„Eine Lösung muss aus der Region kommen“

Von Redaktion · · 2014/03

Welche Rolle spielt der ruandische Genozid für die unruhige Region der Afrikanischen Großen Seen? Und könnten aktuelle Konflikte auf verhältnismäßig stabile Staaten wie Ruanda oder Burundi übergehen? Richard Solder fragte bei der derzeit in Burundi forschenden deutschen Politologin Claudia Simons nach.

Südwind-Magazin: Südsudan, Zentralafrikanische Republik, Konflikte im Ostkongo – inwiefern könnten aktuelle Krisen auch andere Staaten wie Ruanda, Uganda oder Burundi destabilisieren?
Claudia Simons:
Die Region der Großen Seen in Ostafrika sowie auch das weitere Zentralafrika sind historisch, politisch und ökonomisch extrem verwoben. Krisen in einem Land haben immer auch Auswirkungen auf die Region als Ganzes. Allerdings ist das nicht gleichzusetzen mit automatischer Destabilisierung einzelner Länder. Letztlich geht es darum, wie die jeweiligen Regierungen mit den Geschehnissen jenseits der eigenen Grenzen umgehen. Krisen in einem Land haben aber oft auch über Umwege Auswirkungen auf die innere Stabilität eines anderen.

Wie zum Beispiel?
Die erzwungene Rückkehr ruandischer Flüchtlinge aus tansanischen Flüchtlingslagern in den vergangenen Jahren. Dahinter steckt ein Streit zwischen Tansania und der DR Kongo. In den Lagern befanden sich auch tausende Burundier, die ebenfalls zur Rückkehr gezwungen wurden. Konflikte zwischen Rückkehrern und der lokalen burundischen Bevölkerung sind vor allem im Süden Burundis ein heißes Thema und tragen aktuell dazu bei, dass die Regierung in Bujumbura sich intern zersplittert.

Der Genozid in Ruanda 1994 löste Konflikte und Kriege im Ostkongo aus. Bis heute wird in der Region immer wieder gekämpft. Worum geht es dabei?
Die Kämpfe haben schon lange eine eigene Dynamik angenommen. Zwar rechtfertigt die ruandische Regierung ihre kontinuierlichen Interventionen im Kongo nach wie vor mit dem Genozid und seinen Folgen – besonders mit der Präsenz der FDLR-Miliz. Neben diesem historischen Trauma und den zum Teil berechtigten Sicherheitsinteressen Ruandas spielen aber andere Faktoren eine entscheidende Rolle: Macht- und Wirtschaftsinteressen verschiedener Politiker, Rebellenführer und Businessleute; eine katastrophale Regierungsführung in Kinshasa; sowie verschiedene Konflikte um Land, Ressourcen und Zugehörigkeiten in der lokalen Bevölkerung.

Wie kann die Region eine Perspektive bekommen?
Eine Erkenntnis der bisherigen Konflikte ist sicherlich, dass der Einfluss von außen zwar groß ist, aber nicht allumfassend. Eine Lösung muss letztlich aus der Region selbst kommen. Klar ist, dass eine dauerhafte Perspektive die regionale bzw. internationale, die nationale sowie die lokale Ebene berücksichtigen muss.

Auf der regionalen Ebene geht es dabei um Fragen wie politische und militärische Einmischung in Nachbarländer, grenzübergreifende Migration, Rohstoffhandel etc. Auf der nationalen nicht zuletzt um Regierungsführung, Klientelismus, Konflikte zwischen verschiedenen nationalen Parteien und Interessensgruppen. Lokale Fragen sind Konflikte um Land und Zugang zu Ressourcen, Fragen von Zugehörigkeit …

Klingt herausfordernd. Ist Stabilität in absehbarer Zeit realistisch?
Das ist sehr schwer zu sagen. Zudem geht es dabei um die Frage, wie wir Stabilität definieren. Es gab im Ostkongo auch schon ruhigere Zeiten. Durch die M23 gab es jetzt wieder eine Phase mit vielen Kämpfen.

Stichwort Massenvergewaltigungen – vor allem Frauen sind häufig Opfer der Milizen im Ostkongo. Hätte die internationale Gemeinschaft viel früher stärker dagegen aktiv werden müssen?
Die so genannte Internationale Gemeinschaft folgt gemeinhin bestimmten Trends. Gewalt gegen Frauen ist erst in jüngerer Zeit ein solches „Trendthema“ geworden. Mittlerweile widmen sich Organisationen – staatliche und nichtstaatliche – diesem Thema. Leider aber auf eine oft einseitige Art und Weise, nämlich indem Vergewaltigung und vor allem medizinische und soziale Konsequenzen von Vergewaltigungen fast den gesamten Raum einnehmen.

Was wird dabei übersehen?
Mit den Vergewaltigungen zusammenhängende Fragen wie eine grundsätzlich patriarchale Gesellschaftsordnung, die sich u.a. auch in ungleich verteilter Arbeit, ungleichem Zugang zu Ressourcen usw. äußert. Frauen sind nicht nur Opfer der Milizen, sondern in der gesamten Gesellschaft benachteiligt.

Im Übrigen finden Vergewaltigungen nicht nur im Kontext von Überfällen durch Milizen statt, sondern sehr häufig in der eigenen Familie, in der Gemeinde, auf dem Weg zur Feldarbeit. Eine Stilisierung der Frauen als lediglich bemitleidenswerte Opfer – wie es in Medien und Kampagnen oft der Fall ist – ist zudem unwürdig und kontraproduktiv. 

Claudia Simons ist Wissenschaftlerin der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik. Zu ihren Forschungsgebieten zählen u.a. Burundi, die Demokratische Republik Kongo sowie Konflikte und Peacebuilding.

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