Eine komplizierte Geschichte

Von Andreas Kranebitter · · 2007/09

Seit nunmehr zehn Jahren spricht man in Kambodscha von einem Tribunal, das die mörderische Herrschaft der Roten Khmer aufarbeiten soll. Nun ist es endlich bereit, die Arbeit aufzunehmen.

Über die „internen Regeln“ der 2004 ins Leben gerufenen „Außerordentlichen Kammern beim Gericht Kambodschas“ (ECCC) war lange debattiert worden. Im vergangenen Juni nahmen die zwölf UntersuchungsrichterInnen – sieben kambodschanische und fünf ausländische – nun die Arbeit auf. Ende Juli wurde der erste der wenigen überlebenden Khmer Rouge-Führer angeklagt: Kaing Guek Eav alias Duch, zwischen 1975 und 1979 verantwortlich für das „Sicherheitszentrum“ Tuol Sleng. In diesem so genannten „Office S-21“ – heute ein Museum des Schreckens – ließen zumindest 14.000 Menschen, zum Großteil aus den eigenen Reihen, ihr Leben.
Doch über den Sinn des Tribunals wird in Kambodscha immer noch heftig debattiert; das lange Warten führte in der Bevölkerung zu Verwunderung und Kopfschütteln. Das Zustandekommen des Tribunals war alles andere als einfach. Die komplexe Struktur der Kammern, vor allem das Nebeneinander von nationalen und internationalen JuristInnen, nationalem und internationalem Recht, sorgte häufig für Konflikte.

Ein Alltagsgespräch in Kambodscha: „Natürlich bin ich für ein Tribunal“, sagt Rith, ein 23-jähriger Student, „aber es gibt viele Leute, die sagen, dass man das Geld auch anders verwenden könnte.“ Sein Kollege Vannak mischt sich in die Diskussion ein: „Ich denke nicht, dass es fair ist. Die Leute kommen in unser Land, doch sie haben unsere Richter nicht überprüft. Kambodschanische Richter verdienen einfach zu viel. Sie haben gar kein Interesse daran, den Leuten zu helfen.“
Wer auf der Suche nach Gesprächspartnern durch Phnom Penh streift, um über das Khmer-Rouge-Tribunal zu reden, wird kaum jemanden treffen, der sich gegen einen derartigen Prozess ausspricht. Man redet über das Tribunal – zumindest in den Städten. „Fast jede Umfrage – und davon gibt es viele – liefert das gleiche Ergebnis von 80% der Befragten, die sich für ein Verfahren aussprechen“, sagt Helen Jarvis, Verantwortliche für öffentliche Angelegenheiten im ECCC. Und dennoch: so selten man definitive Stimmen gegen das Tribunal vernehmen wird, so selten wird man auf Leute treffen, die wie Rith dem „Natürlich“ nicht zumindest ein „Aber“ hinzufügen.
„Es gibt in Kambodscha nicht die eine Meinung über die Ereignisse damals. Im Gegenteil: es gibt viele Wahrheiten dort draußen“, so Youk Chhang, Direktor des Dokumentationszentrums Kambodschas (DC-Cam). Als Forschungseinrichtung, die sich der Dokumentation der Rote-Khmer-Zeit verschrieben hat, organisiert man hier auch Fahrten aus Provinzdörfern nach Phnom Penh. Alte Bäuerinnen und Bauern werden im ECCC über das Tribunal informiert. „Gibt es Fragen?“, fragt der kambodschanische Vortragende. Ein 50-jähriger Mann greift zum Mikrofon: „Warum stellen sie nur diese Leute vor Gericht? Warum nicht all die Länder, die die Pol-Pot-Leute so lange unterstützt haben?“

Niemand, der den Horror der Pol-Pot-Zeit ab 1975 selbst erlebt hat, kann diese Zeit vergessen. Zu tief sitzt der Stachel, zu viele Angehörige fehlen in der Familiengeschichte. Gleichzeitig scheint auch niemand vergessen zu haben, dass der Westen, allen voran die USA, nach der Vertreibung der Roten Khmer durch vietnamesische und exil-kambodschanische Truppen 1979 dieselben Roten Khmer ein Jahrzehnt lang nicht nur diplomatisch anerkannte, sondern auch finanzierte. Niemand scheint außerdem das Embargo gegen Kambodscha vergessen zu haben, das internationalen Hilfsorganisationen die Hilfe praktisch verunmöglicht hat.
Sprengstoff für das Tribunal. Auf die Frage, wie es denn nun weiter geht, zuckt so manch ein Experte die Schultern: „Es kann Jahre dauern, es kann aber auch morgen schon vorbei sein …“
Die unverarbeiteten und unvergessenen Auswirkungen der internationalen Politik sind heute noch gegenwärtig. Gleichzeitig treten neue Konflikte und Phänomene hinzu: Kinderarbeit, Landvertreibungen, Ermordung und Verfolgung von GewerkschafterInnen – oder auch nur Armut. Der durchschnittliche Monatslohn von 48 Euro pro Monat macht die Höhe der Tribunalkosten von beinahe 60 Millionen US-Dollar – 13 Millionen steuert Kambodscha selbst bei – so unverständlich.
Das Tribunal findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern interveniert in dieser widersprüchlichen gesellschaftlichen Situation, in der sich vergangene und aktuelle Konflikte überlagern.

Informationen zum Tribunal auf
www.eccc.gov.kh
www.dccam.org
www.phnompenhpost.com

Der Autor schließt sein Studium der Politikwissenschaft in Wien mit einer Diplomarbeit über das Khmer-Rouge-Regime in Kambodscha ab und absolvierte im Frühjahr 2007 in Phnom Penh einen Forschungsaufenthalt.

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