind jung und leben in der Diaspora.

Religiöse Praxis gefragt. Wer sich bei Muzz auf Partner:innensuche begeben will, muss wie bei anderen Plattformen zuerst den Registrierungs-Prozess durchlaufen. Die Angaben, die zu machen sind, und die Gestaltung sind allerdings stark auf den religiösen und kulturellen Hintergrund der Zielgruppe ausgerichtet.

Nach dem Eintippen von Geburtsort und -datum wird man mit den Worten „Salam und willkommen bei Muzz!“ begrüßt. Ein neues Fenster verspricht dann: „Erzähl uns mehr über dich und wir stellen dir – inschallah – tolle muslimische Menschen in deiner Nähe vor.“

Dann folgen die Glaubensgruppen. Auszuwählen sind die Antworten: „Sunnite, Schiite, Ahmadi, Ibadi, Ismaili und Sonstiges“, aber auch „Mache lieber keine Angabe“.

Nach Informationen zum Beruf geht es weiter mit: „Was ist deine kulturelle Identität?“ Anzukreuzen sind u. a.: Arabisch, Ostafrikanisch, Afroamerikanisch, Nordamerikanisch, Europäisch, Latino oder auch „gemischtes Erbe“. Nach diesen Kriterien ethnischer bzw. geografischer Zugehörigkeit kann dann auch gezielt gesucht werden.

Dann geht es weiter mit Heiratsplänen, der Bereitschaft umzuziehen, der Ausübung der religiösen Praxis und dem Bildungsniveau.

Beschützer:innen-Funktion. Wer die Verifizierung der Echtheit des Profils erfolgreich hinter sich gebracht hat, muss noch unterschreiben und dann kann es losgehen.

Fast. „Muzz ist eine Plattform für all jene, die auf der Suche nach dem perfekten Ehepartner sind. Bleib halal. Bitte halte dich an die islamische Etikette und befolge unsere Richtlinien. Bei unangemessenem Verhalten wird dein Konto dauerhaft blockiert. Jazakallah (dt. „möge Gott dich belohnen“). Wir überprüfen dein Profil“, wird den User:innen noch mit auf den Weg gegeben.

Auch die Funktionsweise von Muzz ist etwas anders als bei anderen Portalen: Geswiped – hin- oder her gewischt – wird hier nicht: Anstelle dessen kann man die nacheinander erscheinenden Profilfotos per Fingerdruck auf ein großes X auf der linken Seite „überspringen“ oder auf ein Herz auf der rechten Seite „liken“.

Frauen können ihre Fotos verschwommen erscheinen lassen. Erst wenn der Mann sie „liked“, sieht er das Originalbild.

Und optional kann man im Chat eine dritte Person einladen, die, wie im analogen Leben auch, als „Wali“ eine Beschützer:innen-Funktion einnimmt.

Persönliches Treffen. „Es war nicht einfach. Sie hat mich einen Monat lang hingehalten, bis ich sie persönlich sehen konnte“, erzählt Noor über sein Kennenlernen mit Shahida, das auf Muzz nur den Anfang nahm.

Die zwei ca. 30-jährigen Afghan:innen Noor und Shahida leben in Deutschland. Ihre Namen wurden von der Redaktion geändert. Denn: Ihren Eltern haben sie nicht gesagt, dass sie sich online über Muzz kennengelernt haben, sondern über eine gemeinsame Bekannte.

„Ich habe mit Noor ein Treffen in einem Kaffeehaus an einem belebten Bahnhof ausgemacht“, fährt Shahida fort. „Ich bin mit einer Freundin hingekommen, weil ich auch ihren Eindruck von ihm wissen wollte. Aber wir haben uns beide versteckt gehalten und ihn nur beobachtet“, verrät sie. Schließlich befanden ihn die zwei für gut, gingen aber wieder, ohne sich gezeigt zu haben.

Erst beim nächsten Date kam es zu einem tatsächlichen Zusammentreffen, aber auch da war eine Freundin von Shahida dabei. Noor gefällt an Shahida, dass sie klug ist und so wie er den Islam praktiziert, sagt er. „Sie will zu 100 Prozent ‚halal‘ leben“, fügt er hinzu und er respektiere das.

Vor Kurzem durfte er bei ihren Eltern vorstellig werden. „Ich muss ihre Erwartungen erfüllen und Shahida sowohl emotionale als auch finanzielle Sicherheit geben, sie respektvoll behandeln und einen ‚halal‘-Lebensstil führen“, sagt er.

Erst wenn die Eltern es erlauben, darf geheiratet werden. Shahida, die zwar die erste Auswahl via Muzz selbst getroffen hat, meint, dass ihre Eltern diese respektieren und hofft wie Noor auf ihr OK.

Das kann allerdings ein Jahr dauern, bis dahin treffen sich die beiden heimlich – aber offline.

Ramin Siawash lebt seit 2015 in Wien. Er arbeitet beim Österreichischen Jugendrotkreuz beim Projekt #weiterlernen, moderiert zwei Sendungen auf Radio Orange 94.0 und engagiert sich u. a. als Kurator am Volkskundemuseum Wien. Nach seiner Recherche hat er sich bei Muzz wieder abgemeldet.

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