Eine Schule für Uromi

Von Kornelia Laurin · · 2006/02

Frederick Akhelumele, ein nigerianischer Lehrer, lebt seit acht Jahren in Graz. Dort arbeitete er zunächst als Verkäufer der Straßenzeitung Megaphon. Nun hat er seinen Traum verwirklicht und eine Schule in seinem Heimatort gegründet.

Es hat geregnet in der Nacht. Die Feuchtigkeit hängt wie eine Wolke über dem ins Morgenlicht getauchten Ort Uromi im südnigerianischen Bundesstaat Edo. Beschwingt eilt Frederick Akhelumele die nicht asphaltierte Straße in der weitläufigen Streusiedlung entlang. Als er um die Ecke biegt, verfangen sich die ersten Sonnenstrahlen in den Säulen des neuen Schulgebäudes, das heute eröffnet wird: Hier steht sie, „seine Schule“, die Manifestierung seines Traums.
Der 40-Jährige erinnert sich noch an die Zeit, als er in einer der typischen nigerianischen Provinzschulen Mathematik unterrichtete. Die Kinder saßen auf dem Erdboden. Die Bezahlung war schlecht und durch das Dach regnete es herein. Schulen dieser Art sind auch heute noch gang und gäbe in Nigeria. Mitte der 1990er Jahre hatte die Militärdiktatur unter Sani Abacha das Land fest im Griff. „Zukunft“ war in jener Zeit für Frederick nicht mehr als eine Worthülse. Die ganze Familie half zusammen, um ihm 1996 die Flucht nach Europa zu ermöglichen.
Dass er als Asylwerber in Graz landete, bezeichnet er heute als schicksalhaft. Ohne die Hilfe von Bruder Manfred vom Afrikahaus „Comboni“ im Grazer Stadtteil Raaba, wo er strandete, wäre es ihm kaum gelungen, so schnell Fuß zu fassen, auch wenn er zu Beginn nur Verkäufer der Grazer Straßenzeitung Megaphon war. Immerhin ermöglichte ihm diese fünf Jahre andauernde Arbeit erstmals ein regelmäßiges Einkommen.

Als Frederick die Grazerin Andrea traf und sie später auch heiratete, begann damit nicht nur eine glückliche Liebesbeziehung. Er erhielt dadurch auch eine Arbeitsbewilligung und damit die Chance auf mehr Geld. Der Mathematiklehrer scheute nicht die Arbeit als Hilfsarbeiter am Fließband oder später als Monteur. Denn immerhin wurde er für seine Leistungen fair bezahlt. „In Nigeria herrscht eine völlig andere Lebenssicht, und Arbeit hat nicht den Stellenwert, den sie in Europa hat. Ich war beeindruckt von den fleißigen und motivierten Menschen, von der Sauberkeit, und davon, wie gut das System hier in Österreich funktioniert“, meint Frederick. Acht Jahre dauerte es, bis er erstmals wieder nigerianischen Boden betrat, in der Tasche 8.000 mühsam zusammengesparte Euro.
„Als ich die Zustände in meiner Heimat wieder sah, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich wollte die gewinnbringenden Erfahrungen mit der österreichischen Lebensart in meine Heimat zurückfließen lassen und wusste, dass es bei den Kindern beginnen muss. So entstand die Idee, eine Schule in meinem Heimatort Uromi zu bauen“, erzählt Frederick. Spontan kaufte er mit seinen Ersparnissen ein 30 mal 60 Meter großes Areal.
Mit aller Kraft wollte er wenigstens für ein paar Kinder eine Chance schaffen. Auch möchte er die Fantasien vom goldenen Europa durch realistische Sichtweisen ersetzen helfen. „Es kommt oft genug vor, dass in Europa lebende Landsleute bei ihren Heimaturlauben auftreten wie die Könige. Manche nehmen sogar Kredite auf, nur um mit dem neuesten Automodell vorfahren zu können und ihre drei Mobiltelefone vorzuführen. All dies nährt natürlich eine völlig aus der Luft gegriffene Vorstellung vom Leben in Europa“, erklärt Frederick.

Wieder zurück in Österreich gründete er, angeleitet durch MitarbeiterInnen des Grazer Friedensbüros, den in beiden Staaten gemeldeten gemeinnützigen Verein Youthcare. Sein aus Jamaika stammender Gitarrelehrer half ihm bei der Gestaltung einer professionellen Homepage und von Informationsmaterial. Der Durchbruch erfolgte jedoch erst, als er seine langjährige Bekannte Barbara Rupp, die ihm jeden Monat eine Megaphon-Zeitschrift abkaufte, für sein Projekt gewinnen konnte.
Überzeugt hat die pensionierte Neurologin Fredericks unerschütterlicher Glaube an das Schulprojekt, eine Reise nach Nigeria und die dadurch gewonnene Kenntnis der Situation. Auch für sie ging ein lang gehegter Traum in Erfüllung, denn immerhin wollte sie schon im Kindergartenalter Missionsärztin in Afrika werden. Sie unterstützte Frederick in seinen Bemühungen, SponsorInnen für sein Projekt zu finden. „Denn welche Chancen hätte schon ein Nigerianer, Gehör zu finden, wenn er unbekannterweise an die Tür klopft“, bekräftigt die Ärztin. In nur einem Jahr gelang es den beiden, in Graz 25.000 Euro an Spendengeldern aufzutreiben. Darunter waren SponsorInnen wie Ex-Landeshauptmann Waltraud Klasnic sowie die Caritas, die für den Schulbau einen Teil aus der Augustsammlung zuschoss.
Im April 2005 flog Frederick mit den Spendengeldern nach Nigeria. In Rekordzeit konnte das zweistöckige Schulgebäude mit Hilfe von Fachleuten und vielen freiwilligen HelferInnen vor Ort realisiert werden.

Am 25. Oktober ist es soweit. Frederick atmet die morgendliche Feuchtigkeit tief ein, bald werden die Ehrengäste anlässlich der Eröffnung eintreffen und auch die Kinder. 123 sind es, vom Kindergartenalter bis zur Unterstufe, die von elf motivierten LehrerInnen unterrichtet werden. Im Gegensatz zu vielen öffentlichen Schulen bekommen sie hier ihr Gehalt regelmäßig bezahlt. Der Lehrplan folgt dem für ganz Westafrika geltenden, und der Abschluss selbst ist sogar in Großbritannien anerkannt. Neben den Grundfächern erfolgt hier auch der Unterricht in Informatik. „Zur Zeit leider nur theoretisch, es fehlen die Computer, doch ich habe schon Geschäftsleute in Graz überzeugen können, ihre ausgedienten Geräte der Schule in Uromi zu überlassen“, erzählt Barbara Rupp.
So ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch dieser Unterrichtsgegenstand angeboten wird. Das Gebäude wurde mit Liebe im regionalen Stil errichtet, viel Wert wurde auch auf die künstlerische Gestaltung gelegt. „Die Kinder sollen gerne in die Schule gehen, gerne lernen und sich hier wohl fühlen“, sagt Frederick lachend. Darüber hinaus will man sich schon von außen von den üblichen Schulen abheben und damit den Stellenwert, den Bildung für die Organisation Youthcare hat, deutlich machen.
Die Schuluniformen werden von ortsansässigen Frauen genäht, und so trägt die Schule auch zur wirtschaftlichen Belebung der Region bei. Zwar muss auch Schulgeld bezahlt werden, für die Volksschulklassen umgerechnet sechs Euro im Trimester. Doch es gibt auch Leistungsstipendien, wenn die Eltern das Geld nicht aufbringen können. Angedacht sind eine weiterführende handwerkliche Ausbildung, in Zusammenarbeit mit österreichischen Entwicklungsorganisationen, sowie ein reger personeller Austausch zwischen Österreich und Nigeria – ein europäisch-nigerianischer Transfer, wie es Frederick auszudrücken pflegt.

Es ist eine große Gesellschaft, die sich zur offiziellen Eröffnung der neuen Schule in Uromi versammelt hat. Der „Little Prince“, als Vertreter der traditionellen königlichen Familie der Region, der das Grundstück für den Schulbau verkauft hat. Frederick Akhelumele, der zu Gott betet, dass es weiter so gut läuft wie bisher und den vielen österreichischen SpenderInnen dankbar ist für den Glauben an sein Projekt. Der Grazer Wolfgang Winkler, der 2.000 Schreibhefte mit eigenem Schuldesign spendete und mit seiner Frau eigens aus Österreich anreiste; die stolzen LehrerInnen, zahlreiche örtliche UnterstützerInnen, ein Journalist, der in Nigerias meistgelesener Zeitung einen mehrseitigen Bericht über das Aufsehen erregende Projekt verfasste; Barbara Rupp, die sich der Verantwortung gegenüber den Kindern, aber auch gegenüber den österreichischen SpenderInnen bewusst ist, sowie der leitende Schulinspektor aus dem nigerianischen Bildungsministerium, der bei der Eintragung ins Gästebuch sein Wohlwollen zum Ausdruck bringt. Denn immerhin ist die Schule in Uromi nun Teil des offiziellen Bildungssystems in Nigeria.
Die Kinder singen und tanzen anlässlich der Eröffnung ihrer neuen Schule, und für Frederick ist es ein überwältigender Anblick.

Kornelia Laurin ist freie Fernsehjournalistin für verschiedene ORF-Redaktionen, u.a. für die Sendung „Heimat fremde Heimat“ der ORF Minderheitenredaktion. Sie lebt und arbeitet in Graz.

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