„Eine ideale Lösung wird es nicht geben“

Von Redaktion · · 2013/12

Was Syrien von Ägypten und Tunesien unterscheidet, welche innerstaatlichen Gründe zu sozialen Spannungen führten und welche Perspektiven es gibt, darüber sprach Südwind-Redakteur Richard Solder mit der Syrien-Expertin Tyma Kraitt.

Südwind-Magazin: Wieso verlief der Arabische Frühling in Syrien anders als etwa in Tunesien oder Ägypten, wo Bewegungen Diktatoren stürzen konnten?
Tyma Kraitt:
Zuerst wäre ich mit dem Begriff „Arabischer Frühling“ vorsichtig, da er sehr unterschiedliche Länder über einen Kamm schert. Der Begriff ist von westlichen Medien geprägt und wird im Arabischen Raum in dieser Form wenig verwendet.

Wie bezeichnet die Mehrheit der Menschen dort die Geschehnisse der vergangenen Jahre?
Vor allem als Revolutionen: ägyptische Revolution, tunesische Revolution usw. „Frühling“ klingt manchen auch zu friedlich. Insbesondere jenen, die die Konnotation Prager Frühling nicht haben. Immerhin sind unzählige Menschen gestorben.

Wie kam es zum Widerstand gegen Präsident Baschar al-Assad?
Sicher ist die Entwicklung in Syrien von den Entwicklungen in den anderen arabischen Ländern inspiriert. Aber es gab genügend innerstaatliche Gründe: Die Korruption hat in den vergangenen Jahren dramatisch zugenommen. Die Signale, die Assad bei seinem Amtsantritt im Jahr 2000 sendete, ermunterten noch viele Oppositionelle. Er sprach damals von einer Öffnung des Landes. Es bildeten sich Zivilkomitees und Grassroots-Gruppen, die den Weg mitbestimmen wollten. Die wurden bald verfolgt. Was wirklich kam, war eine Liberalisierung auf wirtschaftlicher Ebene, die etwa zu einem Zweiklassen-System im Gesundheits- oder im Bildungsbereich führte. Die Öffnung für Investoren führte zu einem Bauboom in den Städten und in weiterer Folge zu einem Anstieg der Mietpreise. Die ländliche Bevölkerung hatte zunehmend mit hohen Preisen bei Tierfutter, Pestiziden & Co zu kämpfen. Eine Dürre verschärfte die Krise. Die Folge waren soziale Spannungen. Es musste etwas passieren!

Wie wurde aus dieser innerstaatlichen Angelegenheit dann recht rasch eine internationale?
Auf der einen Seite natürlich wegen der geopolitischen Lage Syriens. Auf der anderen Seite: In Ägypten oder Tunesien bestanden schon in der Zeit der Autokraten zum Teil illegale Oppositionsnetzwerke und Gewerkschaftsbewegungen. Das gab es in der Form in Syrien nicht. So konnte der Wunsch nach einem Regimewechsel rasch von ausländischen Rivalen instrumentalisiert werden. Es war sicher auch ein Fehler, dass man die Auslands-Opposition, also den SNC (Syrischer Nationalrat; Anm. d. Red.) sehr schnell aufgewertet und auf die Stimmen in Syrien nicht mehr gehört hat.

Syrien: Wer gegen wen?

2011 kam es in Syrien zu Protesten gegen die Regierung von Baschar al-Assad. Daraus entwickelte sich ein Bürgerkrieg: die Freie Syrische Armee (FSA), die vor allem aus ehemaligen Militärs der syrischer Armee besteht, kämpft neben kurdischen und dschihadistischen Gruppierungen gegen das Regime, das von Russland und Iran unterstützt wird. Im Laufe der Zeit wurden Exil-Organisationen, unterstützt von den USA, Türkei, Saudi-Arabien und Katar, immer wichtiger: 2011 wurde der SNC, der Syrische Nationalrat (Sitz in Istanbul) sowie später die Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte gegründet. In den vergangenen Monaten wurden der „Islamische Staat im Irak und der Levante“ (ISIL) und die al-Nusra-Front, beides dschihadistisch-salafistische Organisationen, innerhalb des oppositionellen Lagers immer stärker. Nach Einschätzung von westlichen BeobachterInnen haben sie mittlerweile die Führungsrolle, die davor die FSA innehatte, übernommen.  red

Wieso konnten sich in Syrien keine ernstzunehmenden oppositionellen Gruppen bilden?
Das Regime galt lange als das kleinere Übel. Syrien ist ein heterogenes Land. Die Bevölkerung hat auf andere Staaten mit vielen Volksgruppen, wie Irak und Libanon, geschaut und sich gedacht, dass sie keine Verhältnisse wie dort haben will. Zudem hat das Regime früh soziale Bewegungen kontrolliert und auch vereinnahmt.

Wie sah das konkret aus?
Die Baathisten haben versucht, Bauernorganisationen, Gewerkschaften etc. zu kontrollieren und Loyalität über Zugeständnisse zu sichern. Die politische Opposition konnte bis zu einem gewissen Grad auf parlamentarischer Ebene aktiv sein. Das Regime griff in manchen Fällen aber auch beinhart durch. Etwa 1982 in Hama als Reaktion auf den bewaffneten Aufstand durch die Muslimbruderschaft. Nach Schätzungen von Rifaat al-Assad, der die Spezialtruppen zur Niederschlagung der Revolte anführte, sind beim Massaker über 34.000 Menschen getötet worden.

Zurück in die Gegenwart: Die militärische Opposition ist stark fragmentiert. Dschihadistische Gruppierungen wie der „Islamische Staat im Irak und der Levante“ (ISIL) und die al-Nusra-Front wurden über die Zeit immer stärker. Von der säkular geprägten Freien Syrischen Armee (FSA) laufen Kämpfer über …
Umso wichtiger ist es, nicht zuletzt für die Glaubwürdigkeit des ganzen Widerstandes, dass sich die FSA von den Dschihadisten abgrenzt.

Ist es dafür nicht schon zu spät? Haben sich ISIL und al-Nusra nicht schon durchgesetzt?
Ja, definitiv. Aber es ist trotz allem ganz wichtig für die Menschen in Syrien, dass es eine säkulare Alternative gibt. Und, dass im Inland Kritik an den Dschihadisten geübt wird.

Welche Perspektiven hat der Staat derzeit?
Eine ideale Lösung für Syrien wird es nicht geben. Eine militärische Intervention führt, meiner Meinung nach, nicht zu einem konstruktiven Ergebnis. Es bleiben leider nur Verhandlungen, die das Regime mit einschließen. Denn das ist nach wie vor in der Bevölkerung verankert. Priorität muss jetzt die Beendigung der militärischen Auseinandersetzungen haben. 

Tyma Kraitt ist Co-Herausgeberin des Buches „Syrien: Hintergründe, Analysen, Berichte.“ Die Publizistin war 2011-2013 Chefredakteurin der Zeitschrift INTERNATIONAL und befasst sich mit den Umbrüchen im arabischen Raum. Sie hat selbst Wurzeln in Irak und Syrien.

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