Entwicklungsziel Glück

Von Irmgard Kirchner · · 2009/10

Das kleine Himalaya-Königreich Bhutan nimmt seine Entwicklung energisch in die Hand. Auch Österreich wirkt mit.

Das Handy auf der Ladestation, leise Musik aus dem Radio. Der Fernsehapparat ruht unter einem Spitzendeckchen: Eine kleine und wirkungsvolle Inszenierung: Mr. Gado, der Bürgermeister von Dagala, einem Dorf eine schwache Fahrstunde von Bhutans Haupstadt Thimphu entfernt, demonstriert die Segnungen eines Stromanschlusses. Stolz führt der Yakbauer die Gruppe österreichischer Nationalratsabgeordneter und JournalistInnen durch sein erst ein Jahr altes Haus, ein Stockhaus im traditionellen Stil mit bunt bemaltem Holz. Farbenfrohe Blumenranken und buddhistische Symbole zieren Türen, Decken und Fensterrahmen. Die Küche strahlt in hellem Türkis. Rußfrei, dafür sorgen ein Reiskocher, ein Currykocher und ein zweiflammiger Gasherd.

Szenenwechsel: Das Dorf Nobding erreicht man von Thimphu aus in etwa drei Fahrstunden Richtung Osten auf dem zwar schmalen, aber relativ gut ausgebauten und gesicherten National Highway. Tshering Dawchu zeigt ihre bis an die Decke mit Ruß geschwärzte Küche, in der mit Holz gekocht wird. Eine Belastung nicht nur für die Atmungsorgane der BewohnerInnen. Drei Viertel des gesamten Energiebedarfs werden in Bhutan immer noch mit Holz gedeckt. Und das waldreiche Bhutan leidet bereits jetzt unter Erosion abgeholzter Flächen.

Die 23-jährige Tshering freut sich auf den Strom, der im nächsten Jahr auch in ihr Dorf kommen soll. Noch ist sie unverheiratet. Sie wird einmal das Haus erben, und gemäß der Tradition ihrer Volksgruppe wird ihr Ehemann zu ihr ziehen.

Bhutan ist dünn besiedelt und der Großteil der Menschen lebt am Land. In den kommenden fünf Jahren sollen 25.000 Haushalte mit Strom versorgt werden. Nicht mehr als umgerechnet einen US-Dollar pro Monat gibt ein Haushalt wie der von Bürgermeister Gado im Schnitt für Strom aus.

Österreichs Entwicklungszusammenarbeit (OEZA) unterstützt Bhutan bei seinem ehrgeizigen Elektrifizierungsprogramm. Zwischen 2001 und 2007 wurde der Stromanschluss für etwa 1.600 entlegene Haushalte finanziert. Entwicklungszusammenarbeit hat heute in dem kleinen Himalaya-Königreich eine große politische Bedeutung. Premierminister Lyonchhen Jigmi Y. Thinley empfängt die österreichischen ParlamentarierInnen persönlich und würdigt die guten Beziehungen zwischen Österreich und Bhutan.

Bis 1961 hatte sich das kleine Land – eingekeilt zwischen den Großmächten China und Indien – komplett abgeschottet. Dann begann Bhutan mit seinen Fünfjahresplänen, „als andere Entwicklungsländer bereits den Verlust von Werten und kulturellem Erbe beklagten“, wie Premier Thinley betont.

Im Unterschied zu anderen Schwerpunktländern Österreichs ist Entwicklungszusammenarbeit in Bhutan Sache der Regierung, die sich ihre Geber nach deren Expertise selbst aussucht.

Österreich kann insbesondere in den Bereichen Wasserkraft und Tourismus Know-how anbieten.

„Geografisch und klimatisch stellt Bhutan eine Herausforderung an alle Arten von Entwicklung dar. Die Siedlungen liegen verstreut im Hochgebirge, in Höhen bis über 4.000 Meter. Manche Dörfer liegen einen zwei- bis dreitägigen Fußmarsch von der nächsten Straße entfernt“, erklärt Christian Mazal, Koordinator der OEZA in Thimphu.

Der 4. König Jigme Singye Wangchuck – Vater des jetzigen Monarchen – stellte in Bhutans Entwicklungsstrategie das „Bruttonationalglück“ ausdrücklich über das Bruttonationalprodukt. Die zentrale Planungsbehörde, die quer durch alle Ministerien tätig ist, nennt sich „Gross National Happiness Commission“. Seit 2005 arbeitet das Center for Bhutan Studies mit seinem Direktor Dasho Karma Ura, einem der führenden Intellektuellen des Landes, an einem Index, der Bruttonationalglück messbar machen soll. Mit umfangreichen Fragebögen wurde „Glück“ in neun Dimensionen abgefragt: psychisches Wohlbefinden, Gesundheit, Umgang mit Zeit, Bildung, Kultur, gute Regierungsführung, Diversität der Umwelt, Vitalität der Gemeinschaften und Lebensstandard.

Das Ergebnis – differenziert nach Regionen, Alter, Geschlecht oder Beruf – fließt in die Entwicklungsplanung ein. In deren Zentrum steht ganz konventionell die Armutsminderung: Der Anteil der absolut Armen soll bis 2013 von derzeit 23,2 auf 15 Prozent gesenkt werden.

Das Konzept des Bruttonationalglücks hat eine sehr pragmatische Seite und kommt den Grundsätzen westlicher Entwicklungszusammenarbeit entgegen, wie auch Petra Bayr, Leiterin der ParlamentarierInnen-Delegation und entwicklungspolitische Sprecherin der SPÖ, bemerkt: „Kohärenz, Ownership, Effizienz sind hier relativ einfach umzusetzen. Viele Fehler, die anderswo passiert sind, sind hier vermieden worden.“

Franz Glaser, entwicklungspolitischer Sprecher der ÖVP, sieht Bhutan auf einem guten Weg: „Es gibt eine relativ stabile politische Führung, die weiß, was sie will und die klar die Schwerpunkte erkennt, die es vorzugsweise auszubauen gilt.“

Auch Judith Schwentner, als Nachfolgerin von Ulrike Lunacek seit kurzem entwicklungspolitische Sprecherin der Grünen, bewertet die Zusammenarbeit mit Bhutan sehr positiv: „Hier findet EZA im besten Sinne des Wortes statt. Es gibt hier eine Zusammenarbeit mit Partnern, mit denen man wirklich auf Augenhöhe arbeiten kann.“

„Die politischen Rahmenbedingungen für Entwicklungszusammenarbeit sind ausgezeichnet“, betont OEZA-Koordinator Mazal. „De facto gibt es keine politische Korruption. Es wird ernsthaft, seriös und transparent gearbeitet und es gibt wenig Reibungsverluste.“ Als Probleme identifiziert er – allerdings nicht nur für Bhutan typisch – „ausufernde Bürokratie“ und einen „großen Mangel an qualifizierten Fachkräften in nahezu allen Bereichen“.

Der Sekretär der Kommission für Bruttonationalglück, Dasho Karma Tshiteem, ist sich seiner weit reichenden Verantwortung bewusst: „Bhutan befindet sich in einer kritischen Phase seiner Geschichte. Der aktuelle Fünfjahresplan ist der bisher wichtigste. Die tief greifende politische Reform braucht auch eine ökonomische Entwicklung.“

Die Erbmonarchie wurde im Vorjahr auf Betreiben des vierten Königs Jigme Singye Wangchuck in eine konstitutionelle Monarchie umgewandelt. Die erste demokratische Verfassung Bhutans unterschrieb bereits sein Sohn, seit November 2008 der fünfte König Jigme Khesar Namgyal Wangchuck.

Die Demokratie „von oben“ habe noch nicht so richtig Wurzeln geschlagen, erklärt Premier Thinley den BesucherInnen aus Österreich. Man wollte eine glaubwürdige Opposition und strebte ursprünglich die Bildung von sieben politischen Parteien an. Zur ersten Wahl angetreten sind letztendlich zwei Parteien. Die einzige Oppositionspartei stellt nur zwei Abgeordnete im 47-köpfigen Parlament von Bhutan. Eine Zivilgesellschaft ist erst im Entstehen, die gesetzlichen Grundlagen für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) werden gerade geschaffen.

Bhutan
Fläche: 47.000 km2 (zum Vergleich: Österreich: 83.871)
EinwohnerInnen: 0,66 Mio. (2007)
Hauptstadt: Thimphu



Seit November 2008 konstitutionelle Monarchie unter dem 5. König Jigme Khesar Namgyel Wangchuck. Regierungschef: Jigme Thinley (Bhutan Harmony Party DTP)
Human Development Index: Platz 131 (von 179)
Etwas über 11 Prozent städtische Bevölkerung.
Armut: 23,2 Prozent.
Alphabetisierung über 15 Jahre: 59,5 Prozent
Bevölkerung:
Sharchops (ursprüngliche BewohnerInnen indo-mongolischer Abstammung). Ngalongs (Nachfahren der aus Tibet stammenden Siedler, die Anfang des 17. Jahrhunderts ins Land kamen; Volksgruppe, der der König entstammt). Nepali oder Lhotsampas (besiedeln seit Ende des 19. Jahrhunderts den Süden).

Bhutan ist das einzige Schwerpunktland der OEZA in Asien und erhielt 2007 etwas mehr als zwei Prozent der gesamten ODA Österreichs. Die Zusammenarbeit begann in den 1980er Jahren, seit 1994 unterhält die OEZA ein Büro in der Hauptstadt Thimphu.
2007 hat Österreich 1,19 Mio. Euro an bilateraler Entwicklungshilfe (ODA) für Bhutan aufgewendet. Österreichs Anteil an der gesamten ODA an Bhutan betrug 2007 etwa 1,8 Prozent.


Eine belebte Baustelle in einem Kiefernwäldchen am Rande Thimphus: Ein ehemaliges Hotel wird zur ökologisch vorbildlichen Tourismusschule umgebaut. Bhutans Regierung will hier, auch mit Unterstützung der OEZA, ein Kompetenzzentrum für die gesamte Region errichten. Der Lehrplan für das zukünftige Hotel & Tourism Management Training Institute (HTMTI) wird gemeinsam mit der Fachhochschule für Tourismus in Salzburg Kleßheim erstellt. Bhutan hält die Zahl der TouristInnen gering und an die „Absorptionskapazität“, vor allem in kultureller Hinsicht, angepasst. Ein Pauschalpreis von mindestens 200 Dollar pro Tag und Kopf stellt sicher, dass das von Reiseveranstaltern gerne als Natur- und Kulturparadies gelobte Land nicht überrannt wird. 27.000 war die bisher höchste Zahl von BesucherInnen in einem Jahr. Infolge der Wirtschaftskrise ist sie im Vorjahr auf 23.000 gesunken.

Naturschutz hat in Bhutan Verfassungsrang. Artikel 5, Absatz 3 besagt, dass mindestens 60 Prozent der Fläche Bhutans für alle Zeiten mit Wald bedeckt bleiben müssen. Ob Projekte im Bereich Infrastruktur oder Tourismus, stets wird der Naturschutz angesprochen, zum Beispiel in Phase VI der ländlichen Elektrifizierung: Im Nistgebiet des gefährdeten Schwarzhalskranichs werden Stromleitungen unterirdisch verlegt.

„Ein hochgradig spirituelles Land“ sei Bhutan, sagt Premierminister Thinley. Und laut Verfassung ist der Buddhismus das „spirituelle Erbe“ des Landes. Rituale mit Wasser, Feuer, Rauch und Steinen spielen im Alltagsleben eine große Rolle. Gebetsmühlen, Gebetsfahnen, Stupas, mit Mantras behauene Mani-Steine, buddhistische Symbole und vor allem die Dzongs, die mächtigen Klosterfestungen, prägen das Bild von Bhutan.

In einem Wachturm der Klosterfestung Trongsa wurde im vergangenen Herbst das erste moderne Museum des Landes eröffnet. Stilgerecht instand gesetzt und umgebaut aus Mitteln der OEZA, beherbergt es Kunstschätze und Kultobjekte des Klosters und des Königshauses. Das lebende Museum mit zwei buddhistischen Tempeln ähnelt in Konzept und Ästhetik dem Patan-Museum in Nepal, das bereits in den 1990er Jahren von der OEZA finanziert wurde. Der für alle Weltreisenden scheinbar unverzichtbare Reiseführer „Lonely Planet“ bezeichnet es als eines der schönsten Museen Asiens.

Kultur und Religion sind nicht nur fürs Bruttonationalglück, sondern auch für den Tourismus bedeutend: „Wir verkaufen es ja auch, dass die Leute unsere Kultur bewundern“, erklärt Premier Thinley. Der Baustil ist vorgeschrieben. Der Gebrauch der Nationaltracht im Tempel, bei Zeremonien oder in öffentlichen Funktionen wird nahegelegt. „Jetzt in der Demokratie handelt es sich um Appelle, keine Vorschriften“, sagt der Premierminister.

Mit Kultur ist im offiziellen Bhutan meist die Mehrheitskultur gemeint. Zu Beginn der 1990er Jahre kam es im Süden Bhutans zu schweren ethnischen Konflikten im Zuge kultureller Repressionen. Etwa 100.000 Angehörige der nepali-stämmigen Lhotsampa-Bevölkerung wurden aus dem Land vertrieben. Sie leben bis heute – von der Weltöffentlichkeit vergessen – in Flüchtlingslagern in Nepal. Auch wenn Premier Thinley betont, dass es „notwendig sei, sich mit der Vergangenheit auszusöhnen“, gibt es noch immer keine Verhandlungen mit Nepal. Offenbar will man das Problem vorwiegend durch Aussiedlungen und nicht durch eine Rückkehr der Flüchtlinge nach Bhutan lösen. Die USA haben zugesagt, in den nächsten Jahren 60.000 Flüchtlinge aufzunehmen.

Bhutans wichtigstes Exportprodukt ist Strom für das energiehungrige Indien. Im Energiesektor ist Österreich ein wichtiger Partner Bhutans und mittlerweile am dritten Kraftwerksbau im Land beteiligt. Basochhu, das bisher größte OEZA-Projekt aller Zeiten, zeigt sich als freundlicher, mit buddhistischen Symbolen bemalter Bau an einem reißenden Fluss. Im 64-Megawatt-Druckkraftwerk werden 40 Prozent des Stroms erzeugt, der im Inland benötigt wird. Die drei Projekte zeigen anschaulich, was Dasho Sonam Tshering, Sekretär im Wirtschaftsministerium, als „Lernprozess“ bezeichnet. Den Weg von der reinen Hilfe (Kraftwerk Rangjung in Ostbhutan) über eine Mischung aus Hilfe und Krediten (Basochhu) bis hin zu technischer Unterstützung bei einem kommerziellen Projekt (Dagachhu).

Der entwicklungspolitische Sprecher der FPÖ, Johannes Hübner, attestiert Bhutan „ein Entwicklungsniveau, das Hilfe im Sinne kostenloser Zuwendungen nicht mehr erforderlich macht“. Daher solle man „von der bisherigen Hilfe zu Austausch und Kooperation übergehen“. Zumindest im Sektor Wasserkraft ist das bereits der Fall. Ende Juli bekam ein österreichisches Konsortium, bestehend aus Alstom Hydro Austria Gmbh und Andritz Hydro GmbH, den Zuschlag für die elektromechanische Ausrüstung von Dagachhu im Wert von 55 Millionen Euro.

Die Autorin begleitete im August die entwicklungspolitischen SprecherInnen im österreichischen Parlament nach Bhutan, wo sie Projekte der OEZA besichtigten.

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