Enttäuschte Hoffnung

Von Leo Gabriel · · 2012/05

Die Parlaments- und Gemeinderatswahlen in El Salvador haben einmal mehr gezeigt, dass sich die Linke in Lateinamerika dort, wo sie nach langen Kämpfen um die Macht im Staat erfolgreich war, nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen kann.

Bereits im Vorfeld des Urnengangs vom 11. März hatte es sich abgezeichnet: Die – aus der früheren Guerillabewegung hervorgegangene – FMLN kann die in sie gesteckten (hohen) Erwartungen kaum erfüllen. Denn die 2009 vom damaligen Wahlsieger und heutigen Präsidenten Mauricio Funes angekündigte Wende, von der sich die Mehrheit der Bevölkerung vor allem eine Linderung ihrer existenziellen Nöte erwartet hatte, fand nur in einigen unterstützenden Ansätzen wie etwa bei der Gratisverteilung von Schuluniformen und der staatlichen Subvention der Preise für Medikamente ihren Niederschlag. Für tiefer greifend Veränderungen wie eine längst fällige Erziehungsreform, die Ablösung des militaristischen Sicherheitskonzepts durch zivilgesellschaftliche Kontrollmechanismen oder die geplanten wirtschaftlichen Impulse für den Agrarsektor reichten weder die Zeit noch die Mittel.

Selbst in den von der FMLN regierten Gemeinden, in denen Benzin und Diesel aus Venezuela zu besonders günstigen Konditionen verkauft wurden, reichten im ersten Jahr nach Einführung dieser Sonderregulierung die Mittel gerade noch aus, um die Gemeindeämter zu sanieren. Gemäß dem Abkommen hätte ein Teil der Erlöse in Sozialprojekte investiert werden sollen.

So war denn auch die Enttäuschung bei den ehemaligen Guerilleros von der FMLN groß, als in der Wahlnacht bekannt wurde, dass die rechtsradikale Oligarchenpartei ARENA mit 33 von 84 Abgeordneten und 116 von 262 Bürgermeistern die Wahl gewonnen hatte. Damit hatte sie die Abspaltung ihres (neo-) liberalen Flügels in Form der neu entstandenen GANA-Partei wettmachen können, während die FMLN, die im Wahlkampf als „Partei der Veränderung“ aufgetreten war, im Vergleich zu 2009 drei Mandate (32 statt 35) und 8 Bürgermeister (85 statt 93) eingebüsst hatte.

Besonders schmerzhaft war, dass der gleichnamige Sohn des vor sechs Jahren verstorbenen charismatischen Revolutionsführers Jorge Schafik Handall gegen den populistischen Bürgermeister von San Salvador von der ARENA, Norman Quijano, mit 32 zu 63 Prozent in der Hauptstadt eine Schlappe sondergleichen erlitten hatte. Die vom vormaligen Präsidenten Toni Saca ins Leben gerufene GANA konnte sich mit 11 Mandaten und 16 Bürgermeistern als dritte Kraft etablieren.

Nachträglich stellte sich heraus, dass der Stimmenverlust der FMLN vor allem auf die Tatsache zurückzuführen war, dass viele der von der FMLN enttäuschten StammwählerInnen zu Hause geblieben waren, was insgesamt zu einer historisch geringen Wahlbeteiligung von 49% geführt hatte.

Dass es auch anders hätte gehen können, bewies der innerhalb der FMLN politisch marginalisierte Bürgermeister von Santa Tecla, Oscar Ortiz, dem es seit dem Erdbeben von 2001 gelungen war, mit Unterstützung internationaler Kooperationspartner eine Modellstadt in postkolonialem Stil wieder aufzubauen. Ortiz wurde zum dritten Mal mit 63% der Stimmen wiedergewählt, während in den traditionellen Hochburgen des Widerstands Soyapango und Apopa die Wahlen an die ARENA verloren gingen. Dem Prinzip des „demokratischen Zentralismus“ folgend, dem die von der Kommunistischen Partei mehrheitlich kontrollierte FMLN nach wie vor huldigt, wurden dort wie auch anderswo KandidatInnen ein- und abgesetzt, ohne Rücksicht auf die politischen Präferenzen der ortsansässigen Bevölkerung zu nehmen.

Angesichts des für die FMLN ziemlich enttäuschenden Wahlergebnisses, das sie selbst allerdings nicht als Niederlage bezeichnet, werden zur Zeit parlamentarische Allianzen (vor allem mit GANA, aber auch mit ARENA) diskutiert, die noch vor wenigen Monaten undenkbar erschienen. Auch die Frage der KandidatInnenwahl für die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 wird innerhalb der FMLN ziemlich kontroversiell abgehandelt.

Während das von der KP dominierte Führungsgremium der FMLN für eine stärkere Abgrenzung von der zentristischen Haltung des amtierenden Präsidenten Mauricio Funes eintritt, um einen Kandidaten aus den eigenen Reihen aufzustellen, werden in der Partei auch Stimmen laut, die für eine radikale Öffnung gegenüber jenen Sektoren der Gesellschaft eintreten, die sich von dieser Regierung im Stich gelassen fühlten. Das sind vor allem jene, die von der steigenden Verbrechensrate in den Randvierteln der Städte besonders in Mitleidenschaft gezogen sind.

Leo Gabriel, Journalist, Buchautor und Filmemacher, war zu den Wahlen in El Salvador als Beobachter eingeladen.

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