Eine Fadenlänge Voraus

Von Judith Wyder · · 2003/07

Die Senegalesin Oumou Sy ist eine der renommiertesten Mode-Designerinnen Afrikas. Internationale Karriere und soziales Engagement schließen sich bei ihr nicht aus.

Tum, tum, tum, summt Oumou Sy, so unschuldig fröhlich, als wäre sie ein kleines Schulmädchen. Sie balanciert barfuß auf einem Stuhl und hält einen riesigen Hut aus buntem Bast in den Händen. Um der Schaufensterpuppe vor ihr das Ungetüm von Kopfbedeckung aufzusetzen, streckt sich die grazile Frau im eleganten geblümten Kleid ohne Anstrengung bis zur Decke. Dann blickt sie mit glänzenden Augen in die Runde und erkundigt sich charmant: „Ist mein Mannequin nicht hübsch?“
Oumou Sy, eine der bekanntesten afrikanischen Modedesignerinnen, begeisterte in der Vergangenheit mit ihren spektakulären Kreationen überall auf der Welt das Publikum: bei der Expo in Hannover, im Millennium Dome in London, im Kennedy Center in Washington. Doch Mode allein füllt ihr Leben nicht aus. Zusammen mit ihrem französischen Ehemann Michel Mavros und Partner Alexis Sikorsky gründete die heute Fünfzigjährige 1996 in Dakar das erste Internet-Café Westafrikas und nannte es „Metissacana“, was in der Bambara-Sprache „die Vermischung wird kommen“ bedeutet. 7.000 Dörfer wollte sie ans World Wide Web anschließen. Weil die senegalesische Telekommunikationsfirma Sonatel – France Télécom ist an dieser mit 42 Prozent beteiligt – unvorteilhafte Konditionen anbot, musste das engagierte Projekt auf halbem Weg eingestellt werden. Nun konzentriert sie sich auf die panafrikanische Arbeit.

Oumou Sy hatte größere Probleme:in ihrem atelier
Im August 2001 wurde sie auf dem Flughafen Dakar verhaftet, als sie mit ihren Mannequins ein Flugzeug nach Libyen besteigen wollte. Wegen Verdachtes auf Frauenhandel landete sie für 33 Tage im Gefängnis. Die afrikanischen Mühlen der Justiz mahlten langsam. Im Herbst wurde der Prozess gegen sie aufgrund Mangels an Beweisen eingestellt. Viele ihrer Projekte kamen dadurch zum Stillstand, darunter die von ihr jährlich organisierte Modewoche Simod und der Karneval in Dakar, beides Anlässe, die internationales Publikum in die Hauptstadt Senegals lockten.
Die unermüdliche Schafferin, die nicht nur für den Laufsteg, sondern auch verführerische Kostüme fürs Theater und den Film entwirft, spricht nur ungern über das, was sich vor beinahe zwei Jahren ereignet hat. Sie habe alles wie immer gemacht, sagt sie. „Ich fühlte mich manchmal, als würde ich die ganze Welt auf dem Kopf tragen.“ Sie sitzt im Schneidersitz auf dem Boden ihres Ladens über ihrem Restaurant „Metissacana“ in der Altstadt von Dakar. Um sie herum verzaubern ihre Entwürfe das Zimmer: Wunderbarer Silberschmuck, farbige Decken aus handgewobenem Stoff, königliche Gewänder in leuchtenden Farben. Mode, die von Afrika aus in aller Herren und Frauen Länder Brücken schlägt, entworfen von einer Autodidaktin ohne Berührungsängste.

In ihrem Atelier Leydi, im dreistöckigen „Haus der Erde“ im Herzen der Medina von Dakar, bildet Oumou Sy Designerinnen und Designer aus, entwirft Kleider, Schmuck und Stoffe, kümmert sich um ihre Model-Agentur Macsy. In jedem Winkel des Gebäudes herrscht Betriebsamkeit: Im Hof beugen sich junge Männer über gleichmäßig ratternde Nähmaschinen. Auf dem Dach schwitzt ein zweiköpfiges Team am Webstuhl. Im Gang bügelt ein Junge beinahe andächtig einen weißen Baumwollstoff. Oumou Sys Refugium befindet sich gerade neben der Eingangstür. Durch das offene Fenster weht der salzige Geschmack des Meeres herein. Im kleinen Zimmer, wo sich auf dem Arbeitstisch die unterschiedlichsten Tücher neben Nadel, Faden und Schere stapeln, legt sie den Stoff für ein Männerhemd zurecht. Skizzen von Modellen sind in ihrem Atelier nirgendwo zu sehen. „Ich halte meine Kreationen nicht auf Papier fest, sondern erkläre meinen Angestellten, was mir im Kopf vorschwebt“, sagt sie.
Oumou Sy ist eine Macherin, keine Theoretikerin. Ob sie Mode für den Mann oder die Frau entwirft, ist für sie einerlei: „Ich kleide Körper ein, nicht ein Geschlecht“, sagt sie bestimmt. Rohkaya Ndaije, 24, die mit der Modeschöpferin schon viele Reisen unternommen hat und an ihrer Schule Design studiert, schwärmt von der Offenheit im Atelier: „Oumou Sy vermischt alles, Afrikanisches und Asiatisches, Recycling-Gegenstände und edle Stoffe, sie setzt sich über Grenzen hinweg. Dadurch entstehen die verrücktesten Kreationen.“ Aus einem Auspuff, den ein schnittiger Rennwagen während der Rallye Paris-Dakar verloren hat, werden in Sys Studio kunstvolle Ohrringe geformt. Ausrangierte Computer-Chips verwandeln sich in futuristische Halsketten. Silberne CDs blenden plötzlich als geschmackvolle Ganzkörperhülle oder als Cyber-Robe das Auge.
Oumou Sy scheut sich nicht davor, mit den unterschiedlichsten Materialien zu experimentieren. Wenn sie an kulturellen Wurzeln festhält und gleichzeitig die traditionellen Formen und Farben, Techniken und Muster einem Wandel unterzieht, geht es ihr darum, Afrika eine neue ökonomische und kulturelle Zukunft zu geben. Den Satz „Mode kennt keine Grenzen. Grenzen gibt es nur im Kopf“ diktiert sie JournalistInnen gerne in den Schreibblock. „Ich liebe die Einflüsse Westafrikas, Senegal ist meine Heimat, doch inspirieren lasse ich mich von vielen Dingen.“ Einen besonders nachhaltigen Eindruck in der Modewelt hinterließ ihre Kollektion von Königskostümen, die den Titel „Les Rois & Reines d’Afrique“ trägt. An der umfassenden Sammlung arbeitet die Designerin seit Jahren. Gestalten und Geschichten aus Erzählungen ihrer Kindheit standen ihr dafür Modell.
Damals in Podor, im Norden ihres Heimatlands, war sie als kleines Kind oft krank. Sie gehört der Volksgruppe der Peulh an – groß gewachsene und anmutige Menschen –, ertrug aber die Hitze nicht und wurde dünn wie ein Klappmesser. Ihr Vater, ein islamischer Marabut, sorgte sich um seine Tochter und brachte von seinen Pilgerreisen nach Mekka Reis und Kaffee mit. Als er starb, geschah etwas Merkwürdiges, das Oumou Sys Leben von Grund auf veränderte: „Als ich meinen Vater tot vor mir liegen sah, spürte ich, wie seine Energie in meinen Körper überwechselte“, erzählt sie.
Von da an fühlte sich die junge Frau nicht mehr schwach. Sie nahm ihr Leben in die Hand – obschon sie nie die Gelegenheit hatte, eine Schule zu besuchen. „Ich hatte nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben, weil ich nicht lesen und schreiben kann, im Gegenteil. Ich habe einfach mehr Energie in andere Projekte gesteckt.“ Fürwahr: Mit einem Bus, ein paar Computern und vielen Kabelrollen fuhr Oumou Sy bis vor kurzem in die Steppenlandschaft Senegals hinaus, um die Dörfer am Ende der Straße an die weltweite Datenautobahn anzuschließen. Für Fischer wurde ein aktueller Wetterbericht eingerichtet, bei Kleinkindern regelmäßige Gewichtskontrollen zur Früherkennung von Krankheiten eingeführt.

Wie hat die zierliche, schöne Künstlerin all dies geschafft? In ihrer Kindheit durfte sie weder tanzen noch singen, später heiratete sie drei Mal in ihrem Leben und brachte soziales Engagement und eine internationale Karriere unter einen Hut – und das als Frau im westlichsten Zipfel von Afrika. Die alten Textilkünste verteidigt sie gegen den Wettbewerb maschineller Produktion und trägt damit zur Minderung von Armut und Abwanderung in ihrem Land bei. Sie beteiligt sich an Bewässerungsprojekten. „Ich habe in meinem Leben viele Umwege gemacht. Denen, die nach mir kommen, möchte ich das ersparen“, erklärt Oumou Sy ihr Handlungsbedürfnis. Es ist ihr ein Anliegen, den Menschen in ihrem Land aufzuzeigen, dass man über die eigenen Grenzen hinauswachsen kann. Als mutige Madame Mode und Mixerin der Kulturen ist sie der Konkurrenz in Sachen „think global, act local“ eine Fadenlänge voraus. Ans Aufgeben hat die fünffache Mutter nie gedacht.

Judith Wyder ist freie Journalistin und lebt in Zürich.

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